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"Du musst komponieren, so viel es geht"

Peter Seiler über Komponieren als Beruf, Zukunftsaussichten und die GEMA

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 22.07.2022

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Peter Seiler über Komponieren als Beruf, Zukunftsaussichten und die GEMA

Peter Seiler verfügt über jahrzehntelange Erfahrung als Komponist. © Thorsten Dirr

Der Komponist Peter Seiler aus Mannheim hat hunderte Stücke für Solo-Platten, Bandprojekte, Fernsehen, Filme, Werbung und Installationen geschrieben. Wir sprachen mit ihm über den Beruf des Komponisten, dessen Wandel im Lauf der Zeit und die Zukunft des Berufs des Musikers.

Backstage PRO: Du hattest einen der ersten Moog Synthesizer in Deutschland. Wie hast du es geschafft, den als ganz junger Mann zu erwerben?

Peter Seiler: Als ich gerade volljährig war, habe ich einen Mini Moog bei einem Musikgeschäft im Odenwald per Ratenzahlung gekauft. Dieser Synthesizer hat mir viele Türen geöffnet, weil er damals das angesagteste Musikinstrument war. So kam ich an viele Aufträge als Studiomusiker.

Backstage PRO: War es immer dein Berufswunsch Musiker zu werden?

Peter Seiler: Ich habe eine klassische Klavierausbildung erhalten, aber nicht an einer Musikhochschule studiert. Viel Wissen, beispielsweise über Orchestrierung, habe ich mir privat erarbeitet. Der klassische Unterricht hat mich sehr geprägt - und dann kam als Jugendlicher die Popmusik hinzu. Schon als 16-jähriger habe ich mit einer Band in den US-Clubs der Rhein-Neckar-Region gespielt, in die man aber eigentlich erst ab 18 durfte. Ich war also Schüler und habe fast jeden Abend bis um Mitternacht gespielt. Morgens um 7 bin ich dann aufgestanden und in die Schule gegangen. 

Backstage PRO: Welche Musik hat dich besonders geprägt?

Peter Seiler: Auf jeden Fall die Beatles. Total inspiriert hat mich der Klang der Hammond-Orgel des Jazz-Organisten Jimmy Smith. Und dann natürlich Keith Emerson von ELP, dessen musikalischer Weg meinem ähnelt, denn er kam auch von der Klassik zum Rock. Damals habe ich ihn live mit einem riesigen Moog IIIc-Synthesizer und ich war geflasht. So einen Moog musste ich auch haben. 

Backstage PRO: Deine Band Tritonus war ja auch ein wenig die deutsche Antwort auf ELP

Peter Seiler: Auf der einen Seite war es ein Fluch, auf der anderen Seite war ein Segen. Wir galten bei einigen immer als ELP-Nachmacher, wozu sicher beigetragen hat, dass unser Bassist Ronald Brand wie Greg Lake auch gesungen und Gitarre gespielt hat. Zudem hatte ich durch den Moog, die Hammond-Orgel, Leslie-Lautsprecher und Hiwatt-Verstärker einen ähnlichen Sound wie Keith Emerson. Das hatte aber nicht nur Schattenseiten, denn in ländlichen Gebieten haben wir einige Veranstaltungen gespielt, wo die Leute "Deutschlands ELP" sehen wollten. Danach sind auch die Gagen nach oben gegangen. 

"Wir haben besessen am Sound gebastelt"

Backstage PRO: Wie kam es dazu, dass du mehr außerhalb eines Bandkontextes komponiert hast, beispielsweise für Fernsehen oder Werbung?

Peter Seiler: Die Tritonus-Platten waren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Illustrations-Musik beliebt. Dazu trug auch bei, dass die Band hervorragend klang. Nach damaligen Standards waren wir weit vorne, aber selbst heute kann man sich noch einen Großteil der Musik gut anhören. Unser Bassist Ronald Brand war auch sehr soundaffin und gemeinsam haben wir wie besessen am Sound gearbeitet und herumgebastelt.

