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Ein europaweiter Lagebericht

Ist der europäische Festivalsommer trotz Corona wieder möglich?

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 22.06.2021

coronakrise liveszene festivalorganisation

Ist der europäische Festivalsommer trotz Corona wieder möglich?

Das Exit Festival 2019. © EXIT Photo Team

Nachdem 2020 ausnahmslos alle Festivals abgesagt wurden, besteht diesen Sommer berechtigte Hoffnung, dass die Festivalbranche wieder zu einer gewissen Normalität zurückkehren kann. Die Ausgangslage könnte von Land zu Land aber kaum unterschiedlicher sein.

Was Regeln für Festivals angeht, ist nicht nur Deutschland, sondern auch Europa ein Flickenteppich. Was in einem Land erlaubt ist, ist anderswo streng verboten. 

In Albanien wird schon wieder gefeiert

Es ist nicht ganz überraschend, dass das erste Festival in Europa auf dem Balkan stattfand: Im albanischen Shengjin versammelten sich vom 3. bis zum 7. Juni 10.000 Besucher auf dem Unum Festival. Angesichts niedriger offizieller Infektionszahlen in Albanien existierten keine Auflagen für die Einreisenden. So bestand keine Pflicht zur Quarantäne oder zur Vorlage eines PCR-Tests.

Augenscheinlich wurde es mit den Corona-Sicherheitsvorkehrungen auf dem Techno und House -Festival auch nicht allzu eng genommen. Laut einem Artikel von RP Online versichern die Organisator/innen zwar, dass es auf dem Unum Festival keine Corona-Infizierten gegeben habe, Beweise dafür legen sie aber nicht vor. Zudem wurden auf dem Festival allem Anschein nach auch keine Tests durchgeführt. 

Wenn aber niemand sich testen lassen musste und jedermann nach Belieben einreisen durfte, dann sind alle Aussagen über das Infektionsgeschehen auf dem Festival reine Spekulation.

Strenge Regeln in Serbien

Mit dermaßen extremer Lockerheit steht Albanien im Augenblick alleine da. Schon im geographisch nahen Serbien wählen die Veranstalter des genreübergreifenden EXIT-Festivals in Novi Sad eine andere Vorgehensweise.

Das EXIT Festival wurde im Jahr 2000 als eine studentische Bewegung für den Kampf für Frieden und Freiheit in Serbien und auf dem Balkan gegründet. In den letzten 20 Jahren hat es sich zu einem der bedeutendsten Musikfestivals der Welt entwickelt und wurde 2013 sowie 2017 sogar mit dem Titel "bestes europäisches Festival" ausgezeichnet.

Zu dem Festival, das vom 8. bis zum 11. Juli stattfinden soll, erhält nur Eintritt, wer bereits geimpft ist oder einen negativen Corona-PCR oder Schnelltest vorlegt. Letzterer kann auch vor Ort gemacht werden. Zudem müssen auch Besucherinnen und Besucher bei der Einreise nach Serbien nachweisen, dass sie nicht mit dem Coronavirus infiziert sind.

Feuer frei in Portugal, Absagen in Spanien

Ähnliche Unterschiede bezüglich der Austragung von Festivals gibt es auch in anderen Teilen Europas.

So sollen in Portugal fast alle für den Sommer 2021 geplanten Festivals stattfinden. Dabei handelt es sich beispielsweise um das Hip-Hop- und Elektro-Festival Sumol Summer Fest, die Elektro Festivals RFM Somnii, MEO Sudoeste und das Neopop Electronic Music Festival sowie das Rockfestival EDP Vilar de Mouros.

Zwar ist auch die Austragung dieser Festivals nur mit reduzierter Besucherkapazität und unter Einhaltung von Corona-Auflagen möglich, aber immerhin kann auf diese Weise ein breit gefächertes Kulturangebot im Sommer 2021 ermöglicht werden. Wie viele Gäste auf den einzelnen Festivals genau zugelassen werden, wird von der portugiesischen Generaldirektion für Gesundheit definiert.

Im einzigen direkten Nachbarland Spanien wurden dahingegen so gut wie alle Festivals abgesagt. So finden zum Beispiel das berühmte Bilbao BBK Live, das Rockfestival Mad Cool in Madrid, das Metalfestival Resurrection Fest in Galicien, das Primavera Sound in Barcelona sowie das Barcelona Beach Festival 2021 nicht statt. 

