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Bewährtes Veranstaltungskonzept

Jeder darf ans Mikro! Offene Bühnen empfangen Künstler und Publikum mit offenen Armen

Spezial/Schwerpunkt von Mario Rembold
veröffentlicht am 11.08.2016

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Jeder darf ans Mikro! Offene Bühnen empfangen Künstler und Publikum mit offenen Armen

Offene Buehnen bieten oft auch unerfahrenen Musikern eine Auftrittsmoeglichkeit. © Mario Rembold

Offene Bühnen bieten dir Gelegenheit, ins kalte Wasser zu springen, dich einem Publikum zu präsentieren und Kontakte zu nutzen. Nutze diese Möglichkeit!

Deine Künstler-Webseite steht, du hast mit deiner Band ein tolles Video und eine richtig coole EP aufgenommen, und natürlich bist du auch in den sozialen Netzwerken aktiv. Trotzdem fällt die Resonanz enttäuschend aus. Und ganz ehrlich: Wie oft entdeckst du selber denn irgendwo im Internet neue Musik und wirst daraufhin sofort zum Fan der Band?

Du erinnerst dich: Wenn du dir spontan eine CD deiner Neuentdeckung gekauft hast, dann war das meist bei einem Festival oder anderen Gelegenheiten, bei denen die Band live und wahrhaftig vor deinen Augen und Ohren musiziert hat. Tatsächlich berichten viele Musiker, dass sie vor allem bei Live-Auftritten CDs verkaufen und neue Fans gewinnen.

Doch genau da beißt sich die Katze in den Schwanz: Für Live-Auftritte braucht man ja erstmal ein Publikum, das an der Band interessiert ist. Es gibt aber eine ziemlich simple Möglichkeit, die eigene Band einem Publikum vorzustellen. Ganz ohne Plakate fürs eigene Konzert kleben oder Castings für Bandwettbewerbe durchlaufen zu müssen. Man suche sich einfach eine Offene Bühne in der Nähe.

Grundkonzept

Die Grundidee solcher Shows ist, dass prinzipiell jeder auftreten darf und meist ein Zeitfenster von fünf bis fünfzehn Minuten bekommt. Ein weiterer Vorteil: Man muss noch kein abendfüllendes Repertoire im Gepäck haben. Auftrittsmöglichkeiten für Jedermann (und –frau) bieten die Chance, überhaupt erstmal zu zeigen, dass man da ist. Man kann testen, was beim Publikum ankommt und sich mit anderen Künstlern vernetzen.

Doch es gibt nicht die Offene Bühne, sondern eine bunte Landschaft unterschiedlichster Mitmach-Konzepte. Bei der Offene Bühne Bergisch Land & Rheinland etwa darf "wirklich jeder" auftreten. Als Neuling bekommt man jedoch erstmal nur eine Auftrittszeit von rund fünf Minuten. Überzeugt der Newcomer auf der Bühne das Publikum, darf er beim nächsten Mal länger performen. Ebenso bekommen Leute, die bereits Kleinkunstpreise gewonnen oder aus dem Rundfunk bekannt sind, längere Auftrittszeiten. Prinzipiell kann man sich auch spontan während der Show als Künstler melden, doch eine Auftrittsgarantie für den konkreten Abend bestehe nicht, so die Organisatoren auf ihrer Webseite.

Ein Geschrei wie auf dem Rockkonzert

Wer in einer Kultstätte mit Vergangenheit auf der Bühne stehen will, der dürfte an der Scheinbar in Berlin Gefallen finden. Seit mehr als dreißig Jahren melden sich dort Künstler für Kurzauftritte an. Viele, die damals als Neulinge in dem Open Stage Varieté auf engstem Raum gespielt haben, sind heute bekannte Größen: Bodo Wartke oder Michael Mittermeier haben hier begonnen, und Liedermacher Sebastian Krämer, der eigensinnig zwischen Kabarett und Chanson experimentiert, hat der "Scheinbar in Berlin" sogar einen eigenen Song gewidmet und singt von der Stimmung im vollen Theater: "63 wenn’s fast auseinanderbricht, die machen ein Geschrei wie auf dem Rockkonzert."

