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Vier Autoren und ein halbes Dutzend Briefings

Songs auf Bestellung: Wie auf einem Songwriting-Camp Musik und Texte nach Maß entstehen

Interview von Markus Biedermann
veröffentlicht am 26.05.2017

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Songs auf Bestellung: Wie auf einem Songwriting-Camp Musik und Texte nach Maß entstehen

"Schlagergipfel": Vier Autoren, eine Woche und ein halbes Dutzend Briefings aus der Musikindustrie. © (privat)

Seit Jan Böhmermanns Kritik an der Echo-Verleihung, Max Giesinger und "deutscher Industriemusik" ist auch Laien klar, dass viele Pop-Songs keineswegs nur von denjenigen komponiert und getextet werden, die am Ende als Künstler auf der Bühne stehen. Und das ist durchaus quer durch alle Genres üblich. Oft sind Autoren am Werk, die weitgehend hinter dem von ihnen geschaffenen Werk verschwinden – eine Arbeitsteilung, die es schon seit den frühen Jahren der Popmusik gibt. Wie entstehen eigentlich solche Songs, die gezielt nach "Briefings" ausgerichtet sind, durch die mal mehr, mal weniger detailliert Themen und Stilrichtung, ggf. auch Sprachstil und Tempo der gesuchten Titel vorgeben werden?

2014 haben sie sich während der "Celler Schule" kennengelernt. Inzwischen sind sie in diversen Genres selbst als Autoren unterwegs und haben mehrmals in verschiedenen Konstellationen und Projekten zusammengearbeitet:

  • Annette Jans, im Hauptberuf in der Werbebranche als Texterin für große Unternehmen tätig.
  • Andi Königsmann, gefragter Rundfunk- und Werbesprecher und Keyboarder diverser Bands in und um München.
  • Kurt Schoger, Bassist und Songwriter der Kölner Karnevals-Formation De Boore und als Schlagerkomponist mit mehreren Veröffentlichungen erfolgreich.
  • Erdmann Lange, Songtexter für Rock-Künstler ebenso wie beispielsweise für Klassik-Pop-Crossover-Acts oder Schlagerinterpreten.

Dieses Jahr haben sie den "Deutschen Schlagergipfel" ins Leben gerufen, der im März im österreichischen Obertraun im Salzkammergut stattfand. Den Titel ihres Unterfangens wählten sie mit einem Augenzwinkern und wollen ihn auch so verstanden wissen. Dennoch wurde aus der Spaß-Idee unter befreundeten Kollegen schnell ein ernsthaftes, von der Branche beachtetes Songwriting-Camp:

In kürzester Zeit reichten Firmen wie das auf Schlager spezialisierte Münchner Label Telamo, Viertbauer Promotion, Management mehrerer erfolgreicher österreichischer Acts, oder auch der Major Universal/Electrola sogenannte "Briefings" für die Titelsuche diverser Künstler ein, die eine Woche lang für Hochbetrieb im improvisierten Studio in einem angemieteten Ferienhaus in Obertraun sorgten.

"Am Anfang steht eine Bestandsaufnahme"

Backstage PRO: Ihr habt euch eine Woche Zeit genommen und ein halbes Dutzend Briefings aus der Musikbranche erhalten – wie geht man so ein Songwriting-Camp an?

Andi Königsmann: Am Anfang steht erstmal eine Bestandsaufnahme: Welche Titelgesuche von welchen Labels für welche Interpreten liegen uns vor? Welche sollten aufgrund von Deadlines für die Fertigstellung eines Albums oder aus anderen Gründen Priorität haben? Für welche liegen evtl. schon bei dem einen oder anderen von uns geeignete Songfragmente oder Skizzen "in der Schublade" – und was muss ganz neu geschrieben werden?

Kurt Schoger: Wir habend dann auch die Aufgaben untereinander möglichst sinnvoll verteilt: Andi und ich sind beide mit mobilem Studioequipment und Instrumenten angereist und seit Jahren erfahrene Live-Musiker. Wir werden schwerpunktmäßig mit der musikalischen Umsetzung und dem Recording beschäftigt sein.