Keine Großfestivals in Deutschland

Wie in Spanien finden auch in Deutschland im Sommer 2021 vermutlich keine Massenfestivals statt. Rock am Ring und Rock im Park sind ebenso auf 2022 verschoben wie Hurricane/Southside, Deichbrand, das Wacken Open Air, das Wave-Gotik-Treffen und die Hip-Hop-Festivals Splash und Juicy Beats.

Als eines der letzten Festivals sagte das Summer Breeze kürzlich die 2021er-Ausgabe ab. Von den Massenfestivals sind lediglich das Highfield Festival und das Mer'a Luna Festival (beide im August) noch nicht abgesagt, aber dass sie wie geplant stattfinden, erscheint fast ausgeschlossen, zumal der Veranstalter FKP Scorpio die Chancen selbst als "überschaubar" bezeichnet.

Bestenfalls kleinere Festivals mit einer maximalen Besucherzahl von 5.000 können sich Hoffnungen darauf machen, 2021 stattzufinden, insbesondere dann, wenn sie von wissenschaftlichen Studien begleitet werden. Anders als in anderen Ländern haben Veranstaltende auch nicht versucht, Festivals auf den Spätsommer oder Frühherbst zu verlegen.

Schlechte Nachrichten aus Dänemark und Ungarn

Auch die beiden bei deutschen Festivalbesucherinnen und -besuchern äußerst beliebten dänischen Festivals NorthSide und Roskilde Festival wurden auf das Jahr 2022 verschoben. In Dänemark dürfen nach einer Anordnung der Regierung bis zum 1. August nicht mehr als 2000 Zuschauer/innen an Veranstaltungen teilnehmen.

Das ebenfalls bei Deutschen sehr beliebte Sziget Festival in der ungarischen Hauptstadt Budapest findet 2021 ebenfalls nicht statt.

Tu felix Austria?

Ganz anders handelt die österreichische Bundesregierung, die am 28.05.2021 folgendes bekanntgab: 

"Ab dem, 1. Juli wird es abseits der 3-G-Regel in Sport und Kultur keine Beschränkungen mehr geben. Das betrifft die volle Auslastung der Veranstaltungsorte."

Das einzige Problem ist, dass die Bekanntgabe für viele Veranstalterinnen und Veranstalter schlichtweg zu spät kam. So wurden das Nova Rock Festival und das Vienna Metal Meeting zum Beispiel schon vor längerem abgesagt. 

Stattfinden sollen hingegen das Electric Love Festival, auf dem 10.000 Besucher/innen pro Tag zugelassen sind sowie das genreübergreifende Frequency Festival in St. Pölten, das vom 19. bis 21. August mit voller Kapazität stattfinden soll.

Bei einer üblichen Besucherzahl von ca. 50.000 pro Tag erscheint diese Planung doch ausgesprochen optimistisch, auch wenn die Veranstaltenden nur geimpften, getesteten oder genesenen Besucherinnen und Besuchern Zugang gewähren wollen. 

Banges Warten in den Niederlanden

Auch in den Niederlanden sind Großveranstaltungen ab dem 30. Juni – zumindest unter bestimmten Auflagen – wieder erlaubt, so die niederländische Regierung. 

Während das Pinkpop Festival schon auf 2022 verschoben wurde, sind die Veranstalter/innen des Liquicity Festivals aufgrund der Aussage der Regierung zuversichtlich, dass das Elektronic und Drum&Bass-Festival 2021 stattfinden kann.

Die endgültige Zustimmung der Regierung steht aber noch aus und erfolgt spätestens am 22. Juni, so die Veranstaltenden

Unterschiedliche Lage in Belgien

Auch das Team des Tomorrowland im belgischen Boom gehen davon aus, dass das weltbekannte Elektrofestival im Spätsommer aufgrund des Impffortschritts und mithilfe der Schnelltests stattfinden kann:

"Wir freuen uns und sind dankbar zu hören, dass die belgische Regierung gegen Ende des Sommers eine realistische Perspektive für große Festivals in Belgien gegeben hat. Wir wollen in den nächsten Tagen die Richtlinien und Parameter der Nationalregierung studieren, damit wir die verschiedenen Szenarien und Implikationen richtig kommunizieren können."

Die belgische Regierung will bis August fast alle Corona-Beschränkungen aufheben, was große Festivals im Spätsommer ermöglichen würde und den Optimismus der belgischen Veranstalterinnen und Veranstalter erklärt.

