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"Man muss das Geschäft kennen, wenn man Erfolg haben will"

Newcomer trifft Etablierte: Jenny Thiele über die gelungene Zusammenarbeit mit Fortuna Ehrenfeld

Interview von Ole Löding
veröffentlicht am 01.11.2019

berufswelt erfolgsfaktoren

Newcomer trifft Etablierte: Jenny Thiele über die gelungene Zusammenarbeit mit Fortuna Ehrenfeld

Interview mit Jenny Thiele. © Foto: Timo Klein

Jenny Thiele schaffte es aus der subkulturellen Kölner Jazz-Improkultur auf die Bühne vor zigtausend Menschen. Der Erfolg kam durch ihr Netzwerk und die Zusammenarbeit mit der Indie-Gruppe Fortuna Ehrenfeld um Musikproduzent Martin Bechler. Wir sprachen mit ihr über ihren Weg und darüber, wie diese Zusammenarbeit funktioniert und ihr künstlerisches Selbstverständnis verändert.

An Fortuna Ehrenfeld ist in den letzten zwei Jahren kaum ein Indiefan vorbeigekommen. In drei Jahren hat der Musikproduzent Martin Bechler drei Alben veröffentlicht, eine EP-Single und zwei Liederbücher.

Was anfänglich ein Solo-Unterfangen war, ist im Laufe der letzten zwei Jahre zu einem Trio gewachsen. Es besteht neben dem Frontmann in Schlafanzug und Bärentatzen aus dem Schlagzeuger Paul Weißert und der Multiinstrumentalistin Jenny Thiele. Gerade die Interaktion des End-Vierzigers Bechler mit den beiden, gut zwei Jahrzehnte jüngeren Mitmusikern erzeugt die Dynamik auf den Konzerten.

Jenny Thiele ist hierfür von Auftritt zu Auftritt präsenter geworden. Mit ihrer Bühnenausstrahlung, Keyboard- und Synthiespiel und Backgroundgesang hat sich die Musikerin mittlerweile eine eigene Fangemeinde erspielt. Was die wenigsten wissen ist, dass die Frau in der zweiten Reihe eine ausgebildete Musikerin ist, die in diversen Konstellationen bereits eine zweistellige Zahl von Tonträger veröffentlicht hat, Tanztheaterstücke entwickelt und für eine Opernproduktion auf der Bühne stand, erfolgreiche Gesangsworkshops gibt und unter dem Namen AnnaOtta ein avantgardistisches Musikprojekt verfolgt.

Die Musikerin Thiele wohnt abseits der Kölner Szeneviertel auf der rechten Rheinseite. In einem Biocafé in der Nähe des Wiener Platzes gibt sie uns Einblicke in ihren musikalischen Werdegang und die Suche nach einer authentischen Ausdrucksform.

"Ich musste ganz schnell zu Hause raus"

Backstage PRO: Wie bist du zu deiner Liebe zur Musik gekommen?

Jenny Thiele: Ich bin in Dresden geboren und dann recht schnell von meinen Eltern in die Nähe von Düsseldorf gezogen worden. Mein Vater war Punkmusiker in der DDR und ein riesiger Einfluss. Er hat uns immerzu eigene Songs vorgesungen, wenn wir ins Bett gegangen sind. Musik war dadurch immer da. Ich habe dann ganz klassisch Klavier gelernt, aber das Üben gehasst. Irgendwann hat meine Mutter beobachtet, dass ich dauernd zu allem mitgesungen habe. Sie hat mich dann zum Gesangsunterricht geschickt und da entflammte dann die Liebe. Von da an habe ich nur noch gesungen.

Backstage PRO: Was hast du dann gesungen?

Jenny Thiele: Ich bin musikalisch ziemlich theatral sozialisiert worden und stand schnell sehr viel im Rahmen von Theaterstücken, Musicals oder Tanztheater auf der Bühne. Ich bin heute zwar weg vom Genre Musical, aber diese Verbindung von Kunstarten wie Musik und Theater liebe ich nach wie vor.

Backstage PRO: Ich stelle mir vor, dass die Möglichkeiten in einer Kleinstadt in der Nähe von Düsseldorf doch schnell begrenzt sind?

Jenny Thiele: Das Umfeld war aus heutiger Sicht schon sehr beschränkt. Ich musste da sobald es möglich war raus. Ich habe dann über meinen damaligen Freund Jazz kennengelernt. Das kannte ich gar nicht, weil das bei mir zu Hause nicht gehört wurde. Nach dem Abitur habe ich in Holland Musik mit Gesang als Hauptfach studiert. Und mich dort dann zum ersten Mal so richtig mit Jazz, Fusion, experimenteller und improvisierter Musik beschäftigt. Das ganze Musikstudentengehampel halt. [lacht].