Backstage PRO: Und das hat die Musikredaktionen überzeugt?

Peter Seiler: Genau, so habe ich mir den Ruf eines Komponisten für Film- und Fernsehmusik erworben und erhielt den Auftrag, die Titelmusik einer Fernsehsendung für das ZDF zu komponieren. Die Redaktion hat das Stück genommen und dadurch erhielt ich andere Kompositions-Aufträge, auch für Fernsehfilme. Ich war zur rechten Zeit am rechten Ort.

Backstage PRO: Viele in der Rhein-Neckar-Region kennen dich auch über die Klangoase im Mannheimer Luisenpark. Wie ist das Konzept entstanden?

Peter Seiler: Die Idee besteht darin, dass 12 Stunden am Tag Musik aus Lautsprechern erklingt, die in der Natur aufgehängt sind. Das ist eine simple Idee, die Schwierigkeit besteht darin, dass es den Leuten gefallen muss. Mein Konzept ist daher, zeitlose klassische Musik zu schreiben, die mit Keyboards, aber auch mit Geige, Cello, Oboe usw. instrumentiert sind. Mit dieser Musik erreichen wir seit 25 Jahren hunderttausende Menschen, die in den Liegestühlen liegen und die Klangoase als Attraktion des Parks betrachten. Das macht mich stolz.

Backstage PRO: Wie komponierst du?

Peter Seiler: Ich bin Komponist am Klavier. Ich komponiere klassisch mit Bleistift und Papier an meinem Flügel und mache ein Head Arrangement. Erst dann nehme ich die Komposition im Studio auf. Dazu hatte ich viele Jahre mein eigenes Tonstudio im Jungbusch in Mannheim, lange bevor der Stadtteil “trendy” war.

Backstage PRO: Woher kommen die Ideen?

Peter Seiler: Aus Bildern, Reisen, Stimmungen, neuen Romanzen und verkorksten Beziehungen mit Frauen. Wenn eine Beziehung zerbrochen ist, dann entstanden daraus Songs, meistens melancholische. 

"Werbung zwingt dich, auf den Punkt zu arbeiten"

Backstage PRO: Aber es reicht ja nicht, nur zu komponieren, wenn man in der richtigen Stimmung ist, vor allem wenn es sich um Auftragsmusik handelt.

Peter Seiler: Ein Verleger hat mir früh gesagt: Du musst komponieren, so viel es geht. Die Werbemusik zwingt dich, auf den Punkt zu arbeiten, und zwar sowohl musikalisch für die Zielgruppe wie auch in Hinblick auf die Disziplin. Beispielsweise erhältst du am Montag einen Anruf einer Werbeagentur und am Donnerstag erwarten sie ein Demo.

Backstage PRO: Wie lief das früher ab? Heute würde man Dateien durch die Gegend schicken.

Peter Seiler: Ich habe alle Noten geschrieben und bin mit Musikern ins Studio gegangen. Dort haben wir zunächst ein Layout aufgenommen und dann bin ich mit einer Audio-Kassette zur Agentur gefahren. Die Kreativabteilung oder die Geschäftsführung hat sich dann die Musik angehört. Manchmal haben sie die Musik genommen, manchmal wollten sie Änderungen. Die sind dann mit der von ihnen präferierten Fassung zu ihrem Kunden und haben denen die Musik vorgestellt. Die Kunden haben dann die Musik genommen – oder auch nicht.

Backstage PRO: Das ist ja ein Prozess, der an vielen Stellen Enttäuschungen bereithält. Die Agentur kann das Werk genauso ablehnen wie der Auftraggeber. Wie geht man mit der Ablehnung um?