Auch das Pukkelpop Festival soll 2021 noch über die Bühne gehen. Die genauen Bedingungen unter denen das Festival stattfinden soll, werden in den kommenden Wochen kommuniziert, so die Veranstaltenden. Schon jetzt steht jedoch fest, dass nur Personen Zutritt haben, die mindestens zwei Wochen vor dem Eintrittstermin zum Festival vollständig geimpft sind oder weniger als 72 Stunden vor dem Eintrittstermin einen negativen PCR-Test durchgeführt haben.

Die Organisatoren des Rock Werchters haben das berühmte belgische Rockfestival für 2021 zwar abgesagt, planen aber ein coronakonformes Ersatz-Festival. Auch in diesem Fall werden in den nächsten Wochen nähere Informationen veröffentlicht.

Massenweise Absagen in Frankreich

Deutlich schlechter sieht die Lage in Frankreich aus. Die französische Regierung legte bereits am 18. Februar fest, dass Sommerfestivals nur unter strengen Auflagen stattfinden dürfen. Demnach ist eine Publikumszahl bis zu 5.000 Menschen zulässig. Diese müssen stets ausreichend Sicherheitsabstand wahren. 

Ob diese Regelung in vielen Fällen zum Einsatz kommt ist jedoch fraglich, da große Festivals wie das Metal-Festival Hellfest, das Lollapalooza Paris, das Insane Festival und das Download Festival Paris bereits auf das Jahr 2022 verlegt wurden.

Schlechte Aussichten auch in Polen

Auch in Polen werden die meisten großen Festivals auf das Jahr 2022 verschoben, was auf die strikten Auflagen der Regierung zurückzuführen sein dürfte.

So gilt in Polen ein Teilnehmerlimit von 250 Personen, das jedoch nicht für vollständig Geimpfte gilt. Zudem darf im Falle des Vorhandenseins von Sitzplätzen nur jeder zweite Platz besetzt werden und wenn keine Sitzplätze vorhanden sind, muss von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein Abstand von 1,5m gewahrt werden – ein Todesurteil für alle Großveranstaltungen.

Zu den bereits abgesagten polnischen Festivals gehören beispielsweise das Open'er Festival sowie die Techno-Festivals Sunrise Festival und Audioriver Festival. Stattfinden soll nach jetzigem Stand aber das Fest Festival (ja, so heißt das wirklich), bei dem nur vollständig geimpften Personen Einlass gewährt wird.

Sonderfall Großbritannien

Besonders kompliziert gestaltet sich die Situation in Großbritannien. Eigentlich wollte die britische Regierung alle Corona-Beschränkungen aufheben, aber aufgrund der rapiden Ausbreitung der (indischen) Delta-Variante des Coronavirus wurden diese um 4 Wochen verschoben.

Ob die in Massen auf August und September verschobenen Festivals stattfinden können, ist aktuell äußerst fraglich. Weitere Informationen findet ihr in diesem Artikel.

Nichts genaues...

Die Voraussetzungen für einen europäischen Festivalsommer 2021 waren von Beginn an alles andere als gut. Trotz der an Fahrt gewinnenden EU-Impfkampagne erscheint das Risiko, zehntausende Menschen auf engem Raum zu versammeln, einigermaßen unberechenbar zu sein. 

Die Situation wird zudem dadurch verkompliziert, da die hochmobile, europäische Festivalcrowd zum Feiern quer durch Europa reist. Gleichzeitig stehen die Veranstaltenden vor der Herausforderung massenhaft Impfpässe, Dokumente und Tests kontrollieren zu müssen, wenn sie das denn überhaupt ernsthaft versuchen. 

...weiß man nicht

Gerade in der festivalaffinen Altersgruppe werden viele bis August auch noch nicht oder nicht vollständig geimpft sein. Die sehr wahrscheinliche Ausbreitung der Delta-Variante, die früher oder später auch Kontinentaleuropa erreichen wird, verkompliziert die Lage zudem.

Trotz anderslauternder Medienberichte ist nicht vollkommen klar, ob die Delta-Variante wirklich statistisch signifikant ansteckender ist und/oder schwerere Krankheitsverläufe verursacht. Dazu werden schon in Kürze weitere Daten vorliegen. Auch die Entwicklung der britischen Infektionszahlen sollte dafür einen Fingerzeig liefern.

Ob die in Portugal, Belgien und Österreich geplanten Festivals tatsächlich stattfinden werden, ist jedenfalls trotz gegenteiliger Bekundungen nicht sicher. Viel wird davon abhängen, wie sich die Pandemie in Kontinentaleuropa entwickelt – was im Augenblick schlichtweg niemand vorhersagen kann.

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