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Liebe dein Ohr wie dich selbst

Hörsturz, Tinnitus und andere Schäden vermeiden: Was du als Musiker über Gehörschutz wissen musst!

Tipps für Musiker und Bands von Christoph Miebach
veröffentlicht am 10.02.2017

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Hörsturz, Tinnitus und andere Schäden vermeiden: Was du als Musiker über Gehörschutz wissen musst!

© Dan Budiac (CC BY-NC-SA, Original: https://flic.kr/p/8Kzue)

Das Thema Gehörschutz kommt unter Musikern oft zu kurz. In diesem Artikel beleuchtet Christoph Miebach die Thematik genauer und gibt dir wertvolle Tipps an die Hand, wie du dein Gehör am besten schützt.

Eine ehemalige Schülerin von mir erlitt bei einer Band-Probe vor drei Jahren einen Hörsturz und spielt seitdem kein E-Bass mehr. Sie berichtete mir, dass sie einen Tinnitus (Ohrgeräusche) hat. Bei der damaligen Probe hatte sie ein einziges Mal keine Ohrenstöpsel in Gebrauch. Das Schlagzeug neben ihr war jedoch zu laut. Die Folge: Hörsturz mit anschließendem Tinnitus.

Musik nur, wenn sie laut ist?

Es ist jedoch fraglich, ob der Hörsturz wirklich von einer einzigen Probe herrührte. Es könnte auch sein, dass die getragenen Ohrenstöpsel bereits bei vorherigen Proben nicht richtig getragen wurden. Denn was viele nicht wissen: Sitzen die Stöpsel nicht komplett dicht im Gehörgang, so schützen sie das Gehör kein bisschen, auch wenn die Lautstärke subjektiv als geringer empfunden wird!

  • Die Notwendigkeit das Gehör zu schützen wird immer wieder unterschätzt.
  • Wenn du nicht gerade einen außergewöhnlich leisen Schlagzeuger neben dir hast, rate ich dazu immer Gehörschutz zu tragen.

Ich hatte selbst vor ca. 12 Jahren einen über mehrere Tage anhaltenden Tinnitus nach dem Besuch eines Motörhead-Konzertes. Damals hatte ich leider noch keinen vernünftigen Gehörschutz und ein leichtes Rauschen im linken Ohr ist bis heute geblieben.

Im Folgenden werde ich über den Aufbau des Gehörs und den aktuellen Stand der Wissenschaft zur Regenerierung eines geschädigten Gehörs informieren. Danach geht es um die Dezibel-Messung und die Lautstärkeneinwirkung im Verhältnis zur Dauer. Abschließend gebe ich Tipps, wie du dich bei Proben und Konzerten vor zu hohen Lautstärken schützen kannst.

1. Wie ist das Ohr aufgebaut?

Zu Beginn möchte ich kurz den Aufbau des Ohrs beschreiben. Man gliedert es in drei Teile: Das äußere Ohr, das Mittel- und das Innenohr. Uns interessiert das Innenohr mit der Hörschnecke (Cochlea) und seinen feinen Haarsinneszellen. Diese leiten den Schall als Nervenimpulse weiter zum Gehirn, so dass wir hören können.

Anatomie des menschlichen Ohres

Anatomie des menschlichen Ohres, © Chittka L, Brockmann (CC BY 2.5)

2. Sind Schäden des Gehörs irreparabel?

Stand der Wissenschaft:

  • Nach kurzen Schallbelastungen von 90-120dB können sich gesunde Haarzellen im Ohr nach einiger Erholungszeit regenerieren.
  • Wenn die Schallüberlastung jedoch über einen längeren Zeitraum andauert oder die Erholungszeiten nicht ausreichen, werden insbesondere die äußeren Haarzellen irreparabel geschädigt (Quelle: Knut Olaf Gundermann).

Es gibt in der modernen Medizin verschiedene Methoden – z.B. Tinnitracks – die Linderung für Tinnitus-Symptome versprechen. Jedoch ist die Vorbeugung von Hörschäden der beste Schutz gegen Ohrgeräusche und Hörverlust.

Zukunftsaussichten:

Ein wenig Hoffnung machen neueste Forschungsergebnisse: Durch die Deaktivierung des Notch-Proteins wurden 2013 bei Mäusen in der Cochlea Stützzellen in Haarzellen umgewandelt. Man kann sich aber vorstellen, dass die Umsetzung für den Menschen noch in weiter Zukunft liegt.

3. Wie kann Lautstärke gemessen werden?

"Lautstärke" kann nicht gemessen werden! Was physikalisch gemessen wird, ist der Schalldruck, der dann in einen Schallpegel umgerechnet und in Dezibel (dB) angegeben wird. Die Angaben steigen dabei exponentiell und bilden von 0 dB (Hörschwelle) bis ca. 130 dB (Schmerzgrenze) den gesamten Lautstärkebereich in überschaubaren Schritten ab.

"Das Gehör ist nicht in allen Frequenzbereichen gleich sensitiv. Generell werden tiefe Töne bei gleichem Schallpegel als weniger laut empfunden. Daher weicht das Gehör auch von der Dezibelskala ab“ (Quelle).

4. Funktionieren Dezibel Apps auf dem Smartphone?

Die meisten Smartphone-Mikrofone sind für die menschliche Stimme (300-3400Hz, 40-60dB) ausgelegt. Also sind die maximalen Werte der Hardware begrenzt. Beispiele: Motorola Milestone (max. 100dB), Galaxy S (max. 81dB), Galaxy S2 (98dB), Galaxy Tab und HTC Desire HD wurden mit echten Schallpegelmessern kalibriert.