Peter Seiler: Die Niederlagen waren teilweise heftig, viele Fassungen waren für den Papierkorb ,aber mit den Erfolgen kamen neue Aufträge. Manchmal habe ich aber auch selbst die Reißleine gezogen. Ich hatte Jobs, die wirklich nervig waren, beispielsweise Duplo, da ich in den 1980ern der Haus- und Hofkomponist von Ferrero war. 

Backstage PRO: Was war die Schwierigkeit?

Peter Seiler: Wenn man "Duplo" singen will, dann sind das nur zwei Noten. Man kann also nur zwei Noten komponieren, wobei erschwerend hinzukam, dass das Intervall "nach oben" gehen musste. Je größer das Intervall ist, etwa eine Septime oder eine None, desto schwieriger ist es für den Endverbraucher zu konsumieren. Ein Tritonus ist auch schwer zu singen. Am besten eignen sich Terzen, Quarten, Quinten und vielleicht Sexten. Die Kompositionsmöglichkeiten für ein Produkt mit zwei Silben bzw. Tönen sind nun einmal rechnerisch begrenzt. Der Kunde wollte eine Variante zu meiner Komposition und noch eine. Nach dem vierten oder fünften Demo setzte der Frust ein, obwohl ich diese Demo-Phasen bezahlt bekam und gutes Geld verdiente. 

"Ich habe am Fließband komponiert"

Backstage PRO: Wie hast du das alles bewältigt?

Peter Seiler: Ich habe am Fließband komponiert, morgens um neun Uhr ging es los – und manchmal bin ich nachts um ein Uhr ins Bett. Ich war ein Workaholic. Wenn du in dieser Branche mitspielen willst, geht es aber kaum anders. Du benötigst kompositorisches Talent sowie Disziplin und Fleiß, um das Talent überhaupt umzusetzen. Das Obsessive, die Leidenschaft, das unbedingt machen zu wollen, zwingt dich auch dazu, nicht aufzuhören, bis der Job beendet ist. Das habe ich ungefähr dreißig Jahre gemacht.

Backstage PRO: Wie unterscheidet sich das Komponieren für Filme von der Arbeit für die Werbung?

Peter Seiler: Die Arbeit für Filmmusik war im Detail wesentlich anspruchsvoller, weil man als Komponist sensibel auf die Szenen reagieren muss. Für das Komponieren von Musik für Szenen von 45 Sekunden habe ich bisweilen einen ganzen Tag benötigt. Dann kommt der Cutter und sagt: "Das ist zu laut, das ist zu viel Hollywood, das macht die Szene kaputt." Dann wirfst du die Musik in den Mülleimer. Diese Produktionsphasen waren wirklich mit einem extremen Zeitdruck versehen, weil du gegen Filmabgabe- und Schneideraum-Termine arbeitest. Und du fängst mit einem leeren Notenblatt an. Das ist das Allerschlimmste.

Backstage PRO: Hast du jemals so etwas erlebt, was man heute als Burnout bezeichnet?

Peter Seiler: Eigentlich nicht, ich hatte das immer im Griff. Ich habe die Kompositionstätigkeit ja noch getoppt. Zum einen mit einen Solo-Keyboard-Alben, die ich komponiert und produziert habe, zum anderen mit Filmmusik. Das war super zur Finanzierung meines Tonstudios, das sehr gut ausgelastet war. Ich erhielt ein Produktionsbudget von 20 Tagen und dazu mein Honorar. Ich hatte ein Ensemble aus 5-6 Studiomusikern, die ins Studio kamen und prima vista, also direkt vom Blatt, meine Musik spielten. 

"Heute gibt es für Filme kaum noch Budget"

Backstage PRO: Was hat sich geändert?

