Karsten Jahnke

Karsten Jahnke © Steven Haberland

Karsten Jahnke leitet seit 1972 die Hamburger Konzertagentur, die seinen Namen trägt. Wir sprachen mit ihm über steigende Ticketpreise, die Dominanz der US-Amerikaner im Livemusikgeschäft und welchen Künstlern er sogar permanent schlechte Laune verzeiht.

Karsten Jahnke, der seine Konzertagentur seit 1972 leitet, hat Künstler wie Marius Müller-Westernhagen, Herbert Grönemeyer und Depeche Mode in Deutschland aufgebaut und groß gemacht.

Heute veranstaltet die Agentur bis zu 600 Konzerte im Jahr, darunter Peter Gabriel, Elton John, Bob Dylan und Sting, aber auch Jazz-Größen wie Branford Marsalis und Gregory Porter.

Zwischen Irland und Hamburg

Bevor man das lichtdurchflutete Eckbüro betritt, hat Karsten Jahnke eingeschenkt. Es gibt grünen Tee, so wie in allen Büros der 35-Mann-Firma. "Jeder Azubi bekommt von mir erstmal einen Kursus, wie man Grüntee richtig zubereitet", sagt Jahnke mit deutlichem Hamburger Zungenschlag.

Sein legeres Poloshirt mit "Dubliners"-Aufdruck verrät: Schon lange ist er Irland, der Heimat der Irish Folk-Band, eng verbunden. Mittlerweile besitzt der 78-jährige ein Haus auf der grünen Insel. Dagegen ist die Luft an der Budapester Straße, unweit der Reeperbahn, wo er immer noch jeden Tag arbeitet, für ihn eine Zumutung.

regioactive.de: Welche Musik haben Sie heute schon gehört?

Karsten Jahnke: Heute habe ich noch nichts gehört. Während der Arbeit läuft bei mir keine Musik. Wenn ich abends hier noch sitze, dann höre ich häufig Musik. Entweder sind es Jazz- oder Soul-Platten, oder das, was man unter Liedermachern versteht: Johannes Oerding, Philipp Poisel, Herman van Veen. Meine Lieblingsmusik ist Jazz, aber ich bin allgemein musikaffin.

regioactive.de: Wie sieht Ihr typischer Tagesablauf aus?

Karsten Jahnke: Ich stelle den Wecker nicht mehr, aber ich wache zwischen 7 und 8 Uhr auf, mache Gymnastik, frühstücke, lese mindestens zwei Zeitungen und komme gegen halb elf Uhr ins Büro. Und arbeite bis abends um acht. Früher habe ich von 10 bis 23 Uhr gearbeitet. Die Zeiten sind vorbei, ich will mich nicht totarbeiten.

regioactive.de: Kommen wir zu spannenden aktuellen Themen: Ist 2016 ein einschneidendes Jahr für die Branche? Das Southside Festival wurde abgesagt, das Hurricane beinahe, 71 Menschen nach einem Blitzeinschlag beim Rock am Ring verletzt. Welche Folgen wird das haben?

Karsten Jahnke: Die Versicherungsraten werden steigen. Aber Unwetter im Juni sind nicht ungewöhnlich. Die Zwischenfälle haben sich in diesem Jahr gehäuft, aber bisher haben die Versicherungen den Schaden übernommen. Ich glaube nicht, dass die Veranstaltungsbranche finanziellen Schaden erlitten hat.

regioactive.de: Man hört, dass Marek Lieberberg Rock am Ring gar nicht abbrechen wollte, bis ihm dann schließlich die Lizenz entzogen wurde.

Karsten Jahnke: Das ist ein Vorteil. Er wurde zur Absage gezwungen, also muss die Versicherung zahlen. Aber es ist schwierig: höhere Gewalt ist höhere Gewalt – und die ist eigentlich nicht versicherbar.

regioactive.de: Werden die Ticketpreise nun stark steigen?

Karsten Jahnke: Die Preise sind schon jetzt so hoch, dass die Veranstalter in der Lage sein sollten, das finanziell aufzufangen. Aber die Ereignisse sind noch zu frisch, um jetzt schon etwas dazu zu sagen. Ein Festival von der Größenordnung von Rock am Ring hat unvorstellbare Produktionskosten. Für den Musikfan, der pausenlos Konzerte besucht, sind die Preise hart. Aber die meisten Leute gehen selten, und deswegen zahlen sie.

regioactive.de: Die großen Acts, die Mega-Konzerte von Rihanna, Beyoncé, AC/DC und Co. kosten mittlerweile mehr als 100 Euro.

