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"Die Musik wird fast komplett live gespielt"

Mein Plan B: Michael Weiss, Principal-Keyboarder bei Starlight Express in Bochum, über den Berufsalltag als Musical-Musiker

Interview von Martell Beigang
veröffentlicht am 17.05.2024

michael weiss plan b berufswelt

Mein Plan B: Michael Weiss, Principal-Keyboarder bei Starlight Express in Bochum, über den Berufsalltag als Musical-Musiker

Michael Weiss ist seit mehr als 25 Jahren festes Mitglied der Musiker von Starlight Express in Bochum. © Bastian von der Linde

Nur wenige Musiker leben davon, ausschließlich mit ihrer eigenen Musik auf der Bühne zu stehen. Für die meisten Profis besteht ihr Job aus ganz unterschiedlichen Facetten. In unserer Serie Plan B möchten wir euch Kolleg/innen vorstellen, die interessante Nischen besetzen. Heute den Pianisten Michael Weiss (59), der das erste Keyboard beim Musical Starlight Express in Bochum spielt.

Michael spielt seit seiner Jugend Klavier, hat in Düsseldorf, Köln und Rochester/New York studiert und ist heutzutage als Principal-Keyboarder bei Starlight Express in Bochum tätig. 

Backstage PRO: Seit wann arbeitest Du als Musiker beim Musical?

Michael Weiss: Zunächst habe ich als Pianist im Düsseldorfer Kabarett Kom(m)ödchen meine erste Ensuite-Produktion gespielt. Das war 1986. 1993 war ich dann das erste Mal Vertretung, also Sub, beim Starlight Express in Bochum. Und 1994 habe ich bei Miss Saigon in Stuttgart erstes Keyboard gespielt. Ab 1995 habe ich dann das erste Keyboard bei Les Miserables in Duisburg übernommen. Seit 1998 bin ich fest bei Starlight Express eingestiegen.

Backstage PRO: Braucht man besondere Fähigkeiten als Musiker, um diesen Job zu machen?

Michael Weiss: Idealerweise sollte der Musical-Musiker über Background im Pop, Jazz sowie in der Klassik verfügen. Das liegt daran, dass das Genre "Musical" stilistisch sehr weit gefächert ist. 

Backstage PRO: Kannst du ein Beispiel für ein Musical nennen, das sehr nahe an der Klassik ist?

Michael Weiss: "Les Miserables" zum Beispiel wird von vorn bis hinten durchdirigiert, es ist ja auch nicht wirklich ein grooveorientiertes Musical. Die Musik wird ständig schneller oder langsamer, je nachdem, was gerade auf der Bühne passiert. Wenn man da mitspielt, ist es fast so, als wäre man Mitglied eines klassischen Orchesters. Man sollte als Musical-Musiker idealerweise an ein Dirigat gewöhnt sein und zudem in der Lage sein, zum Click zu spielen. 

Backstage PRO: Viele Musicals sind aber weniger durchkomponiert. 

Michael Weiss: Genau. Bei den Pop-Musicals zum Beispiel wird nicht alles in Noten aufgeschrieben. Manchmal interpretiert man auch Akkordsymbole, über denen zum Beispiel steht: "Country & Western" oder "Authentic Blues". Daher ist es wichtig, dass man ganz verschiedene Stilistiken bedienen kann.

Backstage PRO: Der Antwort entnehme ich: Das Ganze macht Dir immer noch Spaß, oder?

Michael Weiss: Auf jeden Fall. Der Spaß liegt unter anderem darin, dass ich gerne mit anderen Menschen gemeinsam Musik mache. Bei Starlight Express spielen wir eine sehr groovebetonte Musik.

Backstage PRO: Wie äußert sich das?

Michael Weiss: Andrew Lloyd Webber, der Komponist, hat jedem Charakter der Geschichte eine musikalische Stilistik zugeordnet. Da gibt es dann eine eher funkige Nummer für Caboose, eine Country & Western Nummer für Dinah, Rock & Roll für Greaseball oder einen Blues für Mama. Das hat alles eine hohen Spaßfaktor.

Backstage PRO: Hat die Tatsache, dass du das Stück über Jahre fast jeden Tag spielst, irgendeine Auswirkung auf Dich?

Michael Weiss: Man läuft natürlich Gefahr, in der Konzentration nachzulassen – da muss man wirklich aufpassen. Um das zu verhindern, habe ich immer die Noten vor mir liegen, obwohl ich das Stück nach so langer Zeit in und auswendig kann. Aber für mich bleibt das Ganze überraschend frisch, was zum Teil daran liegt, dass wir die einzelnen Bandpositionen nicht nur mit den Principals, also den Hauptspielern, besetzt haben, sondern ab und zu Subs, also Vertreter, mitspielen, die alle natürlich immer ein bisschen unterschiedlich sind. Diese Feinheiten machen es dann wieder interessant.

Backstage PRO: Wie hat man sich den Arbeitsalltag eines Principals beim Musical vorzustellen?

Michael Weiss: Wir haben üblicherweise sieben Shows die Woche und in den Schulferien sogar acht. Die verteilen sich zunächst auf die beiden Wochenend-Tage, an denen jeweils zwei Shows stattfinden. Dazu kommt jeweils eine Show von Mittwoch bis Freitag. In den Schulferien kommt dann noch der Dienstag dazu. Der Alltag sieht so aus, dass man nachmittags zeitig losfährt, um trotz Stau pünktlich da zu sein. Man muss spätestens eine halbe Stunde vor Showbeginn im Theater sein. Wenn man ankommt, gibt es einen kurzen Soundcheck. 