Peter Seiler: Heute gibt es für kleine oder mittelgroße Filme kaum noch Budget. Die Filmproduzenten nutzen library music, also vorproduzierte Musik, deren Qualität durchaus gut sein kann. Man komponiert also mit Blick auf die GEMA-Tantiemen, da es kaum noch Honorare gibt. Für einen Tatort gibt es noch ein ordentliches fünfstelliges Honorar, aber das ist leider eine Ausnahme. Wenn du Pech hast, dann hat der Auftraggeber besondere Vorstellungen, und möchte beispielsweise ein Saxophon oder eine Trompete verwendet sehen. Daher arbeite ich mit einigen hervorragenden Musikern aus der Region zusammen, beispielsweise mit Olaf Schönborn oder Thomas Siffling – und früher mit Jochen Brauer. Aber diese Musik machen das natürlich nicht umsonst und die Kosten gehen von deinen Tantiemen ab. Außerdem dauert es, bis man das Geld von der GEMA erhält. Wenn jetzt aktuell ein Stück von mir in Deutschland gesendet wird, erhalte ich meine Ausschüttung am 1. Juli 2023, bei Sendungen im Ausland sogar erst 2024!

Backstage PRO: Wie ist es mit Komponisten für Computerspiele?

Peter Seiler: Die Komponisten für die Computerspiele erhalten meistens ein fettes Auftragshonorar, treten aber alle Rechte ab. Teilweise sind sie nicht einmal Mitglied in einer Verwertungsgesellschaft, weil die Rechtesituation kompliziert ist. Die Produzenten dieser games music wollen alles in der Hand behalten und mit GEMA-freiem Repertoire arbeiten.

Backstage PRO: Wie sieht es bei großen Hollywood-Produktionen aus? Ich denke an Leute wie Hans Zimmer.

Peter Seiler: Für A-Movies wird durchaus ein Honorar von 1 Million US-Dollar bezahlt plus natürlich die Einnahmen aus Sende- und Aufführungsrechten sowie dem mechanischen Recht.

Backstage PRO: Es ist also weniger Geld da…

Peter Seiler: …nein, eigentlich ist das Geld schon da, wobei meistens an der Musik gespart wird. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten zahlen aber nach wie vor gute Beträge an GEMA, GVL und andere Verwertungsgesellschaften. Das hat sich eigentlich nicht geändert. Kompositionshonorare und Produktionskosten werden aber kaum noch bezahlt.

"Die GEMA wird komplett falsch wahrgenommen"

Backstage PRO: Du bist seit Ewigkeiten ordentliches Mitglied der GEMA. Um die ordentlichen Mitglieder der GEMA ranken sich ja seit vielen Jahren Mythen, weil die alles in der GEMA bestimmen. Wie siehst du das?

Peter Seiler: Für mich ist die GEMA der wichtigste, zuverlässigste und beste Partner in meinem Musikleben. Die GEMA wird nach außen hin komplett falsch wahrgenommen, weil die Leute keine Ahnung haben. Die GEMA wird von den ordentlichen Mitgliedern getragen, die bei der jährlichen Hauptversammlung alle grundlegenden Entscheidungen treffen. Außerdem steht die GEMA unter der Aufsicht des Deutschen Patent- und Markenamtes, das auch immer wieder Einfluss auf die Arbeitsweise der GEMA nimmt.

Backstage PRO: Ist ein möglicher Grund der kritischen Wahrnehmung der GEMA möglicherweise auch, dass es eben die einzige Verwertungsgesellschaft ist, mit der "normale Bürger" etwas zu tun haben? Viele fragen sich vermutlich, was mit dem Geld passiert, dass die GEMA kassiert.

Peter Seiler: Die GEMA verteilt ihre Einnahmen an diejenigen, die die Musik geschrieben haben. Wovon sollte der Komponist leben, wenn nicht von den Einnahmen der GEMA? Vor einigen Jahren haben sich die Diskothekenbetreiber wegen höherer Beiträge aufregt, dabei wird in Diskotheken ausschließlich Musik gespielt. Niemand geht in Diskotheken, weil es dort ein spezielles Bier gibt. 

Backstage PRO: Wie ist der Stand im langjährigen Streit mit Youtube. Fließen da regelmäßig Gelder?

