×

"Es gibt eine Szene, die sich gegenseitig aushilft"

Jens Hertel vom Alten E-Werk Neckargemünd über lebendige Live-Kultur am Rande der Großstadt

Interview von Nadja Thomsen
veröffentlicht am 31.08.2017

jens hertel sven wittmann the playground live experience veranstaltungskonzepte konzertorganisation

Jens Hertel vom Alten E-Werk Neckargemünd über lebendige Live-Kultur am Rande der Großstadt

61inch bei The Playground Live Experience. © Jens Hertel

Die Veranstaltungsreihe "The Playground Live Experience" gehörte zwölf Jahre lang mit insgesamt 111 Ausgaben fest zur Musikszene der Region. Dass am Rande der Großstadt auch weiterhin etwas geboten ist und wo die Herausforderungen dafür liegen, darüber sprachen wir mit Jens Hertel vom Alten E-Werk Neckargemünd.

Backstage PRO: "The Playground Live Experience" gab es wirklich lange. Ausgabe Nr. 111 zu Sommerbeginn markiert nun das vorläufige Ende der Reihe. Wie entstand ursprünglich überhaupt die Idee?

Jens Hertel: Das ist so entstanden, dass Sven Wittmann, ein Musiker aus der Rhein-Neckar-Region, mit dem ich aber auch in Neckargemünd auf die Schule gegangen bin, zur der Zeit im Ziegler live gespielt hat. Er wollte aber ein eigenes Projekt starten mit Fokus auf selbstgemachter Musik, eigene Lieder präsentieren und sich Gäste aus der Region einladen. Es war konzeptionell so angelegt, dass eben eigene Projekte, die man sonst eher nur im Freundeskreis kennt, auch mal präsentiert werden können. So war es auch für für junge Künstler immer möglich, die ersten Schritte auf der Bühne zu machen. Es ging zu 100% um handgemachte, eigene Musik. Von Rock und Punk bis Elektro mit Installationen und so weiter war echt alles dabei.

Backstage PRO: Was genau war das Erfolgsrezept der Reihe?

Jens: Genau der Punkt, dass man eben Musiker, die man in verschiedenen Konstellationen vielleicht sogar schon öfter auf der Bühne gesehen hatte, hier mit ihren persönlichen Konzepten erleben konnte. Alles hochkarätig, alles gute Musiker – das ist wohl auch das Geheimnis dahinter, dass ein großes Stammpublikum entstanden ist. Beinahe eine Art Familie, die immer wieder kommt und dann halt gucken: "Was gibt’s diesmal denn? Es ist ja eigentlich immer gut!“.

Backstage PRO: Du hast bei den Konzerten regelmäßig fotografiert und planst ein Fotobuch zu den Highlights. Hast du ein ganz persönliches Highlight aus der Zeit?

Jens: Puh, das ist schwierig zu sagen – das waren ja schon so viele. Immer wieder sind Musiker öfter da, in verschiedenen Projekten mit verschiedenen Bands. Da sieht man dann, welch eine Vielfalt es gibt. Zum Beispiel war der Konzertschlagzeuger von Herbert Grönemeyer da, aber auch Bluesgrößen, die eben zufällig hier in der Gegend wohnen. TPLE gab eben einen Einblick in die Musikszene im Rhein-Neckar-Kreis in einer familiären Art. Und so war es fast jedes Mal ein Highlight, immer was Neues.

"Es wäre wünschenswert, dass noch mehr Leute hierher finden"

Backstage PRO: Wie kann sich der Bereich Veranstaltungen im E-Werk nun weiterentwickeln?

Jens: Was grundsätzlich zu toppen ist, ist natürlich die Zuschauerzahl. Es wäre wünschenswert, dass noch mehr Leute hierher finden. Das Problem ist, dass – selbst wenn man gute Werbung macht, also erklärt wer da kommt und die Leute diese Künstler auch kennen – solche Events in Vergessenheit geraten. Mittlerweile hat man auch hier schon sehr viel Konkurrenz, es gibt ein großes Angebot. Das Ziel ist also, dass regelmäßig mehr Menschen kommen. Bei Playground hatten wir zum Beispiel eine lockere Bistrobestuhlung mit der Möglichkeit, vorne zu tanzen. Eine angenehme Zielgröße sind dann so zwischen 70 und 110 Besuchern, das ist für das Publikum und die Bands dann ein tolles Erlebnis.