Grundsätzlich darf auch heute noch jeder in der Scheinbar auftreten, betont Geschäftsführer Werner Krejny – "ausgenommen Jonglage mit laufenden Kettensägen", scherzt er und schränkt ein, dass gefährliche Darbietungen sowie gewaltverherrlichende und gesetzeswidrige Inhalte aufgeschlossen seien. Außerdem werde es bei mehr als zehn Leuten eng auf der Bühne.

Wer in der Scheinbar performen möchte, muss jedoch Geduld mitbringen; einfach weil sehr viele Künstler dort auftreten wollen, so Krejny. "Dies bedeutet, dass jeder auftreten kann – nur nicht immer an genau dem Abend, an dem er unbedingt möchte." Eine Gage oder Fahrtkosten zahlt die Scheinbar zwar nicht, aber: "Es gibt pro Abend ein alkoholisches Freigetränk." Und Nichtalkoholisches sei "frei bis zum Abwinken".

(Fast) alles erlaubt

Dass "alles erlaubt ist", macht den besonderen Charme vieler Offener Bühnen aus. Dabei kommt es vor, dass der Songwriter an der Gitarre zwischen Stand Up-Comedians und Zauberern landet. Wer sich unter anderen Musikern sicherer fühlt, kann sich aber gezielt nach Song Slams in seiner Umgebung umschauen. Dort erwartet das Publikum dann ausschließlich Musik.

Genau wie bei den Poetry Slams gilt hier in aller Regel: Was dargeboten wird, muss vom Künstler selbst verfasst sein! Meist sind nur akustische Instrumente erlaubt, und häufig dürfen nur ein oder zwei Musiker zeitgleich auf der Bühne sein. Somit sind Song Slams weniger für Bands geeignet. Stattdessen kann man natürlich einen Vertreter der eigenen Combo dorthin schicken, etwa um den neuen Song der Band im reduzierten Arrangement vorzustellen.

Gewinnen ist nicht alles

Und weil es sich um einen "Slam", also einen Wettkampf handelt, kürt das Publikum (entweder per Applaus oder über eine Jury) einen Sieger des Abends. Nicht bei allen Teilnehmern ist dieser Konkurrenzaspekt beliebt.

"Einige meinen, dass man in der Wettbewerbssituation Äpfel mit Birnen vergleicht", berichtet Anke Fuchs, die selber als Textpoetin bei Lesebühnen und Poetry Slams auftritt. Vor einigen Jahren hat sie den Song Slam "Saitenliebe" ins Leben gerufen, der zunächst in Köln stattfand und die letzten Male in Bonn ausgetragen wurde.

Viele Teilnehmer sehen die Frage nach dem Gewinnen aber auch gelassen, weiß Fuchs. "Ich habe in Köln häufig erlebt, dass sich Künstler vernetzt haben und dann bald darauf zu zweit oder dritt gemeinsam aufgetreten sind; da sucht sich einer in seiner Heimatstadt passenden Support, und umgekehrt."

Somit zeigt sich: Gewinnen ist nicht alles! Fuchs gibt aber zu, dass sich ein Auftritt bei längerer Anreise für viele Künstler in finanzieller Hinsicht nicht lohne, auch wenn man beim Saitenliebe-Slam eine Fahrtkostenerstattung bis zu einer gewissen Höhe absprechen kann. Für die Organisatoren sei es aber extrem schwer bis unmöglich, Aufwandsentschädigungen oder Gagen zu zahlen. "Finanziell haben wir ja selbst kaum etwas davon", entgegnet sie dem Vorwurf, Veranstalter würden sich auf Kosten der Künstler bereichern wollen.