Peter Seiler: Seit einigen Jahren ist klar, dass Unternehmen wie Youtube an die GEMA Zahlungen entrichten müssen, wenn dort urheberrechtlich geschützte Musik verwendet wird. Inzwischen fließt Geld an die GEMA: Es gab eine Einmalzahlung, die zwischen GEMA und Youtube unter dem Siegel der Verschwiegenheit ausgehandelt wurde. Diese Zahlung wurde von Youtube übrigens rückwirkend für mehrere Jahre entrichtet. Zwischenzeitlich hat die GEMA Lizenzverträge mit Youtube, Spotify und anderen Streaming-Services geschlossen.

Backstage PRO: Die Online-Welt entwickelt sich rasend schnell. Wir sprechen von Youtube, aber inzwischen gibt es neue Player wie TikTok. Wie geht die GEMA damit um?

Peter Seiler: Das war ein Thema der diesjährigen Mitgliederversammlung. Aufgrund der Schnelllebigkeit der Online-Welt sind die Mitglieder dazu angehalten, ihre Werke bereits vor der Veröffentlichung zu melden, weil die Nutzung in dem Augenblick beginnt, in dem das Werk veröffentlicht ist. Das ist besonders deshalb wichtig, weil die GEMA bei Spotify, Apple Music, Deezer etc. ein monatliches Inkasso macht.

"Jeder Musiker sollte die Funktionsweise der GEMA kennen"

Backstage PRO: Das erfordert ja auch eine hohe Vertrautheit mit bürokratischen Systemen. Nicht jeder Musiker ist dem zugetan, denn viele sind ja Musiker geworden, um mit Bürokratie möglichst wenig zu tun zu haben.

Peter Seiler: Neben dem Quintenzirkel sollte ein Komponist oder Songwriter auch die grundsätzliche Funktionsweise einer Verwertungsgesellschaft kennen. Wer dazu keine Lust hat, sollte sich einen Manager zulegen, der sich damit beschäftigt – aber dafür natürlich auch Geld kassiert.

Backstage PRO: Ist das auch die Message, die du den Studierenden an der Popakademie vermittelst? Dort hast du ja einen Lehrauftrag über Verwertungsgesellschaften. 

Peter Seiler: Ich versuche den Bachelor-Studenten die Grundzüge der GEMA aus Sicht eines Komponisten näherzubringen. Außerdem beschäftigen wir uns mit der GVL und auch der VG Musikedition, die für diejenigen wichtig ist, die später vielleicht in irgendeiner Form unterrichten möchten. Ich berate die Studierenden auch beim Abschluss des Berechtigungsvertrags, den Anträgen und Meldungen. Dadurch habe ich mir einen ganz guten Ruf erworben, denn wenn die Studierenden später Geld von der GEMA erhalten, erinnern sie sich an denjenigen, der ihnen das vermittelt hat

Backstage PRO: Was sind die größten Herausforderungen der GEMA?

Peter Seiler: Die GEMA muss mit den technologischen Entwicklungen Schritt halten. In Hinblick auf die Digitalisierung ist sie auf einem guten Weg, nur manchmal dauern die Entscheidungsprozesse zu lange, weil die Mitgliederversammlung zustimmen muss – und die tagt eben nur einmal im Jahr.

Backstage PRO: Wir haben viel über die ordentlichen Mitglieder gesprochen, was ist denn mit den außerordentlichen Mitgliedern, die sich manchmal zurückgesetzt fühlen, weil sie der Auffassung sind, dass die ordentlichen Mitglieder alles bestimmen.