Backstage PRO: Was war so dein erstes richtiges Vorbild auf der Suche nach der eigenen Stimme?

Jenny Thiele: Es gab das ganz tolle Jazz-Duo Tuck and Patti, unglaubliche Musiker, Gesang und Gitarre. Ich hatte dann auch ein eigenes Duo namens Tom und Jenny, und die beiden haben uns sehr beeinflusst, weil sie auf unglaublich hohem Niveau spielten, tolle Improvisationen und Cover. Und danach kam dann ein, zwei Jahre eine intensive Björk-Phase. Sie war ganz wichtig, um meine eigene Stimme kennenzulernen.

"Ich musste das Album einfach machen… Natürlich habe ich noch kistenweise von den CDs herumstehen"

Backstage PRO: Wie bist du nach dem Studium in Köln gelandet?

Jenny Thiele: Ich wollte wieder zurück nach Deutschland. Viele meiner Studienkollegen gingen nach Köln und ich dann eben auch. Der Anfang war sehr zäh, da war neben kellnern oder anderen ‚Klassikern‘ wie Gemüse auf dem Markt verkaufen das Unterrichten mein wichtigstes Standbein. Zum Kennenlernen von vielen Leuten war das super, aber fühlte sich doch auch an wie ein Mittel zum Zweck. Mittlerweile habe ich das aber sehr schätzen gelernt. Du hast beim Unterrichten immer mit "echten" Menschen zu tun, und bist nicht irgendeiner Popmusikblase unterwegs.

Backstage PRO: Neben Projekten wie Geysir oder Tom und Jenny hast du 2012 dein Soloalbum "Haus" veröffentlicht. Und das zu einem Zeitpunkt, wo bereits niemand mehr Tonträger kauft, aber durch Streaming noch überhaupt kein Geld zu verdienen war. Wie kommt man dazu?

Jenny Thiele: Ich habe das Album über ein befreundetes Label veröffentlicht und es hat auch Anklang gefunden bei Indie-Rezensenten, aber keine großen Wellen bei größeren Labels oder im Radio geschlagen.

Ich musste das Album einfach machen – ob das nun ein guter Zeitpunkt war oder nicht, hat mich nicht interessiert. Ich wollte diese Songs auf Platte bringen und als ein richtig tolles Produkt herausbringen. Das Album ist aus Recyclingmaterial, ich habe die Produktion geleitet, alles selbst finanziert, das Album gestaltet. Natürlich habe ich noch kistenweise von den CDs herumstehen. Vielleicht sollte ich mal eine Rabattaktion machen? Aber für mich war das Album jedenfalls ein Meilenstein. Ein großer Schritt für mich – ein kleiner Schritt für die Welt. [lacht]

Interview mit Jenny Thiele

Interview mit Jenny Thiele, © Foto: Timo Klein

"Viele Musiker reden mehr, als dass sie machen"

Backstage PRO: Wie kam es dann zu der Zusammenarbeit mit Fortuna Ehrenfeld?

Jenny Thiele: Das hängt sogar mit "Haus" zusammen. Kurz bevor es herauskam, bin ich ein wenig hausieren gegangen, um es Leuten vorzuspielen und ein befreundeter Soundtechniker hat mich dann an Martin Bechler verwiesen: "Den musst Du mal kennenlernen!". Ich habe ihn zusammen mit seinem jetzigen Produzenten René Tinner im Studio besucht. Die haben sich "Haus" angehört und es ziemlich zerrissen. Zu durcheinander, zu viel, mach mal einfacher. Ich hab sie natürlich gehasst dafür [lacht].

Fünf, sechs Jahre lang haben Martin und ich uns dann gar nicht gesehen, waren nur per Facebook befreundet, bis ich ihn zufällig im Kölner "Musicstore" wiedertraf. Er erzählte er mir von einem bevorstehenden Konzert beim Label-Geburtstag von Grand Hotel van Cleef. Und am nächsten Tag rief er dann plötzlich an: "Jo, mein Keyboarder ist mir abgesprungen, bist Du am Start?" Dann ging es auf erste Bandtour. Es passte. Und der Rest ist Geschichte....

Backstage PRO: Plötzlich wurdest du dadurch in eine Welt aus etablierten Indierockern rund um Kettcar und Musiklegenden wie René Tinner geworfen. Wie hast Du das empfunden?