Karsten Jahnke: Das Problem ist Folgendes: Früher haben die Amerikaner unsere Ratschläge befolgt, jetzt machen sie es selber. Live Nation zum Beispiel ist sehr dominant. Ein konkretes Beispiel: Wir hatten Lady Gaga im Stadtpark, als sie noch nicht ganz so groß war. Wir haben 3.000 Tickets für 40 Euro verkauft. Sehr sympathische Frau übrigens, die ganz genau weiß, was sie will. Ein halbes Jahr später veranstaltete sie Live Nation in der o2-Arena, heute Barclaycard Arena, mit einer Kapazität von 16.000 Besuchern und verlangten 80 Euro.

regioactive.de: Das war zu viel.

Karsten Jahnke: Man kann doch die Preise nicht nach einem halben Jahr verdoppeln! Das kann nicht funktionieren. Aber die Amerikaner ziehen das durch. Das ist eine Entwicklung, die mir missfällt. Natürlich muss man Geld verdienen, aber Geld ist nicht alles. Das kann nicht der Sinn der Musikbranche sein.

regioactive.de: Sie kennen sicher das Buch von Berthold Seliger: "Das Geschäft mit der Musik". Seine These lautet: "Das Musikgeschäft wird von Großkonzernen dominiert", die Vielfalt der Kultur sei in Gefahr. Es gäbe einen Quotenterror – es zähle nur noch, was sich verkauft.

Karsten Jahnke: Als Lieberberg an Live Nation verkaufte, gab es viele Befürchtungen. Wir haben festgestellt: die veranstalten auch nach wie vor viele kleine Acts. Es geht auch nicht anders. Du kannst nicht sagen: ich übernehme die Bands nur, wenn sie groß sind. Da hat Berthold Unrecht.

regioactive.de: Seliger sagt, er versteht sich als Kulturarbeiter.

Karsten Jahnke: So verstehen wir uns auch. Entscheidend ist ein sehr gutes Verhältnis zum Künstler. Du musst das Optimum für ihn rausholen, folglich kann es auch teurer werden. Wir haben diverse Künstler aufgebaut, und wenn man auch das Management eines Künstlers übernimmt, kann man sogar noch besser planen.

regioactive.de: Früher kam man aber leichter an die Künstler ran, oder?

Karsten Jahnke: Ein Künstler soll sich um seine Kunst kümmern. Wenn du einen Vorschlag für den Künstler hast, musst du den Manager ansprechen. Wenn du den Künstler direkt kontaktierst, hast du ihn sofort verloren, weil der Manager dann wütend ist, dass du ihn übergangen hast. Manager, die das Sagen haben, werden allerdings seltener. Wenn du 20-25% an einem Künstler verdienst, dann sagst du ihm nicht unbedingt die Wahrheit, denn es gibt wenige, die mit Kritik umgehen können. Viele Künstler halten sich für Halbgötter. Mit den meisten Managern habe ich aber ein sehr gutes Verhältnis. Das ist immer das Schönste, wenn du einen Künstler groß machst und er groß bleibt, so wie Herman van Veen.

regioactive.de: Wie macht man eine Band in Deutschland groß?

Karsten Jahnke: Du musst spielen, spielen, spielen. Johannes Oerding ist ein gutes Beispiel. In seinem Fall haben wir die Dosis kontinuierlich erhöht und jetzt zwei Mal den Stadtpark ausverkauft. Nächstes Jahr spielt er in der Barclaycard Arena. Im Jazz ist Michael Wollny ein gutes Beispiel. Ich halte ihn für das größte Talent, das wir je in Deutschland hatten. Ich habe neun Jahre gebraucht, um ihn so weit zu bringen, dass er die Laeiszhalle füllt.

regioactive.de: Wie setzt sich eigentlich der Ticketpreis eines Konzerts zusammen?

Karsten Jahnke: Ein Konzert in einem Club mit der Kapazität von 500 Zuschauern, z.B. dem Knust, verursacht Kosten von ungefähr 10.000 Euro für Saalmiete, GEMA, Plakatierung, Security, und Catering. Der Künstler verlangt 4.000 Euro Gage, was einen Eintrittspreis von 30 Euro ergibt. Bei solchen Club-Veranstaltungen sehe ich keine Möglichkeit, Preise zu senken. Dieses Problem existiert auch im Jazz: die Miete für ein Theater mit 300-400 Leuten kostet 4.000 Euro – und das Theater verdient noch nicht mal was. In schönen Hallen, ob das nun die Alte Oper in Frankfurt oder die Elbphilharmonie ist, kostet alleine die Miete über 20.000 Euro.

regioactive.de: Hat Jazz es besonders schwer in Hamburg?

