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Gitarristin, Musikpädagogin, Veranstalterin

"Mein Plan B": Interview mit Maria Hülsmann vom ROCKAUE Festival

Interview von Martell Beigang
veröffentlicht am 04.07.2017

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"Mein Plan B": Interview mit Maria Hülsmann vom ROCKAUE Festival

Maria Hülsmann. © (privat)

Nur wenige Musiker leben davon, ausschließlich mit ihrer eigenen Musik auf der Bühne zu stehen. Für die meisten Profis besteht ihr Job aus ganz unterschiedlichen Facetten. In seiner Serie "Plan B" stellt euch Martell Beigang Kollegen vor, die interessante Nischen besetzen. Heute: Maria Hülsmann (53) – Gitarristin, Musikpädagogin, Veranstalterin.

Maria trägt ihr Herz auf der Zunge. Man muß sie nur anstubsen, dann sprudeln interessante Geschichten aus ihr heraus. Sie hat schon immer tausend Sachen gleichzeitig gemacht, deswegen kam sie zu ihrer momentanen Tätigkeit fast ganz von allein.

Die dritte Ausgabe des ROCKAUE Open Airs steigt am 8. Juli 2017 von 12 bis 24 Uhr.

Backstage PRO: Maria, du veranstaltest das ROCKAUE Festival in Bonn dieses Jahr zum dritten Mal. Wie bist du dazu gekommen?

Maria: Vor drei Jahren bekam ich eine kurze Mail von Jürgen Harder, der unter anderem das Großevent "Rhein in Flammen" macht. Er hätte vor, das Rheinkultur Festival wieder aufleben zu lassen, das einige Jahre lang brach lag. Ob ich Lust hätte mitzumachen... Ich mußte nicht lange überlegen!

Einmal im Leben ein großes Openair selbst zu veranstalten, war schon immer ein Traum von mir. Ich sagte natürlich sofort ja. Dazu kamen dann noch mein Kollege Daniel, die Jungs vom Green Juice Festival und zwei Kollegen von Rheinevents, die Electronic Events veranstalten.

Backstage PRO: Was hast du vorher gemacht?

Maria: Wie die meisten Musiker: sehr vieles! Meine Vita ist ziemlich mäandernd. Ich wußte ziemlich früh, dass ich mein Leben mit Rock & Roll verbringen möchte. Aber wie sollte ich das angehen? Man wurde damals nirgendwo einschlägig beraten. Damals gab es so gut wie keine Rolemodels, geschweige denn eine Popakademie oder ähnliche Institutionen. Ok, man konnte klassische Gitarre studieren, Ambitionierte Rocker gingen ins MI nach Los Angeles. Eine Frau zu sein, machte es auch nicht gerade einfacher.

"Eigentlich arbeitete ich nur, um mir Konzertkarten zu kaufen"

Ich beschloß, zunächst Musikwissenschaft zu studieren. Fing in Bonn an und wechselte nach Berlin. Parallel dazu habe ich Gitarrenunterricht gegeben und den Gitarrenzweig der Yamaha-Musikschule mit aufgebaut. Daneben spielte ich in Bands und arbeitete als Rock-DJ. Eigentlich arbeitete ich nur, um mir Konzertkarten zu kaufen und ging fast jeden Abend aus. In Berlin ja ohnehin ein Muss. Mein Leben bestand quasi aus Gitarrespielen, tanzen gehen, Konzerten und sich tätowieren lassen. Genau das wollte ich machen, und vor allem wollte ich viele verschiedene Dinge gleichzeitig machen.

Nach zehn Jahren ging ich zurück nach Bonn. Als Experte im im Umgang mit den seltsamen Menschen, die das Rockbusiness bevölkern, war ich jetzt wirklich prädestiniert für den Job als Pressereferentin des Vereins Bonner Rockmusiker. Zudem fing ich in der Bonner Klangstation an zu booken, die damals ebenfalls vom VBR betrieben wurde.

Ich hatte mich in das Thema Nachwuchsförderung verliebt und gründete den gänzlich unkommerziellen Bandcontest "Popmotor", das bedeutet, wir haben dabei all das nicht gemacht, was heute so üblich ist: Startgeld verlangen, Mindestabnahme von Tickets, große Versprechen machen und nicht halten etc.

In den 10 Jahren, in denen ich das gemacht habe, habe ich unheimlich viel über Promotion gelernt. Außerdem durfte in kürzlich infolgedessen auch als Jurymitglied beim Popcamp debütieren, das vom deutschen Musikrat veranstaltet wird.

"Einmal im Leben ein großes Openair selbst zu veranstalten, war schon immer ein Traum von mir"

Backstage PRO: Zurück zum ROCKAUE Festival. Wie geht man so etwas an?

Maria: Zunächst braucht man einen Platz, der bespielbar und bezahlbar ist. Einen Platz, wo man niemanden stört und der gut erreichbar ist, wohin man gut Sachen anliefern kann, wo Gäste parken oder gar campen können, wo es genug Strom gibt – kurz: eine gute Infrastruktur. Da wir das Glück haben, den Verpächter der Rheinaue gut zu kennen, der uns nachhaltig unterstützt, haben wir genau so einen Ort.