Backstage PRO: Wer veranstaltet im E-Werk, wer ist aktiv?

Jens: Das Booking für die Events lief schon immer über Partner des E-Werks, so wie TPLE über Sven Wittmann lief. Dann gibt es noch den Kulturverein Neckargemünd oder den Metal Club Odinwald. Wer sich immer direkt bei mir melden kann sind Newcomer unter 27, für sie kann donnerstags eine Bühne zur Verfügung gestellt werden. Eine Grundausstattung an Technik kann kostenfrei genutzt werden und Eintritt bis 5€ können die Künstler in voller Höhe behalten.

Backstage PRO: Meines Wissens nach bist du nicht hauptberuflicher Eventmanager für das E-Werk. Wie kommt es also, dass du es immer wieder schaffst, spannende Projekte hier zu realisieren? Hast du eine bestimmte Inspirationsquelle?

Jens: Ich denke es ist wichtig, die richtigen Kooperationspartner zu finden, bei denen man merkt, dass die Chemie stimmt. Wenn sich jemand bei mir meldet, gebe ich das meistens an die Partner weiter. Es ist ja aber auch so, dass das Gebäude den hiesigen Vereinen offen steht. Das heißt, oft ist es so, dass ein Neckargemünder Verein kommt und sagt "Wir würden gern mal was machen" und sich daraus dann etwas ergibt, das super klappt und das man auch wiederholt.

So ist zum Beispiel die Kooperation mit dem Metal Club Odinwald entstanden. Das sind Leute, die aus dem Odenwald kommen, aber wegen ihres Studiums oder Berufs nicht mehr hier in Neckargemünd wohnen, aber regelmäßige Metalkonzerte hier veranstalten. Das kommt super an. Das Gesamtkonzept der Veranstaltung muss eben hier reinpassen.

Dazu muss man noch wissen, dass wir unter der Woche Schulen und Jugendarbeit bei uns haben, das heißt, wir sind also schon ziemlich gut gebucht, wenn wir über verfügbare Termine reden. Ich verwalte dabei das Gebäude und ja, ich mache das ehrenamtlich. Je nach Veranstaltung bin ich persönlich allerdings nicht sehr involviert, sondern die jeweils eigenen Teams für Aufbau, Abbau, Theke und so weiter. Umso besser, wenn das schon eingespielt ist – noch ein guter Grund dafür, dass man Partnerschaften aufbaut und weiterpflegt.

"Die Szene ist schon sehr breit aufgestellt"

Backstage PRO: Wie beurteilst du allgemein die Live-Szene in der Region? Was fehlt und ist eure Lage hier außerhalb der größeren Zentren der Metropolregion eher ein Vor- oder eher ein Nachteil?

Jens: Das E-Werk ist eigentlich sehr gut gelegen. In Heidelberg oder den größeren Städten ist schon sehr viel los, daher haben wir hier die Möglichkeit für solche Nischen-Geschichten. Wenn man etwas macht, das für die Leute interessant ist, kommen sie auch aus Heidelberg oder dem Odenwald hierher. In Heidelberg hat man zwar ein größeres Publikum, aber auch mehr Aufwand, der ehrenamtlich kaum noch zu leisten ist. Vom Platz her ist das hier also genau richtig.

Die Szene ist schon sehr breit aufgestellt – das hört man besonders oft von Leuten, die von außerhalb kommen. Sie sagen: "Wahnsinn, was ihr hier im Rhein-Neckar-Kreis an verschiedenen Möglichkeiten habt, an Bands, an Stilrichtungen…!"

