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Verarmte Faulenzer und Langschläfer!

Vorurteile über Musiker: Berufsmusiker Haiko Heinz räumt mit den gängigsten Klischees auf

Interview von Markus Biedermann
veröffentlicht am 15.02.2019

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Vorurteile über Musiker: Berufsmusiker Haiko Heinz räumt mit den gängigsten Klischees auf

Haiko Heinz. © Pressefoto

Du willst wissen, ob das Musikersein für dich der richtige Job ist und hast ja auch schon allerhand darüber gehört? Da stimmt vielleicht einiges, aber sicher nicht alles. Profigitarrist Haiko Heinz räumt hier mit den hartnäckigsten Vorurteilen über Musiker auf.

Haiko Heinz machte an der Musikhochschule Würzburg seinen Abschluss "Diplommusiker/Musiklehrer Jazz". Sein Studium führte ihn aber auch nach New York und Havanna, wo er unter anderen bei solch Musikergrößen wie Mike Stern, Pat Martino, Wayne Krantz, Adam Rogers und Jorge Chicoy Unterricht nahm.

Haiko spielt regelmäßig Auftritte mit diversen Jazz- und Bigbands, arbeitet als Studiomusiker und als Livemusiker, zum Beispiel auf Tourneen mit weltweiten Konzerten für Echopreisträger Mellow Mark. Er selbst ist Träger des Jugendkulturförderpreises der Stadt Würzburg mit der Band Soularis und feilt aktuell an seinem Soloprojekt. Auf authenticguitar.de könnt ihr noch viel mehr über Haiko Heinz erfahren.

Wir haben Haiko mit den gängigsten Musiker-Klischees konfrontiert.  surprise

Klischee 1

Alle Musiker wollen unbedingt Geld verdienen, können ihren eigenen Marktwert als Live-Act aber null einschätzen

Es stimmt schon, dass man als Musiker oft das akzeptieren muss, was der Markt hergibt. Allerdings ist eine Gagenforderung auch immer eine Möglichkeit sich zu platzieren. Wer nichts verlangt, darf sich auch nicht wundern, wenn er nichts bekommt.

Letztendlich muss man zwischen Dienstleistung und Kunst aber auch Promo unterscheiden. Bei ersterem sollte man sich mindestens an die branchenüblichen Tarife halten und sie nicht unterbieten – hier müssen alle Musiker an einem Strang ziehen und Solidarität beweisen. Bei letzterem muss man immer abwägen, ob die Annahme eines Auftritts auch wichtige Chancen eröffnen kann – hier gilt es, viel Fingerspitzengefühl zu bewahren.

Klischee 2

Musiker geben enorm viel für Equipment aus und leiden an G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome)

Da bekenne ich mich auch schuldig und das ist eine Mischung aus Neugierde und Streben nach dem Besseren. Nichtsdestotrotz muss man sich vor Augen führen: Sound entsteht primär in der Vorstellung. Wer keine Vorstellung davon hat, wie er klingen will, den wird auch das hundertste Pedal nicht zum Ziel führen, welches ja noch gar nicht definiert ist.

Auf der anderen Seite: Wer stilistisch breit aufgestellt sein will, kommt um genrespezifisches Equipment nicht rum. Hat man nur einen Metalamp und 'ne Floyd Rose Gitarre, könnte es beim Countryjob eng werden…

Klischee 3

Alle Musiker leben am Existenzminimum

Auch wenn es das gibt, muss man sagen, dass es in Deutschland sehr gut möglich ist, als Musiker zu leben. Doch das hängt auch stark davon ab, was man bereit ist zu tun. Hat man keine Probleme mit Unterrichten oder gelegentlichen Coverjobs, dann kann man sehr gut ein unteres Mittelstandseinkommen generieren. Ob das für einen Diplom- / Bachelor- / Masterabschluss für studierte Musiker eine angemessene Bezahlung ist, sei dahingestellt. Reich wird man definitiv eher selten, es sei denn man ist auch als erfolgreicher Komponist tätig.

Klischee 4

Kein Musiker kann (nur) von eigener Musik leben

Das hängt sicher ganz vom Erfolg ab – die Frage ist auch: Ist der deutsche Markt groß genug dafür, dass die unzähligen Musiker in Deutschland alle nur mit eigenen Projekten erfolgreich sein können?

Bei den meisten Musikern ist das täglich Brot sicher ein Patchwork aus Spielen, Unterrichten, Studiojobs, evtl. journalistische Tätigkeit oder Workshops und ich finde gerade diese Abwechslung macht den Beruf so interessant.