Backstage PRO: Man fängt also an mit einem leeren Platz zu arbeiten?

Maria: Genau, man versucht den Partnern und Sponsoren mit denen man arbeiten will, einen Vertrauensvorschuß zu entlocken, indem man deutlich macht, dass man eine gut zu erreichende, beliebte Location hat, die beim entsprechenden Lineup viele Zuschauer anlocken wird, sodass man dort gezielt hochwertige Werbung platzieren kann.

Backstage PRO: Verstehe ich das richtig: Man braucht um ein Festival auf die Beine zu stellen auf jeden Fall einen Sponsor?

Maria: Wir sprechen hier nicht von einem 200 Leute Festival auf dem Acker, wo die Bands ohne Gage spielen. Wir sprechen von einem Event für mehrere tausend beziehungsweise mehrere zehntausend Gäste. Wenn man selbst zu Beginn nichts zahlen kann und immer nur sagt, wenn das Festival erfolgreich läuft, zahlen wir hinterher, kommt man nicht bei allen Partnern weiter. Bekannte Künstler zum Beispiel fordern natürlich Vorkasse.

Selbstverständlich gibt es auch befreundete Agenturen, die uns vertrauen und wissen, dass wir keinen Unsinn machen und sie in jedem Fall ihr Geld bekommen. Aber man muß im Vorfeld so oder so sehr viel Überzeugungsarbeit leisten. Und das kann man nur zusammen mit Menschen schaffen, die einem Vertrauen schenken.

Backstage PRO: Und was würde passieren, wenn keiner kommt?

Maria: Wir sind eine UG, also keine GmbH, das heißt wir sind haftungsbeschränkt. Im schlimmsten Fall gingen wir insolvent. Was natürlich auch keine feine Sache wäre. Tatsächlich bekommen wir keinerlei öffentlichen Zuschüsse, die irgendetwas abfedern könnten. Wir bleiben jedes Jahr im Risiko.

Backstage PRO: Wie läuft das Ganze praktisch?

Maria: So ein Festival ist ein Konstrukt. Es existiert 364 Tage im Jahr in der Cloud und man erzählt allen Agenturen, Sponsoren und Dienstleitern, dass es am Tag 365 real wird, und damit rechnet und kalkuliert man dann. Man muß Verträge so abschließen, dass auch vorher Geld an uns fließt, um wieder Dinge zu bezahlen, die gerade akut gebraucht werden. Sponsoren zum Beispiel bezahlen meist oder teilweise im Voraus. Auch die Vorverkaufs-Stellen zahlen portionsweise vorher an die Veranstalter.

Backstage PRO: Siehst du dich in erster Linie als Dienstleister für das Publikum oder bestückst du die Bühnen nach deinem persönlichen Geschmack?

Maria: Das ist eine Mischung. Natürlich haben ich und mein Team einen Kompetenzschwerpunkt (Metal und Rock). Beim ersten Festival gab es auf vier Bühnen Rock, Punk Metal, Electronics, Pop, Singer Songwriter, ein bisschen Worldbeat und DJs. Nach den ersten Ausgaben haben wir uns dann gefragt: Was will das Festival von uns, wo liegt das größte Bedürfnis unserer Zuschauer?

"Das Festival-Paket muß stimmen"

So ein Festival ist ein Organismus mit Herz, Kopf, Blutbahnen, unterschiedlichen Zellen, freien Radikalen, die für das Gute kämpfen oder auch welche, die Rambazamba machen und die Immunabwehr schwächen. Als Veranstalter mußt du jederzeit in der Lage sein, dir vorzustellen, was passiert in Sektor Z, wenn im Sektor A eine Bierflasche umfällt. Der sogenannte Butterfly Effekt. Und das ist die Kunst dabei. Man muß Interesse und Spaß daran haben, das Ganze zu sehen.

Im ersten Jahr hatten wir noch Welpenschutz und sind mit einer wilden Mischung eigentlich ganz gut gefahren. Die Agenturen sind uns sehr entgegen gekommen. Das war im zweiten Jahr schon nicht mehr ganz so einfach. Das zweite Mal ist immer das schwierigste. Wir haben das Gelände erweitert und eine fünfte Bühne dazu genommen.

Jetzt, beim dritten Mal setzen wir darauf, was am besten funktioniert hat, machen das, was wir am besten können. Wir fokussieren wieder stärker und achten extrem darauf, dass die Acts zusammen passen. Das Festival-Paket muß stimmen und nicht nur der Headliner. Die Leute kommen nämlich nicht nur wegen eines Künstlers. Deswegen setzen wir auf Homogenität. Wir machen daher diesmal keine Electronics mehr. In diesem Bereich gibt es schon zu viele andere tolle Veranstaltungen in Bonn. Wir haben uns zudem etwas vom Pop wegbewegt. Unter anderem deswegen, weil poppige Künstler sehr viel teurer sind als rockigere oder metallische.