Kapitalistenschweine

Wem der Applaus allein nicht reicht, der kann aber auch bares Geld mit nach Hause nehmen. Der Kölner Schauspieler und Theaterschaffende Gerd Buurmann hat sich nämlich ein Konzept ausgedacht, bei dem der Zuschauer zum Chef wird und die Gage der Künstler bestimmt. Eine ungewohnte Rolle für das Publikum, stellt Buurmann fest:

"Wir leben ja in einem Land, in dem die Kultur aus der Hand des Volkes genommen und der Politik übertragen wurde", spielt Buurmann auf die Subventionen für öffentlich geförderte Theater an, die dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Veranstaltern bekämen. Letztlich schade das der Kulturszene, ist Buurmann sicher und schlussfolgert: "Die Leute haben überhaupt kein Gefühl mehr dafür, was Kunst wert ist."

Als Gegenentwurf ging dann 2007 die erste Kunst gegen Bares über die Bühne, von Insidern gern auch mit "KGB" abgekürzt. Das Publikum zahlt ein geringes Eintrittsgeld – in Köln derzeit fünf Euro. Damit seien Aufbau, Technik und die Arbeit der Moderatoren abgegolten, nicht aber die Leistung der Künstler. Wer auftritt, bekommt ein Zeitfenster von rund zehn Minuten und darf präsentieren, was er möchte.

Anschließend erhält dann jeder Teilnehmer ein Sparschwein, und die Zuschauer werfen jeweils einen Betrag nach eigenem Ermessen ein. Dieses Geld bleibt zu 100 Prozent beim Künstler, so schreiben es die Regeln der KGB vor. Wer aber das meiste Geld in seinem Schwein hat, der darf sich zusätzlich noch mit einem ganz besonderen Titel schmücken: Das Kapitalistenschwein des Abends!

Kunst von Aachen bis Palma

Auch heute noch gibt es die Kunst gegen Bares in Köln – jeden Montag im meist ausverkauften Artheater vor rund 150 Zuschauern. Gerd Buurman und Hildegart Scholten sind als Moderatoren fester Bestandteil der Show und mittlerweile Kult in der Kölner Kleinkunstszene. Aber die Kunst gegen Bares hat sich auch jenseits der Domhauptstadt etabliert. Die Show gibt es mittlerweile von Hamburg bis München und von Aachen bis Dresden in dutzenden Städten Deutschlands. Sogar in Palma de Mallorca konnten Zuschauer schon eine Kunst gegen Bares besuchen.

Auch wenn die Grundphilosophie überall dieselbe ist, sollte man immer vorher bei "seinem" KGB-Veranstalter vor Ort nachhören, ob man sich für einen Auftritt anmelden muss oder spontan vorbeikommen kann. Ebenso sind die technischen Möglichkeiten mitunter eingeschränkt. Gerade in Sachen Soundcheck kann es in einer kleinen Location mit vielen Künstlern schwierig werden, wenn man zu viel Technik im Gepäck hat.

Niemals für die eigene Kunst entschuldigen!

Trotzdem steht die Bühne auch Bands offen, wobei häufig rein akustische Besetzungen gut ankommen. Buurmann erinnert sich an AnnenMayKantereit. "Die haben bei uns angefangen und starten jetzt gerade komplett durch."

Buurmann widerspricht dem Klischee, dass es Songwriter und Bands besonders schwer hätten, wenn sie zusammen mit Comedians in derselben Show auftreten. "Am Ende entscheidet bei uns eben nicht die Lautstärke des Applauses und was die Narrentrompete geblasen hat, sondern was die Leute mit dem Geld wirklich am meisten beeindruckt hat", berichtet er über seine Erfahrung, dass immer wieder Songwriter mit nachdenklicher Musik weit vorn landen; selbst wenn das Publikum sich während des Auftritts sehr still verhält.

Es gebe nur einen großen Fehler, den man als Musiker machen könne, wenn man nach dem Comedy-Act an der Reihe ist: Die Ankündigung Jetzt kommt aber ein ernstes Lied! "Dann hast du verloren", meint Buurmann und empfiehlt stattdessen, sich niemals für die eigene Kunst zu entschuldigen. "Wenn du ein ernstes Lied hast, dann geh auf die Bühne und spiel dein ernstes Lied. Das Publikum ist nicht blöd!"