Klischee 5

Musiker sind schlecht aufgestellt und wenig begabt in Sachen (Selbst)-Vermarktung

Das Musikstudium und das Üben des Instruments bereiten sehr gut auf die musikalischen Anforderungen vor, doch das ganze Drumherum wurde leider bisher sehr stiefmütterlich behandelt. Gut, dass mittlerweile die Hochschulen und Akademien hier einen größeren Wert auf GEMA, GVL, Vertragskunde etc. legen.

Übertriebenes Understatement ist sicherlich genauso falsch wie sich übermäßig aufzuplustern. Dennoch ist ein gesundes, authentisches Selbstbewusstsein extrem wichtig, um wahr und ernst genommen zu werden.

Geht es um die allgemeine Vermarktung, lehrt natürlich auch die Erfahrung vieles. Wer jedoch generell Probleme bei Gagenverhandlungen hat und einfach nicht der Typ dafür ist, zu klotzen statt zu kleckern, der sollte sich für die geschäftliche Seite vielleicht Hilfe von außen holen.

Klischee 6

Musiker teilen gerne aus, können aber nicht einstecken

Wenn man mal ehrlich ist, gehört zum Musikersein ein gewisser Hang zum Exhibitionismus und Narzissmus, denn natürlich will man vor Leuten stehen, geschätzt und gemocht werden und für andere spielen. Wer diese Wesenszüge nicht zumindest ein Stück weit in sich trägt, ergreift möglicherweise andere Berufe.

Aus diesem Grund fällt Musikern der Umgang mit Kritik häufig schwer, nicht zuletzt, weil sich Musiker auch oft viel stärker über ihre beruflichen Leistungen definieren als das in anderen Branchen der Fall ist. Dennoch bin ich immer froh, wenn ich auf Defizite hingewiesen werde und die vertrauten Echokammern verlasse: nur so wird man besser!

Klischee 7

Musiker verstehen den Unterschied zwischen Kunst und Handwerk nicht

Musik ist natürlich auch immer eine Mischung aus beiden Faktoren. Wahrscheinlich ist es sogar leichter, nur von der handwerklichen Komponente zu leben, als von der künstlerischen (z.B. bei Coverjobs).

Künstler benötigen natürlich ein solides Handwerk um die eigenen Visionen in die Welt zu tragen, oder anders formuliert: Habe ich Ideen, dann möchte ich mir selbst so wenig Steine wie möglich in den Weg legen, wenn ich diese umsetzen will, d.h. Technik/Handwerk und der kreative Prozess gehen Hand in Hand.

Probleme gibt es nur, wenn Handwerk zum Selbstzweck wird oder umgekehrt, wenn man auch den Galajob nicht als Dienstleistung versteht sondern als Konzert. Hier sollte immer situativ entschieden werden!

Klischee 8

Musiker schlafen lange und lungern gerne rum

Ich wage mal zu behaupten, dass die Schlafgewohnheiten unter Musikern ähnlich verteilt sind, wie unter den restlichen Berufsgruppen. Nichtsdestotrotz hat man durch Auftritte oder auch Unterrichtsjobs oft einen anderen Rhythmus. Und wer Freitags und Samstags erst um drei Uhr im Bett landet, steht möglicherweise nicht montags um sieben Uhr auf der Matte.

Da das Wochenende ja eigentlich des Musikers Hauptarbeitszeit ist, kann es schon vorkommen, dass man andere Wochentage als Freizeit nutzt, was von Außenstehenden natürlich oft als befremdlich wahrgenommen wird. Dennoch besitzen viele Musiker oft ein mit anderen Sparten vergleichbares Wochenarbeitspensum.

Klischee 9

Musiker hoffen auf den Mindestlohn

Eigentlich muss man sagen, dass ich kaum Musikerjobs kenne, die unter dem Mindestlohn liegen. Selbst private Musikschulen, die meist auf der unteren Skala angesiedelt sind, zahlen weit über den in Deutschland festgelegten 9,19 € pro Stunde.

Was sicherlich viele Musiker begrüßen würden, wäre das bedingungslose Grundeinkommen, da vor allem die kreativen Tätigkeiten oft nicht den Kühlschrank füllen, und wenn man keinen Vorschuss der Plattenfirma erhält, fällt es schwer neben dem Dayjob noch Songs zu schreiben. Die Vorstellung, dass man seine komplette Tagesenergie auf Üben und Schreiben verwenden könnte klingt in der Tat sehr verlockend und evtl. würde Deutschland als Kulturnation sogar davon profitieren.

Klischee 10

Ohne Alkohol und Drogen ist kaum ein Musiker wirklich kreativ

Dieses Klischee ist vollkommener Humbug und natürlich auch gefährlich! Kreative Musiker, die irgendwann in ihrer Karriere Drogen nehmen, waren natürlich auch schon davor sehr kreativ und der Drogenkonsum hat damit rein gar nichts zu tun, man denke z.B. an Lennon/McCartney.