Karsten Jahnke: Eigentlich hat es sich verbessert, aber es gibt keinen Ort, wo man mit Jazz sicher 250 Zuschauer anlockt. Erwiesenermaßen interessieren sich nur 1% der Leute für Jazz. Deshalb muss man sein Programm öffnen, wenn man ein erfolgreiches Jazz-Festival machen will und versuchen, die allgemein Musikaffinen zu erreichen. Es gibt mittlerweile sogar viele Musiker, die den Begriff Jazz nicht mehr benutzen. Ich finde das nicht ok, kann es aber nachvollziehen.

regioactive.de: Sie haben Ihre Leidenschaft für Jazz bereits betont und u.a. die renommierten JazzNights ins Leben gerufen. Aber die künstlerische Leitung des Elbjazz ist etwas Neues für Sie.

Karsten Jahnke: Es gab schon immer einen Beirat, in dem wir die Bands diskutiert haben. Ich war immer Partner des Elbjazz, habe mich aber nicht richtig um das Programm gekümmert. Das ändert sich jetzt. Es soll nach wie vor ein absolutes Jazz-Festival sein, aber wir wollen offener sein.

regioactive.de: Für die experimentellen Acts gibt es in Hamburg ja auch das Überjazz Festival.

Karsten Jahnke: Dafür ist mein Sohn Heiko verantwortlich, der einen exzellenten Musikgeschmack hat. Aber leider ist das Überjazz bisher nicht profitabel. Für mich ist das ein wenig unverständlich, denn die Gäste sind immer begeistert. Aber das Problem ist die Größe. Alle denken immer, es sei voll, aber wir könnten 700-800 Karten mehr verkaufen, und dann würde es sich rechnen.

Dieses Jahr haben wir das Cinematic Orchestra, vielleicht hilft das. Allerdings hat Herbie Hancock 2012 auch nicht geholfen. Der hatte damals einen schlechten Tag. Herbie ist ein unheimlich sympathischer Typ. Er ist Buddhist, und dadurch schon wesentlich ruhiger als alle anderen. Es kann passieren, dass er das Publikum eine Dreiviertelstunde warten lässt. Wenn er meditiert muss man auch nicht in die Garderobe gehen. Aber bei einem anderen Konzert in Schleswig-Holstein kam er direkt aus LA – und war topfit.

regioactive.de: Beim Elbjazz haben sich über die Jahre eine Millionen Euro Verlust angesammelt. War die Ablösung von Tina Heine Ende 2015 unabwendbar?

Karsten Jahnke: Die beiden Gründerinnen Tina Heine und Nina Sauer ergänzten sich gut. Und der Name Elbjazz – genial! Die Idee zu so einem Festival hatte ich schon vor 30 Jahren, aber es war einfach zu teuer. Also meinte ich zu ihnen: "Kommt erst wieder, wenn ihr jemanden habt, der mit einsteigt." Das war dann Folkert Koopmanns mit FKP Scorpio. Er hat mit Jazz gar nichts am Hut, deshalb haben wir das Risiko gedrittelt. Um zukünftig Verluste zu vermeiden, müssen wir das Festival einfach kommerzieller ausrichten.

regioactive.de: Wie soll das genau geschehen?

Karsten Jahnke: Wir haben ein Jahr ausgesetzt und jetzt haben wir mit der Elbphilharmonie ein neues Pfund. Das wird gigantisch! Von dem Bau bin ich restlos begeistert.

regioactive.de: Wie haben sie angefangen, Konzerte zu veranstalten. In den 1960ern war das noch ein Feierabendjob, richtig?

Karsten Jahnke: Genau. Ich bin gelernter Im- und Export-Kaufmann und habe jahrelang eine Spedition geleitet. Gemeinsam mit den Lehrlingen haben wir bis zu zwölf Konzerte im Monat veranstaltet. Das war immer nur Jazz, bis ich dann auf Insterburg und Co. stieß. Eine totale Nonsense-Gruppe mit Karl Dall. Das war so ähnlich wie bei Helge Schneider: du magst es, oder du magst es nicht.

Ich habe die Gruppe zehn Jahre lang veranstaltet und zehn Jahre lang war jedes Konzert ausverkauft. Die Einnahmen haben wir durch fünf geteilt. Das waren goldene Zeiten. Wir haben mindestens 150 Konzerte im Jahr gemacht. Dadurch konnte ich auch einige Verluste auffangen, die an anderer Stelle entstanden sind. Bei Peter Herbolzheimers Rhythm Combination & Brass habe ich einmal 250.000 DM verloren, Anfang der 70er Jahre. Enorm viel Geld. "Ist halt Pech", haben wir uns gesagt.

regioactive.de: Wann wurden Sie zum hauptberuflichen Konzertveranstalter?