Messung mit der Smartphone-App

Messung mit der Smartphone-App "Sound Meter" auf einem Ska-Konzert in der Trompete Bochum

Smartphones und Apps wie Sound Meter eignen sich also nur bedingt zur korrekten Messung des Schallpegels. Zwischen 80 und 100 Dezibel ist in der Regel Schluss mit einer genauen Messung.

Einen Anhaltspunkt, wann es zu laut wird und es Zeit für Gehörschutz ist, kann man dadurch trotzdem bekommen. Wenn man sich nämlich nicht sicher ist, ob es wirklich zu laut ist, kann man das Handy zücken und bei über 90dB auf Nummer Sicher gehen und seine Stöpsel einsetzen. Ab 15 Euro kannst du bereits ein Schallpegel-Messgerät kaufen, welches bis zu 130dB messen kann.

Schallpegelmesser der Marke COLEMETER

Schallpegelmesser der Marke COLEMETER

5. Welche Grenzen muss ich kennen?

Für Berufstätige, die jeden Tag lauten Maschinengeräuschen ausgesetzt sind, ist Gehörschutz bereits ab 85dB vorgeschrieben. Berufsmusiker empfinden laute Musik oft nicht als Lärm.

Im Normalfall ist ein Musiker auch nicht jeden Tag acht Stunden lang lauter Musik ausgesetzt. Gehen wir einmal von zwei Stunden täglich aus. Was bedeutet das für unser Gehör?

Schalldruckpegel und zulässige Einwirkungszeit bei Lärm: Wie lange kann jemand einen bestimmten Schallpegel aushalten, bevor ein Hörschaden eintritt?

Schalldruckpegel und zulässige Einwirkungszeit bei Lärm: Wie lange kann jemand einen bestimmten Schallpegel aushalten, bevor ein Hörschaden eintritt?, © Datenquelle: sengpielaudio.com

Ab ca. 120dB funktionieren die Reflexe im Ohr nicht mehr, die ein gesundes Ohr vor großer Lautstärke schützen kann. Bei vorgeschädigten Ohren kann diese Schwelle bereits bei 90dB liegen.

Wenn man davon ausgeht, dass verstärkte Konzerte ca. zwischen 90 und 110 dB laut sind, kann man laut Eberhard Sengpiel (siehe Tabelle) diese zwischen zwei Stunden (bei 90dB) und ca. eineinhalb Minuten (110dB) genießen ohne einen Hörschaden befürchten zu müssen.

Gerade der Bereich zwischen 90 und 110dB ist also interessant für uns. Ein Smartphone reicht hier zur Messung leider nicht mehr ganz aus!

6. Was kann ich tun, um nicht zu hohen Lautstärken ausgesetzt zu sein bei Proben oder Konzerten?

Du solltest überprüfen wie nah du am Schlagzeug stehst und wie laut es dort ist. Auch laute Bläser oder E-Gitarren können einen förmlich wegpusten. Zur Not solltest du wirklich einmal messen mit Hilfe einer Smartphone-App oder noch besser eines Schallpegel-Messers.

Bei Konzerten ist auch ein guter Bühnensoundcheck entscheidend. Liegen Monitore auf dem Boden, dann kann es schnell sehr laut werden. In-Ear-Monitore können hier für deutlich leiseren Bühnensound sorgen. Es gibt außerdem auch In-Ear-Monitore mit integriertem Gehörschutz.

Bei Proben empfehle ich mit den Bandmitgliedern zu sprechen. Auch nach mehreren Jahren gemeinsamer Proben kann man oft noch etliches an Lautstärke und Sound verbessern. Genauso solltest du als Zuhörer bei Konzerten aufpassen. Auch hier kann die Position zu den Boxen entscheiden, ob dein Gehör geschädigt wird oder nicht.

7. Welchen Gehörschutz brauche ich als Musiker?

Im Zweifel solltest du immer einen Gehörschutz einsetzen! Es gibt eine Vielzahl an Ohrenstöpseln. Zum Beispiel einfache Stöpsel aus Schaumstoff oder Wachs (Ohropax). Für Musiker gibt es geeignete Stöpsel mit Lamellen, aus Elacin oder Silikon (Ahead Earplugs).

Angepasster Gehörschutz der Firma Hearsafe

Angepasster Gehörschutz der Firma Hearsafe, © MKB 2017

Ich kann dir aus persönlicher Erfahrung zwei Möglichkeiten empfehlen dein Gehör musikgerecht zu schützen. Also so, dass du auch noch genug von der Musik hörst.

  • Das sind zum einen die Musicsafe Ohrstöpsel (mit Lamellen) von Alpine, für ca. 20 Euro für den kleinen Geldbeutel. Diese kommen jedoch bei der Durchlässigkeit für hohe Frequenzen schnell an ihre Grenzen und sitzen nicht in allen Gehörgängen wirklich gut.
  • Hauptsächlich empfehle ich einen individuell angepassten Gehörschutz (Elacin) aus dem Hörakustik Fachgeschäft. Kostenpunkt: ca. 90-180 Euro. Diesen gibt es sogar speziell für jede Arten von Musikern. Zum Beispiel für Bassisten wie mich, die dadurch eine bessere Wahrnehmung der bassrelevanten Frequenzen erhalten.

Im Endeffekt lohnt sich jede Investition in Gehörschutz. Denn, was gibt es wichtigeres für Musiker als unser Gehör?

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