Das Schöne ist, dass es hier eine Szene gibt, die sich gegenseitig aushilft. Man kommt in Ladenburg aufs Stadtfest, schaut auf die Bühne und denkt sich "hach was macht der denn hier bei denen" – das ist ein riesiges Netzwerk, bei dem manche Künstler in scheinbar zahllosen Bands spielen.

Backstage PRO: Welche finanziellen Möglichkeiten gibt es, um den Künstlern im E-Werk Gagen zu bezahlen?

Jens: Nehmen wir nochmal TPLE als Beispiel: Die Künstler bekamen den Eintritt. Große Kosten fallen ja nicht an, da die Stadt das Gebäude für genau diesen Zweck zur Verfügung stellt. Gerade bei Playground haben wir auch darauf geachtet, dass immer wieder Künstler möglichst unter 27 dabei sind, um noch in den Förderrahmen zu kommen. GEMA und KSK – klar, aber sonst gibt es keine anderen Kosten. Und es gibt auch keine Gewinnerzielungsabsicht. Ich muss also nicht über die Theke diese Kosten abdecken, die Leute machen das ja ehrenamtlich.

Diese Rahmenbedingungen muss man allerdings auch immer wieder dazusagen, denn sonst kommen Leute mit der Anspruchshaltung wie "hier ist alles professionell gemacht, also muss ich auch professionell bedient werden“ – aber das zu klären gehört grundsätzlich zur guten Kommunikation miteinander.

Backstage PRO: Es wird ja allgemein viel über die Situation von Spielstätten diskutiert. Wie stehst du dazu: Wo siehst du Probleme, wo die Potenziale?

Jens: Die Clubsituation ist schon eine schwierige geworden. Ich denke, die professionellen Clubs haben es schon extrem schwer und auch für uns ist es nicht einfacher geworden. Es gibt schon organisatorisch sehr viel, was man beachten muss. Und das Publikum erwartet heute eine unheimliche Qualität.

Was es früher oft gab, nämlich Jugendzentren mit Livemusik, wo die Musiker sich sozusagen ans Publikum gewöhnen konnten und erst später den Schritt auf professionelle Bühnen wagten, das gibt es heute immer weniger. Solche Nachwuchsarbeit findet dann teilweise quasi in professionellen Clubs statt, aus der Leidenschaft heraus, wobei das Problem aber ist: es kommt kein Geld rein! Bei diesen Locations gibt es ja immer eine Mischkalkulation, sie müssen schauen, dass sie drei bis vier Highlights im Monat haben, bei denen was hängen bleibt.

Das ist bei uns alles etwas anders. Wir stellen ja eigentlich nur die Bühne zur Verfügung. Ich würde unsere Situation hier also wirklich nicht aus einer Club-Perspektive sehen, das ist ja eher noch ein städtisches Gebäude, das von Vereinen genutzt wird, um aufzutreten. Es muss der jeweilige Verein sehen, wie es mit Finanzierung, Werbung und allem drum und dran für das jeweilige Event klappt.

Backstage PRO: Mit deinem besonderen Blick auf die junge Generation: Gibt es den Bedarf an Räumen zum eigenen Ausprobieren noch?

Jens: Auf jeden Fall, nur nicht mehr in der Art und Weise, wie es früher der Fall war. Diese selbstverwalteten Jugendzentren gibt es so nicht mehr: Wo ein Team von jungen Leuten da war, sich selbst organisiert hat, selbst Konzerte gemacht hat, selbst Abende gestaltet hat. Diese Zeit ist vorbei, zumindest momentan – wir wissen ja nicht, was noch kommt.

Vor 15 Jahren hatte man ja noch kein Handy, sondern man hat sich eben Freitagsabends getroffen, um zu gucken, was man macht. Da ist man in so einen Laden gegangen, hat sich hingesetzt, ein Bier getrunken und ist nach Heidelberg gegangen oder eben hier geblieben, je nachdem, was halt los war. Heute haben alle Handys, man braucht keinen Startpunkt mehr, man trifft sich direkt da, wo man ausgemacht hat. Und das merkt man hier in Neckargemünd ganz klar auch an der Gastronomie: Da ist also unter 30 eigentlich niemand anzutreffen. Alle jüngeren haben ihr Ticket, um nach Heidelberg zu kommen – und da ist das Angebot deutlich größer.