Karsten Jahnke: 1972 habe ich mich selbständig gemacht. Wir hatten viele interessante Künstler. Mit Westernhagen und Grönemeyer war es immer ein Eiertanz. Du durftest den Namen des jeweils anderen nicht erwähnen, ich weiß nicht warum. Und wir haben immer Jazz gemacht, Pat Metheny beispielsweise von Anfang an. Fritz Rau und Horst Lippmann waren meine Vorbilder. Lippmann war der einzige Konzertveranstalter, den ich je kennengelernt habe, der nur das gemacht hat, worauf er Bock hatte. Rau war leider Choleriker. Aber er hat die ganz Großen veranstaltet: die Rolling Stones, Michael Jackson, Tina Turner, Bob Dylan.

regioactive.de: Schwierige Leute, oder?

Karsten Jahnke: Bei Dylan verliert man das Verständnis. Er ist pausenlos auf Tour und erweckt nie den Eindruck, dass er wirklich Lust hat. Oder einer meiner Helden: Van Morrison. Der ist ähnlich, man nennt ihn den "Stinkstiefel". Aber nach dem letzten Konzert im Stadtpark hat er ganz leise auf Deutsch "Auf Wiedersehen" gesagt. Das habe ich noch nie von ihm gehört. Und er hat gewinkt, als er ins Auto stieg. Ich habe eigentlich immer die Devise gehabt: das Leben ist zu kurz, um mit Arschlöchern zu arbeiten. Aber Van Morrison ist die Ausnahme. Das ist mein absoluter Top-Sänger.

regioactive.de: Ihre Erinnerungen könnten sicher Bücher füllen.

Karsten Jahnke: Die besten Geschichten kann ich nicht erzählen, weil ich dann verklagt werde. Wenn ich alleine an unsere Iggy-Pop-Tourneen denke. Das ging immer nur deshalb gut, weil unser Tourleiter mit ihm klar kam. Bei allen anderen hat er Konzerte abgesagt, das Backstage-Mobiliar zerlegt – bei uns nie.

regioactive.de: Das hört man häufig. Warum?

Karsten Jahnke: Künstler sind ganz besondere Menschen – das verstehen viele nicht. Wenn ein Künstler einen speziellen Wunsch hat, musst du nicht diskutieren. Aber: wenn z.B. die Catering-Anforderungen idiotisch sind, ist das meistens gar nicht der Künstler. Die wissen davon oft gar nichts.

regioactive.de: Was ist die problematischste Eigenschaft von Musikern?

Karsten Jahnke: Die wenigsten Künstler können mit Kritik umgehen. Aber du musst Leute haben, die es gut mit dir meinen, die berechtigte Kritik äußern dürfen. Ein Beispiel: Heinz-Rudolf Kunze. Keiner kann so gut mit der deutschen Sprache umgehen wie er. Bis "Dein ist mein ganzes Herz" kam, hatten wir nur Verluste mit ihm gemacht. Von da an waren die Touren erfolgreich. Aber er ist vom Habitus her kein Rock'n'Roller. Wir haben eine Literatur-Tour gemacht, mit seinem Pianisten. Das war sensationell.

regioactive.de: Was ist dann passiert?

Karsten Jahnke: Ich habe den Fehler gemacht, ihm das zu sagen: "Heinz, du bist einfach kein Rock'n'Roller." Das konnte er nicht ab, weshalb wir uns getrennt haben. Ich stehe nach wie vor dazu. Und wir sind noch befreundet.

regioactive.de: Das Musik-Business hat sich stark gewandelt. Platten werden die Leute in 20 Jahren vielleicht nicht mehr kaufen.

Karsten Jahnke: Vinyl war ja auch schon totgesagt. Man sieht es besonders bei kleinen Jazz-Konzerten: die verkaufen nach einem Konzert mit 120 Leuten noch 35 CDs. Aber Sie haben recht: Viele junge Leute haben gar keinen Bezug zu Tonträgern. Hingegen laufen Live-Konzerte hervorragend. Es gibt ja auch nichts Besseres.

regioactive.de: Nächstes Jahr werden Sie 80. Sie sind immer noch Managing Director der Firma Karsten Jahnke.

Karsten Jahnke: Ich habe Spaß dabei. Aber wenn man nicht gesund ist, kann man das nicht mehr machen. Man muss schon realisieren, dass man ein gewisses Alter erreicht hat und auch mal kürzer treten.

regioactive.de: Heinz-Rudolf Kunze hat Sie einmal als "Hanseaten im besten Sinne" bezeichnet. Was bedeutet das für Sie?

Karsten Jahnke: Ich habe nie Wert auf Verträge gelegt. Ein Handschlag sollte ein Handschlag sein. Und das habe ich bislang so gelebt. Keiner kann mir vorwerfen, dass ich ihn gelinkt hätte. Das ist für mich hanseatisch.

regioactive.de: Herr Jahnke, wir danken Ihnen vielmals für Ihre Zeit und dieses spannende Gespräch. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und Spaß mit den kommenden Events!

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