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Kampf gegen das Clubsterben

Die Bundesstiftung LiveKultur soll Musikclubs und Spielstätten erhalten, sagt Karsten Schölermann

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 28.05.2021

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Die Bundesstiftung LiveKultur soll Musikclubs und Spielstätten erhalten, sagt Karsten Schölermann

Karsten Schölermann, Inhaber des Knust und 1. Vorsitzender der Bundesstiftung LiveKultur. © Dierk Kruse

Schon lange vor der Coronakrise standen Musikclubs und Live-Spielstätten in ganz Deutschland unter Druck. Die neu gegründete Bundesstiftung LiveKultur soll Liveclubs in ihrem Bestand sichern und Clubbetreiber durch verschiedene Programme unterstützen. Wir sprachen mit den Vorsitzenden Karsten Schölermann und Anna Blaich über die Stiftung und ihre Ziele.

An der Spitze der neuen Stiftung steht ein bekannter Name: Karsten Schölermann, Betreiber des legendären Hamburger Musikclubs Knust und ehemaliger Vorsitzender der LiveKomm, setzt seine jahrzehntelange Tätigkeit für die Interessen der Musikclubs als Vorsitzender der Bundesstiftung LiveKultur fort. 

Zweite Vorsitzende ist Anna Blaich. Sie ist Projektmanagerin bei Next Mannheim und zweite Vorsitzende des Regionalverbands EventKultur Rhein-Neckar. Gemeinsam sprachen wir mit ihnen über die Ziele und Aufgaben der Stiftung.

Backstage PRO: Was soll die neue Bundesstiftung LiveKultur bewirken?

Karsten Schölermann: Im Grunde hat die LiveKomm eine Stiftung ins Leben gerufen. In der LiveKomm sind inzwischen mehr als 20 regionale Verbände von Clubbetreibern organisiert. Die LiveKomm hat sich eher zum nicht-gemeinnützigen Berufsverband entwickelt, der viel politische Lobbyarbeit betreibt, aber viele Teile der Arbeit der LiveKomm sind eigentlich gemeinnützig. Wir benötigen also eine Organisation, in die wir diese gemeinnützigen Anteile auslagern können: Das ist die Bundesstiftung LiveKultur.

"Wir müssen den gemeinnützigen Charakter der Clubarbeit betonen"

Backstage PRO: Was ist das Problem damit, dass die LiveKomm nicht gemeinnützig ist?

Anna Blaich: Es ist sehr schwierig, oft sogar unmöglich, öffentliche Mittel als nicht- gemeinnütziger Berufsverband zu erhalten. Die LiveKomm kann auch keines der Clubförderprogramme im Rahmen von Neustart Kultur abwickeln, weshalb die Initiative Musik das erledigt. Die Bundesstiftung soll ermöglichen, dass wir öffentliche Gelder oder Mittel anderer Stiftungen und Organisationen erhalten können.

Backstage PRO: Welche Themen sollen im Mittelpunkt eurer Arbeit stehen?

Anna Blaich: Durch Corona hat sich der Trend verstärkt, Musikclubs nicht mehr als Wirtschaftsunternehmen, sondern als kulturelle Orte zu verstehen. Daher ist es entscheidend, den gemeinnützigen Faktor der Clubkultur noch deutlicher in den Vordergrund zu stellen – und das geht hervorragend durch die Stiftung. 

Backstage PRO: Eine Stiftung braucht Geld. Woher stammt das denn?

Karsten Schölermann: Während des ersten Corona-Lockdowns hat Jägermeister eine Aktion mit dem Namen “Save The Night” veranstaltet, die sehr erfolgreich war. Die wollten auf einmal 85.000 Euro loswerden, aber natürlich an eine gemeinnützige Organisation. Dieses Geld bildet jetzt gemeinsam mit weiteren 15.000 Euro, die die LiveKomm bereitgestellt hat, das Stiftungskapital der Bundesstiftung.