Jenny Thiele: Das fühlte sich super an. Ich liebe es einfach, mit Profis zu arbeiten, das macht mir einfach viel Freude. Ich bin ja selbst ein Musiknerd, ich arbeite gerne sehr genau, bin ambitioniert und sorgfältig. Und dann ist es gut, wenn man Leute hat, die genauso Bock darauf haben, ein Projekt voranzutreiben.

Backstage PRO: Auch, wenn Du dabei mit Leuten zusammenarbeitest, die sehr klare Vorstellungen davon haben, was musikalisch und ökonomisch funktioniert, was nicht funktioniert, was man machen darf und was nicht?

Jenny Thiele: Ich finde das total erfrischend – auch wegen meinem Werdegang. Wenn Du viel mit Musikern zusammenhängst, landest Du schnell in so einer Blase von Leuten, die mehr reden als machen. Es gibt die einen, die immer nur jammern: "Die Musikindustrie ist in der Krise. Und wir Musiker verdienen ja nichts. Alles ganz schlimm". Oder die anderen, die sich mit unrealistischen Ideen beschäftigen: "Ach, wir müssten mal.. und dann machen wir das Projekt irgendwann...", aber es wird nichts draus.

Ich finde es wirklich erfrischend, mit professionellen und erfahrenen Leuten zusammenzuarbeiten. Da lernt man dann auch ziemlich schnell, dass Musik eben ein Geschäft ist. Und man muss sein Geschäft wirklich gut kennen, wenn man finanziell und künstlerisch Erfolg haben will. Das kann ziemlich trocken sein, aber mich bringt das weiter.

"Künstler definieren sich beständig neu"

Backstage PRO: Da muss ich noch weiterbohren. Hast du nicht manchmal die Sorge, dass diese intensive Zusammenarbeit mit etablierten Musikbusiness-Hasen dazu führt, dass du von deiner eigenen Ästhetik abkommst und dich stattdessen daran orientierst, was indierockige Ü-50er Männer als gut definieren?

Jenny Thiele: Ja, diese Gedanken mache ich mir auf jeden Fall. Und ich merke auch, dass natürlich genau das passiert. Wenn man so viel Zeit miteinander verbringt, ist es unvermeidbar, dass man auch davon inspiriert wird, was die anderen machen.

Ich versuche da jedoch, auf die Zeit zu vertrauen. Gerade empfinde ich die Zusammenarbeit als wichtigen Input. Weil ich die letzten zehn Jahre viel in der Musikstudentenszene unterwegs war, wo es sehr viel um Formentheorie geht oder um die Frage, wie viele Noten ich möglichst schnell spielen kann, plump gesagt. In einem eher rockigen und punkigen Umfeld gibt hingegen so ein ‚Machertum‘: Das sauge ich auf und hoffe, dass schlussendlich dann eine Facette von mir herauskommt, die authentisch ist und diese Einflüsse mitnimmt. Aber es gibt natürlich auch Tage, wo ich sage: Ey, lasst mich in Ruhe mit eurer Meinung.

Backstage PRO: Dahinter steckt die komplizierte Frage, wie man für sich als Künstlerin oder Künstler eine authentische Ausdrucksform finden kann.

Jenny Thiele: Ja, und es ist eigentlich seit ich denken kann so, dass ich auf der Suche bin nach einer Ausdrucksform, die ich für mich als authentisch oder echt verstehen kann. Ich habe das im Augenblick für mich so definiert: Man trifft als Künstler eigentlich beständig Entscheidungen, welchen Teil von sich man gerade nach vorne lässt und auf der Bühne zeigt. Jetzt ist es ja auch zum ersten Mal so, dass ich nicht als Rampensau im Vordergrund stehe. Und es überrascht mich schon, wie sehr ich das auch genieße. In der zweiten Reihe zu sein, empfinde ich als eine weitere Facette von mir, die jetzt eben mal im Vordergrund stehen darf, aber wenn wir uns in drei Jahren treffen, kann das wieder ganz anders sein.

Backstage PRO: Danke, Jenny. Wir wünschen Dir weiterhin viel Erfolg!

Personen

Jenny Thiele

Sängerin/Songschreiberin aus Köln Sängerin, Texterin, Komponistin bei Buyakano, Sängerin bei AnnaOtta und Sängerin, Pianistin, Gitarristin, Texterin, Komponistin bei Nunuk

Artists

Jenny Thiele

Deutsche Pop-World-Musik aus Köln

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