Erdmann Lange: Annette und ich werden uns vor allem aufs Texten konzentrieren. Wobei die Grenzen natürlich fließend sind und uns zudem auch einige weitere Komponisten noch unbetextete Demos eingereicht haben, die als Arbeitsgrundlage dienen und an denen wir zusammen feilen werden. Also bei einem klassischen Writing-Camp, wie große Labels es manchmal gezielt für einen einzigen Künstler veranstalten, gibt es oft feste Dreier-Gespanne aus jeweils Texter plus ggf. noch Topliner, der auch die Melodie erarbeitet, Komponist und Tracker – das ist derjenige, der das Produktionsgerüst baut und aufnimmt. Das handhaben wir hier etwas anders.

Backstage PRO: Wo verlaufen da die Grenzen zwischen der gemeinsamen Arbeit und Phasen, in denen sich jeder auch mal ins stille Kämmerlein zurückzieht?

Annette Jans: Die Ideen- und Themenfindung findet im Team statt: Welche Titelzeile passt zu welchem Künstler? Welche Themen hat Künstler A auf seinem letzten Album besungen? Was wünscht sich Sängerin B laut Briefing der Plattenfirma für den kommenden Release? Wer präsentiert gern Autobiographisches und singt daher gern Texte in der "Ich-Form"? Wer erzählt lieber von großen Gefühlen, die jeder nachvollziehen kann – und spricht evtl. lieber sein Publikum mit "Du" an? Bei welchen Künstlern darf es textlich auch mal etwas anspruchsvoller werden, wer bevorzugt einfache Gute Laune-Titel, die möglichst einfach mitsingbar und vor allem tanzbar sind? Welche Tempi passen zum jeweiligen Interpreten? Welche Instrumentierung wird bevorzugt?

Wir diskutieren schon erstmal gemeinsam jedes einzelne Briefing und überlegen zusammen, wer was angeht.

Andi Königsmann: Und tagsüber gibt es dann unterschiedliche Phasen: Mal arbeitet jeder für sich, dann werfen wir die Ideen zusammen und abends schreiben wir gerne in lockerer Runde bei zwei, drei Bierchen alle gemeinsam. Wobei es nix schadet, das Ergebnis am Folgetag nochmal einer gründlichen Prüfung zu unterziehen…(lacht)

Annette Jans: Das wichtigste ist immer die Titelzeile des Songs, die "Hook", wenn man im Bereich der kommerziellen Unterhaltungsmusik unterwegs ist. Das ist für mich in der Werbung natürlich ganz genauso. Und da kommen einem gute Ideen sowohl im "stillen Kämmerlein" als auch in der Runde, wenn man zusammen herumspinnt.

"Die Auswahl der Teilnehmer ist ausschlaggebend"

Backstage PRO: Bei einer Woche kreativer Zusammenarbeit auf engem Raum, geht man sich da trotz der zwei, drei Bierchen zwischendurch nicht auch mal auf die Nerven?

Annette Jans: Schön ist es immer dann, wenn man mit seinem Textpartner in einen Flow kommt und sich die Reime wie Ping-Pong-Bälle zuspielt. Schwierig wird’s, wenn aus dem Zusammenspiel ein Machtspiel wird. Wie in jeder Arbeits- oder auch Privatsituation ist das dann ein Problem.

Andi Königsmann: Sofern die Chemie stimmt, was bei uns der Fall ist, gibt es unglaublich befruchtende Momente, die man alleine so nicht erlebt. Schwierig, aber auch ganz heilsam ist es, das eigene Künstler-Ego gelegentlich hintenan stellen zu müssen.

Alles in Allem, das gebe ich zu, hielt ich von Songcamps bis vor einigen Jahren nicht allzu viel. Ich dachte, es handele sich nur um eine weitere Masche aus den USA, die hier kopiert wird, bei der aber nicht viel Effizientes rauskommt. Da habe ich aber meine Meinung geändert. Denn ich weiß jetzt, die Auswahl der Teilnehmer ist ausschlaggebend. Wenn das Team passt und am gleichen Strang zieht, können großartige Sachen entstehen. Selbst für Interpreten, für die man alleine nicht geschrieben hätte. Im Endeffekt ist es tatsächlich besser mit drei oder vier Kollegen gemeinsam einen Cut zu bekommen als keinen.