"Wir wollten schon immer mal auf ein Schloss"

Backstage PRO: Warum hat die Stiftung ihren Sitz in Bayern, genauer gesagt auf Schloss Alteglofsheim bei Regensburg?

Karsten Schölermann: Wir wollten schon immer mal auf ein Schloss. (lacht) Nein, der eigentliche Grund besteht darin, dass der gesamte Gründungsprozess in Bayern zu diesem Zeitpunkt sehr einfach war. Auf Schloss Alteglofsheim hat der Verband für Popkultur in Bayern seinen Sitz und deren stellvertretender Geschäftsführer und jetziges Vorstandsmitglied Bernd Strieder hat hauptsächlich die Kommunikation mit der  genehmigenden Behörde geführt. Da haben wir uns eingenistet. Und jetzt geht es los, jetzt wird gepokert.

Backstage PRO: Was wollt ihr mit dem Geld jetzt machen? Mit 100.000 Euro kommt ihr ja nicht weit.

Karsten Schölermann: Wir wissen durch unsere Clubstudie, dass 25% aller Clubbetreiber in Deutschland in den nächsten 10 Jahren ins Rentenalter eintreten werden. Das ist eine mächtige Zahl und bei den Jazzclubs ist sie noch höher. Nehmen wir den Cotton Club in Hamburg. Der Inhaber Dieter Roloff ist fast 80 Jahre alt und betreibt den Club seit fast 60 Jahren. Wenn es einen jungen Jazzwahnsinnigen gibt, der diesen Club übernimmt und ihn mit moderner Technik ausstatten will, dann wäre es mein Ziel, ihm ein Teil des Handwerks in der Clubakademie zu vermitteln, die wir gemeinsam mit der Clubstiftung Hamburg aufbauen wollen. Vielleicht gewinnen wir ja auch noch einen alten weißen Mann, der ihm ein paar Monate über die Schulter schaut.

Anna Blaich, Projektmangerin für kulturelle Stadtentwicklung bei NEXT Mannheim und 2. Vorsitzende der Bundestiftung LiveKultur

Anna Blaich, Projektmangerin für kulturelle Stadtentwicklung bei NEXT Mannheim und 2. Vorsitzende der Bundestiftung LiveKultur, © Capadol

Backstage PRO: Du sprichst es an: Das Clubgeschäft ist ja bisher überwiegend in männlicher Hand. Ihr wollt sicherlich auch für mehr Vielfalt sorgen.

Anna Blaich: Das betrifft nicht nur die Clubs, das betrifft das ganze Livegeschäft. Es wird auf jeden Fall eine wichtige Aufgabe der Stiftung sein, Bildungs- oder Ausbildungsangebote für diejenigen zu schaffen, die Lust auf LiveKultur haben, aber aufgrund fehlender Möglichkeiten dazu bisher keine Gelegenheit hatten. Das betrifft Frauen ebenso wie Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund oder auch aus der LGBTQ-Szene, für die Clubs ja essentieller Teil ihrer Kultur ist.

"Wir werden Grundstücke erwerben"

Backstage PRO: Zur Erhaltung der Clubkultur ist es ja unerlässlich, die bestehenden Clubgelände zu sichern. Die meisten Clubs sind ja Mieter und wenn der Eigentümer das Gelände an einen Investor verkauft, dann bedeutet das in der Regel das Aus. Was wollt ihr dagegen tun?

Karsten Schölermann: Wir werden versuchen, diese Grundstücke zu erwerben, wenn sie auf den Markt kommen. Das können wir natürlich nicht mit unseren nicht-vorhandenen Zinseinnahmen bestreiten, aber wir können Crowdfunding-Kampagnen aufziehen, damit viele Leute sich daran beteiligen, dieses Gelände aufzukaufen, notfalls indem wir die anderen Interessenten überbieten. Wir müssen Anteilseigner finden, die bereit sind 1000 Euro für solche Zwecke beizusteuern, nicht weil sie damit Gewinn machen wollen, sondern weil es ihnen um den Erhalt des Clubs geht.

