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Schallplatte vs. Audio-CD

Der Klang des Vinyls… und 3 Tipps für euer eigenes Vinyl-Release

Tipps für Musiker und Bands von Mario Rembold
veröffentlicht am 17.03.2017

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Der Klang des Vinyls… und 3 Tipps für euer eigenes Vinyl-Release

Cartoon. © Sandra Niggemann (exklusiv für Backstage PRO gezeichnet - wow!)

Wer hätte dem Vinyl in den frühen 1990ern ein solches Comeback zugetraut? Damals gingen die Plattenverkäufe in den Keller, während die Umsätze der Audio-CD in die Höhe schossen. Heute ist es umgekehrt.

Backstage PRO hat bereits Branchenzahlen unter die Lupe genommen und gezeigt, dass sich ein Vinyl-Release in kleinerer Auflage für den Eigenvertrieb lohnen kann. Ergänzend wollen wir in Sachen Schallplatte zwei weiteren Fragen auf den Grund gehen:

  1. Hat Vinyl tatsächlich klangliche Vorteile gegenüber der angeblich so kalten Audio-CD?
  2. Welche technischen Feinheiten sollte man beachten, wenn man Songs für eine Vinylveröffentlichung produziert?

Faktencheck analog vs. digital

Früher war ja angeblich alles besser. Dann kam die steril anmutende Audio-CD, und heute beherrschen Streaming- und Downloadangebote den Markt mit ihren bösen komprimierten Formaten. Was davon ist nun aber reine Glaubenssache, und was können wir objektiv über die Klangqualität der Tonträgerformate aussagen? Ist die gute alte Schallplatte wirklich das Maß aller Dinge, an das seither nichts mehr herankommt?

Wie wir es auch drehen und wenden, und egal wie hochqualitativ ein Musikstück wiedergegeben wird: Der maximalmögliche Musikgenuss ist zunächst einmal von der Hörphysiologie abhängig:

  • Das menschliche Hörsystem kann im Idealfall Schall zwischen 20 und 20.000 Hertz verarbeiten;
  • eine Audio-CD kommt bis an die 22.000 Hertz heran und ist unserem Ohr in diesem Punkt sogar überlegen – insbesondere wenn man bedenkt, dass unser Hörvermögen gerade in den Höhen mit dem Alter abnimmt.

Die 20.000 Hertz sind also ziemlich optimistisch geschätzt für einen Menschen jenseits des 18. Lebensjahres, der vielleicht schon einige Diskobesuche, Straßenlärm und etliche Stunden Musik über Kopfhörer hinter sich hat. Audiophile Medien, die mit höherer Abtastrate als 44,1 Kilohertz arbeiten, bieten Fledermäusen und Delphinen sicher einen besseren Hörgenuss; dem menschlichen Ohr hingegen dürfte der breitere Frequenzgang herzlich egal sein. Die Schallplatte kommt nur mit Mühe in die Nähe der 20.000 Hertz – hierauf gehen wir später noch ein.

Voll im Groove: Ein analoges Medium ist ja grundsätzlich vom verarbeiteten Material abhängig

Für das Hören wichtig ist aber nicht nur das Frequenzspektrum, sondern auch das Erkennen von Lautstärkeunterschieden. Man spricht vom Dynamikumfang. Die Hörschwelle ist der Schalldruck des leisesten, gerade eben noch hörbaren Geräuschs – vielleicht ein Blatt, das vom Baum fällt und auf dem Asphalt landet.

Das gesunde menschliche Ohr kann das bis zu 10-billionenfache des Schalldrucks dieses fallenden Blattes erfassen und hier noch Lautstärkenunterschiede feststellen – eine Eins mit 13 Nullen! Um die Dynamik auch mit überschaubareren Zahlenwerten angeben zu können, hat sich eine logarithmische Skala durchgesetzt, wonach diese Obergrenze bei 130 Dezibel oberhalb der Hörschwelle liegt (es ist jedoch nicht empfehlenswert, diese Schmerzgrenze regelmäßig auszureizen, wenn man sein Gehör intakt halten will!).

  • Eine Audio-CD mit 16-bit pro Sample kann bis zu 96 Dezibel abbilden. Tatsächlich sind die Silberlinge bei Lautstärkeunterschieden also nicht in der Lage, das Potential menschlichen Hörens voll auszuschöpfen!

Wie aber schlägt sich die gute alte Schallplatte in Sachen Dynamikumfang? Rein theoretisch könnte man die Rillen im Vinyl beliebig weit auslenken. Ein analoges Medium ist ja nicht durch eine Anzahl von Bits pro Sample begrenzt, sondern nur vom verarbeiteten Material abhängig. Nur soll eine Schallplatte ja auf handelsüblichen Geräten abspielbar sein, ohne dass die Nadel aus der Rille springt; und sie muss auch technisch herstellbar sein! Daher stößt man an praktische Grenzen, die sehr ernüchternd sind.