Wir bieten diesmal eine rockiges, punkiges, bluesiges Festival für Jung und Alt auf drei Bühnen: Eine Heavystage, eine Mainstage und eine Talentstage für lokale Künstler. Wir buchen nach dem Motto: "Bands für Fans" und setzen dabei mehr auf Personality und Langlebigkeit der Künstler als auf One Hit Wonder.

Backstage PRO: Jetzt mal ehrlich: Hörst du dir jedes Demo an, das dir geschickt wird?

Maria: Ich höre die Frage sehr gerne. Aufgrund meiner Vita als Nachwuchsförderin kann ich nicht anders, als mir aus Respekt vor den Musikern alles anzuhören. Die meisten geben sich aber auch wirklich Mühe, nicht immer die richtige, aber immerhin. Ich beantworte sehr viele Bewerbungen und das mit mehr als einem Formschreiben, sage leider nein, aber vielleicht ein andermal, leider nein, das Logo oder die Bandinfo sind nichts, aber ich empfehle euch gerne weiter. So entstehen Gespräche für die Zukunft, davon kann ich nur profitieren. Nur auf "Wurfsendungen" reagiere ich grundsätzlich nicht.

"Wir bekommen inzwischen um die 2000 Bewerbungen pro Saison"

Backstage PRO: Kommen eigentlich noch Bewerbungen per Post?

Maria: Nein, heutzutage geht alles per Mail. Wir bekommen inzwischen um die 2000 Bewerbungen pro Saison. Bei den 30 Acts, die in den 12 Stunden bei uns spielen, kann ich allerdings nur 10 Slots "frei" vergeben. Es gibt ein Konzept, nach dem wir versuchen, ein harmonisches Programm zusammen zu stellen. Wir gehen an die Agenturen ran und äußern unsere Wünsche.

Es gibt tausend Gründe, warum die nicht alle erfüllt werden können: Die eine Band ist gerade in Australien auf Tour, die nächste ist zu teuer, dieser Tag ist schon belegt, dann beginnen umfangreiche Verhandlungen. Wenn dann das Lineup mit den bekannten Bands steht, gibt es für jede Bühne Opener-Slots. Und die Slots auf der Talent Stage. Dort betreiben wir bewusst Nachwuchsförderung.

"Wer schnell Geld verdienen will, sollte nicht unbedingt ein Rockfestival aus dem Boden stampfen"

Backstage PRO: Wie viel Prozent deiner Arbeit stellt das Festival dar?

Maria: Etwa 40 Prozent meiner Arbeitszeit stecke ich in die ROCKAUE, obwohl ich damit bislang kein Geld verdiene.

Backstage PRO: Aber das ist auf lange Sicht schon der Plan, oder?

Maria: Klar, aber im Moment ist das Festival noch lange nicht an dem Punkt, kommerziell zu sein, weil es zu viel kostet. Für die Macher bleibt bislang nichts übrig.

Kleiner Tipp: Wer schnell Geld verdienen will, sollte nicht unbedingt ein Rockfestival aus dem Boden stampfen. Es dauert in der Regel mindestens drei Jahre, bis ein nennenswerter Gewinn erzielt wird. Man braucht also definitiv einen langen Atem. Dieses Jahr könnte es soweit sein. Unsere Kalkulation gibt das her, weil wir routinierter geworden sind und weil wir bestimmte Kosten minimieren konnten. Aber wie immer bleibt noch der Faktor Wetter. Außerdem hat man es beim Rock & Roll ja bekanntlich mit ziemlich vielen Unwägbarkeiten zu tun.

Backstage PRO: Hast du Vorbilder in Sachen Festivalkultur?

Maria: Das ist für mich ganz klar die Rheinkultur. Das war für mich einfach das Festival überhaupt. Von der Location her, vom Gemeinschaftssinn, von der Orga und vom Lineup.

"Es ist der beste Ort auf Gottes Erdboden"

Backstage PRO: Meinst du Live-Musik hat Zukunft?

Maria: Auf jeden Fall. Das Publikum hat sich in all den Jahren nicht besonders verändert. Es will nach wie vor Stromgitarre hören und ist immer noch mit einem Lagerfeuer-Song zu begeistern. Ich glaube, das wird auch für immer so bleiben. Drei Akkorde: geil!

Wenn man über ein Festivalgelände läuft, dann ist das für mich der großartigste, friedlichste und angenehmste Ort der Welt. Die Bekloppten sind in Schach gehalten und dürfen dann auch bleiben, die Gemütlichen sitzen da und feiern, die Begeisterten hüpfen, es gibt lecker zu essen und zu trinken und irgendjemand spielt auf irgendeiner Bühne Achtel. Es ist der beste Ort auf Gottes Erdboden, a Kingdom for a Day, Weltfrieden...

Backstage PRO: Liebe Maria, vielen Dank, wir wünschen dir ganz viel Erfolg damit.

Mehr aus der Artikelserie "Plan B"

Lest auch unseren ersten Artikel: "Mein Plan B: Musik für Games": Jürgen Zimmermann – Musiker, Komponist und Sounddesigner

Locations

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Friedrich-Breuer-Straße 17, 53225 Bonn

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