Wie sich ein Auftritt bei "Kunst gegen Bares" finanziell auswirkt, lässt sich schwer vorhersagen. Auch in kleinen Locations kann es vorkommen, dass ein einzelner Act einen dreistelligen Eurobetrag mit nach Hause nimmt. An anderen Tagen ist das Publikum weniger spendabel, oder ein Auftritt hat einfach nicht funktioniert. "Maxi Gstettenbauer hatte beim ersten Mal Kunst gegen Bares 25 Cent in seinem Schweinchen", verrät Buurmann. Heute tourt der Comedian mit eigenen Programmen und ist immer wieder im TV zu sehen.

Marktwert des Künstlers?

Offene Bühnen können also helfen, sich als Künstler zu entwickeln. Nicht nur, weil man ohne großen Aufwand die Möglichkeit hat, sich live zu präsentieren und CDs zu verkaufen, sondern auch, weil man Gleichgesinnte kennenlernt und ein direktes und sehr ehrliches Feedback vom Publikum bekommt. Natürlich sollte man dabei auch in der Lage sein, mit Misserfolgen umzugehen und an sich zu arbeiten.

Doch was, wenn man schon einen gewissen Namen in der Szene hat? Kann es dann dem eigenen Ansehen vielleicht sogar schaden, wenn man zwischendrin auf Open Stages steht, neben Newcomern und Leuten, die keinen Ton treffen?

"Je besser man ist, desto eher sticht man positiv raus", meint der Schweizer Kabarettist Jan Rutishauser, der schon diverse Kleinkunstpreise gewonnen hat, 2014 als Finalist in die Schweizer Poetry Slam Meisterschaften einzog und auch bei Song Slams beim Publikum ankommt. Für Rutishauser ist es kein Widerspruch, an einen Tag mit einem bezahlten Auftritt gebucht zu sein und anschließend auf eigene Kosten zu einem Slam zu reisen. "Offene Bühne ist für mich Übung, um gezielt an etwas zu arbeiten", erklärt er und ergänzt: "Bei bezahlten Auftritten präsentiere ich ein fertiges Produkt, für das ich guten Gewissens Geld verlangen kann."

Tour-Promotion

Man kann Kurzauftritte bei Offenen Bühnen sogar gezielt nutzen, um die eigenen Konzerte zu promoten. Bassist, Sänger und Songschreiber Malte Quarz erklärt, wie seine Band Billy Rückwärts dabei vorgegangen ist. "In der Regel haben wir unsere Auftritte so getimet, dass wir eine Woche vor dem Gig in der entsprechenden Stadt eine Offene Bühne gespielt haben, wenn es uns möglich war." So erreiche man dann auch Publikum außerhalb der Liedermacher-Nische.

"Dass man seinen Marktwert zerstört, daran glaube ich gar nicht", kommentiert Quarz die Tatsache, dass man bei offenen Bühnen ohne feste Gage arbeitet. "Wir haben ja Auftritte bei offenen Bühne nicht beworben", ergänzt er, "dadurch wäre es für einen eventuellen Festivalveranstalter auch gar nicht möglich, zu sehen: Ah, die haben im Winter eine KGB gespielt, da kann ich die ja jetzt auch für einen Appel und ein Ei booken."

Offene Bühnen sind also mehr als bloß eine Nische für No-Name-Künstler. Und diese Mischung macht die Shows dann auch für das Publikum interessant. Auch hier auf Backstage PRO findet ihr immer wieder Auftrittsmöglichkeiten bei Offenen Bühnen in eurer Nähe, auch als Hinweis per Email, wenn ihr eure Region im Profil hinterlegt habt.

Wie sind deine Erfahrungen mit Offenen Bühnen bisher? Und wo sollte man als Künstler die Grenze ziehen, wenn es um die Frage nach der Gage und dem Wert der Kunst geht? Lasst uns diskutieren!

Artists

Billy Rückwärts

Liedermacher-Band aus Köln

Locations

Arttheater Köln

Ehrenfeldgürtel 127, 50823 Köln

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