"Projekte und Bands entstehen nicht mehr in der eigenen Garage"

Auf der anderen Seite hat etwas ganz anderes zugenommen. In gewissen Dingen ist die heutige Jugend nicht so selbstständig wie früher. Das heißt, man nutzt gerne professionelle Angebote: Die Musikschulen haben Zulauf, Bandprojekte in den Schulen haben Zulauf – Aktivitäten, die man in man in einer Art betreutem Rahmen macht. Es gibt einen Lehrer mit dem macht man halt so Sachen. Dafür gibt’s diesen Raum hier bei uns. Musikschulen spielen hier, Bands aus Schulen spielen hier. Sie alle machen hier ihre ersten Schritte. Aber diese Projekte und Bands sind eben nicht in der eigenen Garage entstanden, sondern die Jugendlichen haben sich entschlossen, für ein bestimmtes Projekt anzumelden – und das oft kostenpflichtig.

Natürlich kommen weiterhin eigene kreative Ideen von den Kindern und Jugendlichen, aber man will eben betreut werden. Das hängt vielleicht damit zusammen, wie die Schularten sich geändert haben. Durch Ganztageskindergarten über Ganztagsgrundschule bis hin zu Ganztagsgymnasium und -realschule ist man nichts anderes mehr gewohnt. Das ist kein Nachteil, aber ein anderes Umgehen. Die Freizeit wird weniger, also wird geschaut, dass sie effektiv genutzt wird. Und deshalb benutzt man gleich ein professionelles Angebot.

Backstage PRO: Eine spannende Beobachtung. Du siehst diesen Kontrast von früher zu heute bestimmt auch so, weil du selbst noch ganz anders zum E-Werk gekommen bist. Wie war das damals?

Jens: Ich gehöre zu den jugendlichen Gründungsmitgliedern. In Neckargemünd gab es bis 1988 ein Jugendzentrum, das war so eine Holzbaracke. Das ist den Weg der meisten Jugendzentren der 70er Jahre gegangen, nämlich insofern, dass da nicht unbedingt nur Jugendliche saßen, sondern auch hängengebliebene 40-Jährige, was zu Problemen führte.

Irgendwann wurde das Ding in einer Nacht- und Nebelaktion der Stadt abgerissen. Dann wurde der damalige Bürgermeister fast gerichtlich gezwungen, etwas Neues in die Wege zu leiten. Dann hat sich der Stadtjugendring eingeschaltet, hat hier Räumlichkeiten im Obergeschoss gefunden und über die Schulen ein Team zusammengestellt, das die Organisation in die Hand nahm – und ich bin das Überbleibsel dieses Teams.

Backstage PRO: Danke für das Interview, Jens, und weiterhin viel Erfolg!

Locations

E-Werk

E-Werk Neckargemünd

Dilsbergstraße 32, 69151 Neckargemünd

Kulturverein Neckargemünd / Altes E-Werk

Kulturverein Neckargemünd / Altes E-Werk

Hauptstraße 25, 69151 Neckargemünd

Ähnliche Themen

Selbst veranstalten: 5 Tipps zum Start einer eigenen Konzertreihe

Livekultur mitgestalten

Selbst veranstalten: 5 Tipps zum Start einer eigenen Konzertreihe

veröffentlicht am 05.07.2017   8

Selbst veranstalten: Von der Entstehung einer Idee zu den ersten Schritten der Planung

Starte dein eigenes Event

Selbst veranstalten: Von der Entstehung einer Idee zu den ersten Schritten der Planung

veröffentlicht am 10.11.2016   4

Newsletter

Abonniere den Backstage PRO-Newsletter und bleibe zu diesem und anderen Themen auf dem Laufenden!