Backstage PRO: Was machst du in den Pausen?

Michael Weiss: Zwischendurch sitze ich gerne in der Kantine, esse etwas Leckeres und unterhalte mich mit meinen Kollegen. Der erste Akt dauert etwa 1 Stunde und 10 Minuten. Dann gibt es 20 Minuten Pause und dann kommt der zweite Akt. Dann sieht man zu, dass man vor dem Publikum im Parkhaus ist. (lacht)

Backstage PRO: Wirst du eigentlich pro Show bezahlt?

Michael Weiss: Nein, ich habe einen unbefristeten Arbeitsvertrag und erhalte ein monatliches Gehalt mit der üblichen Anzahl an Urlaubstagen. Allgemein kann man sagen, dass die Arbeitsbedingungen recht angenehm sind. Ansonsten würden die Principals, die hier arbeiten, wenn sie nicht gerade aufgrund der künstlerischen Umstrukturierung der Stücke ausgeschieden sind, nicht so lange dabei bleiben, oftmals bis zur Rente. Ich finde das spricht für unseren Job.

Backstage PRO: Gelingt es Dir, neben der Arbeit ein Familienleben zu führen?

Michael Weiss: Ich denke, das läuft alles ganz ok. Meine Frau musste sich anfangs daran gewöhnen, dass ich abends meistens weg bin. Während der Coronazeit musste sie sich dann daran gewöhnen, dass ich abends immer da war. Ich weiß nicht genau, was unangenehmer für sie war. (lacht)

Backstage PRO: Machst Du nebenbei noch andere Musik?

Michael Weiss: Gelegentlich spiele ich andere Theaterproduktionen. Die letzte war "Spamalot" im Theater Hagen. Währenddessen habe ich eine Vertretung. Regelmäßig spiele ich Jazz mit Wolf Doldinger. Zwischendurch war ich auch mal auf Tour in Japan und Mexiko. Ich habe viele Galas gespielt und auch schon mal mit dem WDR Funkhaus Orchester.

Backstage PRO: Welches Musical möchtest du unbedingt noch gerne spielen?

Michael Weiss: Ich wollte immer mal "Jesus Christ Superstar" spielen. Aber es hat eine ganze Zeit gedauert, bis das tatsächlich geklappt hat – einmal in Hagen und einmal in Gelsenkirchen. "Hamilton" hätte mich interessiert. Aber das ist ja inzwischen auch schon wieder abgesetzt worden in Hamburg.

Backstage PRO: Das heißt, du bist ganz zufrieden und bleibst jetzt einfach in Bochum?

Michael Weiss: Mein Plan ist es tatsächlich weiter Starlight zu spielen und ab und zu nebenbei andere Produktionen zu machen.

Backstage PRO: Gerade hast du die künstlerische Umstrukturierung angedeutet, die zur Verkleinerung des Orchesters geführt hat. Könntest du dazu nochmal etwas sagen?

Michael Weiss: Unsere aktuelle Besetzung besteht aus drei Keyboards, zwei Gitarren sowie Bass und Schlagzeug. Seit 2018 spielen wir auf den Keyboards viele Bläser- und Percussion-Sounds, die früher von den entsprechenden Instrumenten gespielt wurden. Als Begründung dafür wird der Wunsch nach zeitgemäßeren Sounds genannt.

Backstage PRO: Das Ensemble schrumpft also stetig?

Michael Weiss: Als Starlight 1988 in Bochum das erste Mal aufgeführt wurde, gab es noch eine wesentlich größere Besetzung, die dann immer weiter verkleinert wurde. Ich denke, das ist die übliche Praxis heute im Musical-Bereich. Ich persönlich finde das schade. Ich mag es gerne, mit großem Orchester zu spielen.

Backstage PRO: Arbeitet ihr viel mit Zuspielern?

Michael Weiss: So gut wie gar nicht! An zwei, drei Stellen kommen bei uns Instrumente vom Computer, der Rest ist komplett live.

Backstage PRO: Was würdest du jemandem raten, der gerne in dem Segment Musical-Musiker arbeiten möchte?

Michael Weiss: Es ist gut, eine fundierte musikalische Ausbildung zu haben, zum Beispiel durch einen der inzwischen zahlreichen Jazz- und Pop-Studiengänge an Musikhochschulen. Dann sollte man Kontakte knüpfen zu den Musikern, die in dem Bereich tätig sind, denn diese suchen ja immer nach fähigen Subs. Bittet sie am besten mal darum, aus nächster Nähe zuzuschauen, also am besten im Orchestergraben.

Backstage PRO: Aber Zuschauen ist ja nur der erste Schritt.

Michael Weiss: Ja. Ab und zu werden Auditions durchgeführt. Da sollte man auf jeden Fall teilnehmen, nachdem man sich gut vorbereitet hat. Auch wenn man nicht direkt genommen wird, bekommen die Principals einen so auf den Schirm.

Backstage PRO: Lieber Michael, tausend Dank für die hautnahen Einblicke in deinen Job.

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