Alkohol und Drogen tragen evtl. dazu bei, dass man weniger kritisch ist und die Ergebnisse subjektiv besser wirken – aber wehe man hört sie sich nüchtern an!

Viele benutzen diese Hilfsmittel um gegen Lampenfieber anzukämpfen, im Nightliner und Hotels besser einschlafen zu können oder aber um kreative Barrieren aufzubrechen, wenn man etwas zu "brainy" ans Songwriting geht. Das kann jedoch auf Dauer nicht die Lösung sein, zumal Drogen auch nichts freisetzen können, was nicht ohnehin in dir veranlagt ist. Kreative Prozesse sind oft harte Arbeit und können natürlich auch trainiert werden.

Klischee 11

Musiker, die (fast) nur (noch) am unterrichten sind, sind eigentlich gar keine richtigen Musiker mehr

Oftmals ist man als Musiker in der Geldverdien-Mühle gefangen und wenn man fünf Nachmittage die Woche unterrichtet, fällt es natürlich schwer, noch die Energie für Livegigs und Komponieren aufzubringen. Und doch kenne ich einige, die das schaffen.

Historisch betrachtet waren die meisten klassischen Musiker auch immer Pädagogen. Viele bekannte Etüden wurden ja für Schüler geschrieben, insofern sollte man den Graben zwischen Lehrern und spielenden Musikern nicht unnötig vergrößern. Beides sind Teilaspekte des Musikerdaseins und ich kenne einige, die im Unterrichten vielmehr ihre Berufung gefunden haben, als im Touren!

Klischee 12

Musiker spielen immer gerne aus Spaß, also auch auf deiner Hochzeit für lau

Spaß haben und Geldverdienen sind für mich keine Aktivitäten, die sich gegenseitig ausschließen – ganz im Gegenteil: ich wünsche jedem Menschen, dass er bei seiner Arbeit Freude empfindet, denn nur dann kann er sie wirklich gut ausüben.

Das ändert jedoch nichts daran, dass gewisse Tätigkeiten bezahlt werden müssen und dass ich Spaß habe betrifft nur mein persönliches, ganz privates Empfinden, aber nicht den Wert der Leistung.

Klischee 13

Musiker sind unpünktlich und unzuverlässig!

Diese Aussage ist bestimmt nicht generell zutreffend, dennoch bin ich immer wieder erstaunt darüber, wie viele Jobs ich bekomme, weil es bei manchen Musikern an den sogenannten Softskills mangelt: Dazu gehört für mich Pünktlichkeit, gut vorbereitet sein, zuverlässig sein, höflich sein, passende Outfits für bestimmte Events zu besitzen und zuverlässiges Equipment zu haben.

Wer unpünktlich ist und sich nicht vorbereitet, geht mit der Zeit anderer um als wäre es seine eigene und das ist schlichtweg unhöflich. Letztendlich handelt es sich ja nicht um musikalische Probleme, sondern eigentlich geht es um den Begriff "Respekt". Ironischerweise lassen sich diese Probleme auch noch viel leichter beheben, als musikalische Defizite und in gewissen Kreisen gilt es natürlich als absolutes No-Go wenn es an sozialen Kompetenzen mangelt.

Klischee 14

Musiker wird nur, wer sonst keine Ausbildung/Studium machen kann oder will

Hier hängt es natürlich davon ab, ob man aus Verlegenheit glaubt, Musik an einer Hochschule zu studieren, oder einfach so Musiker zu werden. Ist ersteres der Fall, muss man sagen, dass die Aufnahmeprüfungen an den Musikhochschulen in den Breichen wie praktischem Vorspiel, Gehörbildung oder Rhythmik so ausgelegt sind, dass man ohne eine profunde Vorbereitung, die eigentlich schon im Kindes- oder zumindest Jugendalter beginnen sollte, nicht die geringste Chance hat, einen Studienplatz zu bekommen – vom Abschluss ganz zu schweigen. Das Musikstudium verlangt einiges ab und man sollte schon gut wissen, auf was man sich einlässt.

Natürlich kann man auch ohne Studium Musiker werden oder in der Branche Fuß fassen – und zwar durchaus gut und erfolgreich. Will man jedoch auch unterrichten, gilt es zu bedenken, dass kommunale Musikschulen oft das Diplom/BA/MA voraussetzen. Insofern macht das Studium hierbei einiges deutlich leichter.

Danke Haiko!

Und welches Klischee bekommst Du immer wieder zu hören? Teile dein Leiden in den Kommentaren!

Personen

Haiko Heinz

freiberuflicher Musiker aus Würzburg

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