Backstage PRO: Was reizt euch daran, für andere Künstler zu schreiben?

Kurt Schoger: Sich hineindenken zu können in den- oder diejenige, die am Ende den Song glaubwürdig einem Publikum präsentieren soll, ist letztlich die Grundvoraussetzung für das, was wir hier machen. Persönliche Geschmäcker und Befindlichkeiten müssen da weitgehend zurücktreten: "Selbstverwirklichung" findet hier nur in engen Schranken statt. Das muss man wollen – und auch können. Und im Team sich Bälle hin- und her zu spielen, das hilft sehr, einen vor einer gewissen Betriebsblindheit zu schützen. Mir macht das Spaß und die entstandenen Titel dann irgendwann im Radio zu hören, ist schon ein gutes Gefühl!

Erdmann Lange: Gerade sehr konkrete Angaben, die man in Briefings oder auch im Gespräch mit einem Künstler selbst bekommt, finde ich reizvoll: Das ergibt dann eine klar umrissene Aufgabe, die zu lösen ist, und dafür braucht es Kreativität und Einfühlungsvermögen. Manchmal mehr, als wenn man völlig ins Blaue hinein arbeitet. Das finde ich extrem spannend!

Annette Jans: Als Werbetexter ist man ja schon froh, wenn man die Leute mit seinen Texten nicht nervt, aber wenn sie dann auch noch das freiwillig mitsingen, was man geschrieben hat… ein tolles Gefühl!

"Es gibt Künstler, die deinen Text durch ihre Interpretation auf eine andere Stufe heben"

Backstage PRO: Es sind ja sehr unterschiedliche Interpreten, für die ihr hier arbeitet – von der jungen Sängerin mit Pop-Appeal bis zum gestandenen Schlager-Star, der seit Jahrzehnten im Geschäft ist. Ist es nicht schwierig, da im Kopf "umzuschalten"?

Kurt Schoger: Naja, wir sind ja alle so mittelalt…also noch nicht ganz weit weg vom jugendlichen Leichtsinn - aber eben doch auch schon mit Lebenserfahrung. Das geht schon, sich in beide Lebensphasen reinzuversetzen. Und mir persönlich hilft die Erfahrung aus vielen hundert Livegigs mit meiner Band De Boore im Karneval in Köln. Da kriegt man schon ein Gespür, was beim Publikum ankommt.

Annette Jans: Ich persönlich schreibe schon am liebsten für Interpreten, die echt sind und voll hinter dem stehen, was sie auf der Bühne abliefern. Wohlgemerkt: Dabei ist es egal, ob sie damit meinen persönlichen Geschmack treffen oder nicht. Das sind dann aber Künstler, die deinen Text durch ihre Interpretation auf eine andere Stufe heben. Briefings für gecastete Gesangsroboter muss ich mir schöntrinken. (lacht)

Erdmann Lange: Letztlich muss man immer mehrere Aspekte unter einen Hut bringen: Was will und wie denkt und fühlt der Künstler? Was will der A&R-Manager des Labels? Und: Was will das jeweilige Publikum, die Zielgruppe, die das am Ende hören und kaufen soll? Das ist beim Sound und dem musikalischen Gewand wichtig, aber auch und vor allem beim Wording.

Backstage PRO: Wie nah am Endprodukt müssen denn die Demos sein, die ihr hier erstellt, um eine Chance auf Veröffentlichung zu haben?

Andi Königsmann: Die Erfahrung zeigt leider, dass in der Flut der angebotenen Titel diejenigen, die produktionstechnisch gut gemacht sind, die Entscheider eindeutig mehr aufhorchen lassen. Die Zeit und Erfahrung, die man mit der Erstellung eines stimmigen Demos zubringt wird aber leider genauso wenig entlohnt wie das Komponieren und Schreiben an sich.