Backstage PRO: Könntet ihr euch auch vorstellen, neue Gelände für Clubs zu erwerben?

Karsten Schölermann: Erhalten ist viel leichter, als neu aufzubauen. Die neu gebauten Clubs benötigen dreimal so viel Fläche wie die bestehenden Clubs, die Nebenkosten sind dreimal so hoch. Alte Konzessionen sind überaus wertvoll, daher geht es uns in erster Linie um Bestandsschutz. 

Backstage PRO: Ihr habt euer Bildungsprogramm angesprochen. Was stellt ihr euch da vor?

Anna Blaich: In der gesamten Szene gibt es unheimlich viel Wissen, das wir gerne weitergeben möchten. Es geht darum, ein sinnvolles Programm zu erstellen, das sowohl das Grundwissen abdeckt, als auch in die Tiefe geht. Das betrifft bau- und steuerrechtliche Aspekte ebenso wie die Antragstellung für Förderprogramme, die immer wichtiger wird. 

Karsten Schölermann: Wir werden aber die Aufgaben ganz sicher verteilen. Wir müssen und wollen nicht alles machen, sondern können uns die Zuständigkeiten mit den bestehenden Cluborganisationen aufteilen. Wir kaufen Grundstücke, andere kümmern sich um Bildungsangebote. Deutschland hat grob geschätzt 1000 Musikstiftungen. Eine Aufgabe wird darin bestehen, diese Stiftungen zu vernetzen und für Arbeitsteilung zu sorgen. 

"Die meisten Clubs sollten überlebt haben"

Backstage PRO: Hat die Coronakrise euren Bemühungen einen Schub verliehen?

Karsten Schölermann: Wir möchten die unfassbare Solidarität, die die Liveclubs in der Coronakrise erfahren haben, in Kraft umsetzen. Viele Clubs haben beträchtliche Summen bei ihren langjährigen Gästen und Unterstützern eingesammelt, die ihr Überleben gesichert haben. Diesen Schub wollen wir aufnehmen, um die Existenz der LiveKultur zu erhalten. 

Anna Blaich: Für mich hat sich in der Coronakrise die Frage aufgedrängt, wie Kulturgerechtigkeit künftig erreicht und gesichert werden kann. Kultur ist ja eine freiwillige Leistung, daher wird sich auch die sog. Hochkultur die Frage stellen müssen, ob nicht bei ihr auch in Kürze der Rotstift angesetzt wird. Die Bundesstiftung LiveKultur wird sich bei der sich an Corona anschließenden Diskussion beteiligen und die Interessen der Clubs vertreten.

Backstage PRO: Wie ist der Zustand der Clubszene nach Corona?

Karsten Schölermann: Das wissen wir nicht hundertprozentig. Große Clubs haben 90-95% Umsatzrückgang, die kleinen vielleicht etwas weniger, weil sie im Sommer Veranstaltungen gemacht haben. Zwei Drittel der Clubs haben von Förderprogrammen in irgendeiner Art und Weise profitiert. Das Strukturproblem bei den Clubs ähnelt dem der Soloselbstständigen. Dort, wo der Einzelclubbetreiber in die Grundsicherung geschickt wurde, haben wir die größten Probleme. Wenn der Club als Unternehmen organisiert war und die Löhne kurzarbeitergeldfähig waren, sind die Probleme geringer. Die Corona-Soforthilfe und die November/Dezemberhilfe haben auch geholfen. Die meisten Clubs sollten überlebt haben, aber genau werden wir das erst wissen, wenn die Krise vorbei ist.

Backstage PRO: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Unternehmen

Live Musik Kommission (LiveKomm)

Verband der Musikspielstätten in Deutschland e.V.

Verband für Popkultur in Bayern e.V.

Veranstalter, Musikunterricht und Ausbildung, Consulting und Coaching in 93087 Alteglofsheim

Locations

Knust

Knust

Neuer Kamp 30, 20357 Hamburg

Cotton Club

Cotton Club

Alter Steinweg 10, 20459 Hamburg

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