  • Je nach Quelle traut man der Schallplatte 40 bis 70 Dezibel Dynamikumfang zu. In jedem Fall aber bleibt das Vinyl dabei hinter der Audio-CD und erst Recht hinter dem menschlichen Ohr zurück.

Die gute Nachricht: Selbst dynamikreiche Musik dürfte nur selten über 60 Dezibel hinauskommen. Seit den 90er-Jahren erleben wir noch dazu den Trend der Dynamikkompression: Beim Mastern werden hörbare Lautstärkenunterschiede per Kompressor und Limiter weitestgehend ausgemerzt und die Aufnahme schließlich maximal ausgesteuert.

Dadurch erscheint der Song besonders laut. Ob der Tonträger nun 96 oder bloß 40 Dezibel an Dynamik hergibt, ist bei diesen Produktionen vollkommen egal. So mag in einigen Fällen tatsächlich die alte Originalveröffentlichung auf Vinyl dynamisch hochwertiger sein als das Remaster für die Wiederveröffentlichung auf CD – auch wenn das natürlich nicht am Tonträger-Format sondern am Mastering-Engineer liegt!

Klangneutralität und Klangästhetik

Doch lässt sich Musikgenuss allein auf einige technische Kennzahlen reduzieren? Nein, meint der Elektrotechniker Jürgen Herre von den International Audio Laboratories Erlangen: "Die Frage ist doch, wie wir den Klang empfinden", argumentiert er, "und das ist eine sehr subjektive Sache!" Herre ist Professor an der Universität Erlangen und arbeitet außerdem für das Fraunhofer IIS – Fraunhofer verdanken wir ja unter anderem das MP3-Format.

Video "Slow Motion Needle Drop": Vinyl hat eine eigene, faszinierende Ästethik – und das nicht nur akustisch

Herre rät dazu, grundsätzlich zwischen Klangneutralität und Klangästhetik zu unterscheiden. Die Klangneutralität kann man messen, indem man vergleicht, wie gut ein auf Tonträger aufgezeichnetes Signal noch mit dem physikalischen Original übereinstimmt. Und hier helfen in der Tat die oben genannten Kennzahlen weiter.

"Über Klangästhetik aber kann man diskutieren – oder eben gerade nicht!", stellt Herre klar. Hier gibt es beim Vinyl nämlich Besonderheiten, die der Audio-CD fehlen: "Bei den höheren Frequenzen steigt bei der Schallplatte der Klirrfaktor an", nennt Herre ein Beispiel und meint damit nichtlineare Verzerrungen, die sich nicht durch Equalizer-Einstellungen ausgleichen lassen. Aus rein technischer Sicht mag man darin eine fehlerhafte Wiedergabe sehen. Herre gibt an dieser Stelle aber zu bedenken, dass es gerade in der digitalen Welt immer mehr Plugins gebe, um solche "gutartigen Verzerrungen" gezielt in die Aufnahme hineinzuproduzieren. "Viele Musiker wollen gerade diese Imperfektionen der analogen Welt auch digital simulieren."

Vinyl und Audio-CD klingen also tatsächlich anders, wobei die CD eine originalgetreuere Wiedergabe erlaubt. "Aber hier ist natürlich die Frage legitim, welche Version dem Hörer besser gefällt", meint Herre und verweist darauf, dass Probanden häufig sogar ein MP3 dem unkomprimierten Original vorziehen – obwohl der Klang nicht mehr so nah an der Urfassung ist.

Solche Experimente führen Herre und Kollegen auch in ihren Laboratorien durch. Die Probanden wissen aber nicht, welche Version sie gerade hören und sind daher unvoreingenommen. Dabei schneiden MP3 und Co. besser ab als ihr Ruf. "Wenn man die Bitrate hoch genug wählt und einen vernünftig programmierten Encoder hat, dann kann man das nicht mehr von der CD unterscheiden", resümiert Herre. Ab 192 kbit/s müsse man selbst bei kritischen Testsignalen schon sehr feine Ohren haben, um die komprimierte Version zu erkennen.

Damit die Platte nicht nur gut aussieht sondern auch schön klingt, sollte man ein paar Dinge beachten. Foto © Mario Rembold

Damit die Platte nicht nur gut aussieht sondern auch schön klingt, sollte man ein paar Dinge beachten. Foto © Mario Rembold

Die eigene Schallplatte

Alle Bands, deren Ziel es ist, ihre Songs beim Hörer möglichst genau so klingen zu lassen wie sie im Studio abgemischt worden sind, sollten also auf die Audio-CD oder hochwertig encodierte MP3-Dateien setzen.

Aber seien wir ehrlich: Das Knistern der Nadel hat doch einen besonderen Charme! Gerade weil Vinyl die Höhen nicht so akkurat abbildet, klingt die Musik weniger scharf und bekommt ihren berühmten "warmen Klang". Was vielleicht noch wichtiger ist: In der Spotify-Playlist klickt man schnell auf "weiter", wenn nach 30 Sekunden noch nicht der Refrain beginnt. Ein Plattenspieler bietet diese Option nicht und lädt stattdessen zur Muße ein. Wer eine Schallplatte auflegt, hört bewusster und lässt sich wohl eher darauf ein, neues zu entdecken.