Gerade unbekanntere Autoren und Komponisten sollten nicht glauben, dass ein guter Song immer als solcher erkannt wird. Besonders wenn man ihn einfach nur ins Handy summt. Einerseits trennt sich so vielleicht die Spreu vom Weizen, andererseits gehen mitunter Songperlen verloren und musikalisch schlechtere Titel, die aber gut "gemacht" sind, werden bevorzugt.

Annette Jans: Ein Blockflöten-Demo anzubieten, das später nach Céline Dion klingen soll, funktioniert nicht. Da kann der Song noch so gut sein. Zwanzig Jahre in der Werbung haben mich gelehrt: Kunden nehmen jedes Layout für bare Münze. Das menschliche Abstraktionsvermögen wird weit überschätzt.

Backstage PRO: An wen gehen dann die fertigen Demos?

Kurt Schoger: Einige direkt an die A&R-Manager der Labels, die uns Briefings eingereicht haben, einige an das Management der jeweiligen Künstler oder an Verleger, die als Schnittstelle zu bestimmten Interpreten fungieren. Und dann haben wir einige externe Komponisten, die von uns Texte bekommen, die sie dann aber selbst noch einsingen lassen werden, um diese dann ihrerseits anzubieten.

Backstage PRO: Jan Böhmermann hat es zum Aufhänger seines vielbeachteten Beitrags "Eier aus Stahl: Max Giesinger und die deutsche Industriemusik" gemacht, dass deutschsprachige Künstler wie Max Giesinger ihre Songs von Dritten schreiben lassen. Er beklagt in seinem Stück mangelnde Authentizität und zu viel Kommerz. Glaubt ihr, dass er damit letztlich auch genau so etwas kritisiert, wie das, was ihr in eurem Camp tut?

Erdmann Lange: Ja, vermutlich schon. Wobei der Vorwurf ja eher dahin ging, dass manche Künstler nicht dazu stehen, dass sie sich von Fremdautoren Songs zuliefern lassen, sondern stattdessen so tun, als wären sie ganz allein am Werk beteiligt.

Letztlich ist diese Arbeitsteilung so alt wie die Popmusik selbst und betrifft ja weiß Gott nicht nur die deutsche Szene – auch Elvis Presley oder Sinatra oder viele Motown-Acts haben ja nicht selbst geschrieben. Was ja nicht ehrenrührig ist: Wer ein grandioser Sänger oder Entertainer ist, ist doch auch dann noch zu Recht ein erfolgreicher Künstler, wenn er nicht selbst komponiert oder textet. Und viele gute Songschreiber können halt andererseits nicht so singen, tanzen oder sexy aussehen, dass es für eine Bühnenkarriere reicht.

Andi Königsmann: Die meisten Künstler im Schlager sind oft reine Interpreten und da recht offen. Die stehen dazu, dass sie mit Autoren arbeiten. Im Rock ist das teilweise etwas anders. Da fürchten einige schnell, dass ihre "Credibility" hinüber ist, wenn nicht alles selbst im Proberaum erjammt wurde. Zahlreiche Beispiele beweisen jedoch das Gegenteil.

Die Liedermacherszene ist meines Wissens die einzige, in der viele immer noch behaupten, es wäre ein Unding, nicht selbst hinter seinen Songs zu stecken. Bei solchen Diskussionen sage ich dann immer: Selbst im Kabarett und in der Kleinkunst sind und waren die erfolgreichsten Künstler die, die mit Co-Autoren zusammenarbeiten. Die Liste wäre schier endlos. Dieter Hildebrandts Texte zum Beispiel waren heißbegehrt in der Kabarettszene und selbst Gerhard Polt hatte in Hanns-Christian Müller einen kongenialen Partner.

Backstage PRO: Wird es eine Fortsetzung des "Deutschen Schlagergipfels" geben?

Annette Jans: Wir haben Lust drauf! Und wir werden uns sicher in dieser Konstellation bei der einen oder anderen Gelegenheit wieder treffen. Jetzt geht's halt erstmal darum, möglichst viele der Songs auch zur Veröffentlichung zu bringen. Dann sehen wir weiter.

Backstage PRO: Wir wünschen euch dabei viel Erfolg und danken für eure Zeit!

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