Peter Seiler: Außerordentliche Mitglieder erhalten das gleiche Geld wie die ordentlichen Mitglieder. Der einzige Unterschied zwischen den verschiedenen Mitgliederkategorien besteht in der Entscheidungsgewalt auf der Mitgliederversammlung, wo die außerordentlichen Mitglieder nur durch Delegierte vertreten sind, und in der Möglichkeit als ordentliches Mitglied nach 20 Jahren eine Alterssicherung zu erhalten. Das ist eine einmalige Bonuszahlung im Jahr. Außerdem gibt es noch die GEMA-Sozialkasse, die dann greift, wenn deine Tantiemen auf weniger als 18.500 Euro im Jahr sinken. Dann erhältst du als ordentliches Mitglied wiederkehrende monatliche Leistungen. 

"Es ist schwer, allen Interessen gerecht zu werden"

Backstage PRO: Welche Schwierigkeiten siehst du im Funktionieren der GEMA?

Peter Seiler: Die GEMA vertritt so viele unterschiedliche Genres, deren Interessen sich naturgemäß unterscheiden. Diesen Interessen – insbesondere zwischen E- und U-Musik - gerecht zu werden, ist eine Herausforderung. 

Backstage PRO: Du bist Vorsitzender des Deutschen Komponistenverbandes im Bundesland Baden-Württemberg. Was genau leistet der Verband?

Peter Seiler: Der Komponistenverband vereinigt einen Großteil aller Komponisten aus den Bereichen U-Musik, E-Musik und Jazz. Fast alle namhaften Komponisten sind Mitglied. Unlängst hat der Komponistenverband sich für die Urheberrechtsreform eingesetzt. Wir schicken Abgesandte nach Brüssel und Berlin, damit wir im Gesetzgebungsprozess wahrgenommen werden – was sehr lange gedauert hat.

Backstage PRO: Manche kritisieren die Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform durch den deutschen Gesetzgeber als unzureichend, manche sehen darin einen gewaltigen Fortschritt. Wie ist deine Meinung?

Peter Seiler: Ich sehe sie als riesigen Fortschritt, wobei nach wie vor Verbesserungsbedarf besteht. Im Grunde sind die Weichen gestellt, damit eine angemessene Vergütung sichergestellt wird, wie sie im Urheberrechtsgesetz gefordert wird. Die GEMA, der Komponistenverband und einige Politiker haben großen Anteil daran, dass die Forderungen umgesetzt wurden.

"Junge Instrumentalisten müssen hervorragend sein"

Backstage PRO: Wie blickst du angesichts der rasanten technischen Entwicklung in die Zukunft?

Peter Seiler: Es gibt Zukunftsforscher, die vorhersagen, dass der Massenmarkt von Musik dominiert wird, die individuell für den Zuhörer durch Künstliche Intelligenz komponieren wird.

Backstage PRO: Das ist eigentlich eine schreckliche Vorstellung, oder? Dann wären viele Musiker überflüssig.

Peter Seiler: Wir haben aber die Auswirkungen bereits erlebt, als die Drum-Computer aufkamen. Ich kenne dutzende Schlagzeuger, die danach kaum noch im Studio gespielt haben. Der Drum-Computer hat viele Studiomusiker arbeitslos gemacht. Nur die Top-Leute konnten unter den neuen Gegebenheiten überleben – oder diejenigen, die wussten, wie man die Drum-Computer programmiert. 

Backstage PRO: Was bedeuten diese Überlegungen für die jungen Leute, die aktuell beispielsweise an der Popakademie studieren?

Peter Seiler: Sie müssen ganz hervorragend sein, insbesondere die Instrumentalisten.

Backstage PRO: Aber es werden jedes Jahr so viele ausgebildet, es können ja nicht alle hervorragend sein.

Peter Seiler: Die Zahl derjenigen, die überleben kann, wird weniger werden. Aktuell wissen wir von den Absolventen der Popakademie, dass sich ein Großteil von der Musik ernährt. Sie müssen sich breit aufstellen, unterrichten, auch Auftragsarbeiten erledigen. Die Absolventen der letzten Jahre sind alle noch gut untergekommen. Aber ich denke, dass das in der Zukunft schwieriger werden wird.

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