Unabhängig von der Klangqualität könnt ihr als Band euren Fans mit einer Schallplatte also vielleicht mehr geben als nur mit dem Download-Link oder einer CD! Die klanglichen Eigenheiten des Vinyls sollte man aber im Hinterkopf haben, wenn man seine Songs produziert und später auf Schallplatte rausbringen will. Denn nicht alles, was in der digitalen Audioworkstation eindrucksvoll klingt, lässt sich so auch auf Vinyl pressen, weiß Björn Bieber. Bieber ist Inhaber der Firma Flight13 Duplication in Karlsruhe, die auch Aufträge für Vinylpressungen entgegennimmt.

Tipp 1: Dominante Höhen meiden

"Wenn du einen sehr guten Plattenspieler hast, kann eine Platte großartig klingen", erklärt Bieber. Ernüchternd könne das Hörerlebnis hingegen auf einer weniger guten Musikanlage ausfallen; allein eine schlechte Nadel sei schon problematisch. "Dann kann dieselbe Platte katastrophal klingen", so Bieber. Um solch eine Enttäuschung zu vermeiden, hat der Fachmann einen Tipp: "Im Prinzip gibt es beim Vinyl nur eines zu beachten, und das sind die Höhen. Die Auslenkung der Rillen bei den Höhen ist sehr gering. Die Rillen machen also keine weiten Bögen, sondern sind sozusagen gezackt."

Und genau hier wird es kritisch, wenn die Platte nicht auf einem hochwertigen Gerät mit idealer Nadel abgespielt wird. "Wenn die Höhen zu laut werden, kann die Nadel diesen schnellen Auslenkungen nicht mehr folgen und die Platte klingt verzerrt", berichtet Bieber, "und weil nur die wenigsten einen guten Plattenspieler haben, sind die Höhen der Flaschenhals."

  • Schon beim Aufnehmen und Abmischen sollte man also darauf achten, dass S-Laute der Gesangsaufnahme oder Becken und Hi-Hats nicht dominieren.
  • Scharfe und übermäßig brillante Höhen sollte man vermeiden.
  • In der Regel profitiert davon auch die CD-Version, so dass man eigentlich nicht unbedingt zwei unterschiedliche Master braucht.

Tipp 2: Bassfrequenzen mono in die Mitte legen

"Die Bässe können nicht in Stereo abgebildet werden", ergänzt Bieber, doch das ließe sich meist auch im Presswerk noch beim "Schnitt" korrigieren – dem Vorgang, bei dem die Musik als Rille in das Ur-Template der Schallplatte hineingeschrieben wird. Der Grund für diese Einschränkung: Phasenauslöschungen schlagen sich physikalisch im Vinyl nieder und können bei tiefen Tönen die Rille unterbrechen, so dass die Nadel herausspringt.

Doch empfehlen Toningenieure ohnehin, tiefe Frequenzen in Mono aufzunehmen und zu mischen. Unser Gehör kann Bässe nur sehr schwer im Raum lokalisieren; und über Kopfhörer klingen Stereoeffekte im Bass eher verstörend. Das fehlende Stereopanorama im tiefen Spektrum ist in den wenigsten Fällen eine echte Einschränkung.

Tipp 3: Keine Überlänge

Schließlich mahnt Bieber noch, unbedingt auf die Spielzeit der Platte zu achten. "Eine LP sollte nie länger als 20 Minuten pro Seite sein!" Andernfalls gehe das auf Kosten von Lautstärke und Dynamik, das Stereobild müsse eingeschränkt und Bässe herausgenommen werden.

"Prinzipiell gilt: je weiter die Nadel in die Mitte kommt, desto schlechter klingt die Platte; deswegen sollten höhenreiche Stücke an den Anfang einer Seite, denn die Höhen werden nach innen hin immer schlechter."

Natürlich könnte man den Klang, den eine Schallplatte ausmacht, auch gleich während der Produktion in die Aufnahme bringen und genauso auf CD pressen. Angenehme Verzerrungen wie den "Klirrfaktor", der Verzicht auf penetrante Höhen und ein Analogfeeling hätte man dann klangneutral in der eigenen Musik verewigt. Für das "warme Feeling" braucht es also kein Vinyl. "Ich finde, man darf eine Schallplatte nicht an der Qualität messen, denn da verliert sie immer, wenn du kein High-End-Gerät nutzt", meint Bieber zur Diskussionen um den Klang. "Die Frage was besser klingt lässt sich ohne Vodoo eindeutig beantworten: natürlich digital!"

Und trotzdem fügt Bieber hinzu: "Ich lasse mich auf die Nachteile einer Schallplatte ein, mir ist es egal wenn etwas zerrt. Und dadurch klingt eine Schallplatte für mich ‚besser’."

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