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Lieder für andere Interpreten komponieren

Songwriter – der unterschätzte Beruf für Musiker

Tipps für Musiker und Bands von Daniel Nagel
veröffentlicht am 30.07.2019

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Songwriter – der unterschätzte Beruf für Musiker

Die Arbeit als professioneller Songwriter ist eine häufig unterschätzte Karriere-Option. © Yanyong Kanokshoti / 123RF

Viele Musiker träumen davon ihre Fans bei großen Konzerten mit ihren selbstgeschriebenen Songs zu begeistern. Aber Songwriter können auch im Hintergrund agieren. Unterschätzen viele Musiker diese Möglichkeit? Dieser Frage gehen wir im folgenden Artikel nach.

"99 von 100 Leuten, die mit dem Musikmachen beginnen, ist nicht klar, dass man Songs für andere schreiben kann". Mit diesen Worten wird Songwriter David Nitt, der durch seine Zusammenarbeit mit Mark Forster zahlreiche Charterfolge feierte, sinngemäß in einem Feature des Deutschlandfunks zitiert

Ausnahme oder Regel?

Stattdessen dominieren in der allgemeinen Wahrnehmung diejenigen Bands und Künstler, die ihre selbstgeschriebenen Songs im Studio aufnehmen und live performen – ob es sich um The Beatles, Bob Dylan, Pink Floyd, Queen oder Nirvana handelt. Aber sind diese Acts für die breite Masse der populären Musik repräsentativ? 

Ein erfolgreicher deutscher Sänger stellte diesen Zusammenhang wie folgt dar: "Es ist viel von einem Menschen verlangt, toll zu singen, ein hervorragender Performer zu sein und darüber hinaus komponieren und texten zu können. Man tut gut daran, die eigenen Stärken zu erkennen und wenn man toll singen und performen kann, ist das schon viel wert."

Performer ist nicht gleich Songwriter

Berühmte Performer, die selten oder nie eigene Songs geschrieben haben, gibt es in großer Zahl. Das Paradebeispiel ist Elvis Presley, der im Verlauf seines Leben nur an einer Handvoll Songs mitgeschrieben hat. Weltstars wie Joe Cocker, Tina Turner, Tom Jones oder Whitney Houston wurden nie als Songwriter tätig, andere wie Rod Stewart schrieben im Verlauf ihrer Karriere nur eine Handvoll Songs. 

Besonders in Deutschland tun sich viele Musiker damit schwer, dass es Interpreten gibt, die von anderen geschriebene Songs performen. Im Schlager oder im Mainstream-Pop wird dieser Umstand noch am ehesten akzeptiert. Stattdessen dominiert der Anspruch, als selbstschaffender Künstler tätig zu sein und die Songs selbst zu schreiben, zu texten und zu performen.

Lange Tradition im englischen Sprachraum

In den USA und in Großbritannien, besitzt der Beruf des professionellen Songwriters eine längere Tradition und steht in ganz anderem Ansehen. Bevor Künstler wie Bob Dylan und The Beatles Anfang der 1960er-Jahre mit selbstgeschriebenen Songs eine Zeitenwende einleiteten, waren professionelle Songwriter für die größten Charthits in den USA verantwortlich.

Die Songwriter-Szene konzentrierte sich im Brill Building, gelegen am Broadway unweit des Times Squares in New York City. In den kleinen, engen Büros verfassten so berühmte Songwriter wie Burt Bacharach & Hal David, Jerry Leiber und Mike Stoller, Carole King, Neil Diamond, Gerry Goffin oder Neil Sekada ihre berühmten Lieder. Zudem befanden sich im Brill Building die Büros zahlreicher Musikverlage, Produzenten und Plattenfirmen.

Diese Tradition der professionellen Songwriter besteht in den USA bis heute fort, nur konzentriert sich die Szene heute nicht mehr in New York City, sondern in Los Angeles. Viele Erfolgsalben der Gegenwart beinhalten Songs, die von einer Handvoll bis zu einem Dutzend Autoren geschrieben wurden. Moderne Popmusik ist längst Teamarbeit.

Erfolgreiche deutsche Songwriter

Die Geschichte der deutschen Popmusik ist ebenfalls mit professionellen Songwritern verbunden. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist Ralph Siegel, der gemeinsam mit Partnern wie Bernd Meinunger mehr als 2000 Songs komponierte und beispielsweise für Hits wie "Theater" (Katja Ebstein) und "Ein bisschen Frieden" (Nicole) verantwortlich ist. Ein anderes Beispiel ist Michael Kunze, der so bekannte Lieder wie "Griechischer Wein" oder "Ich war noch niemals in New York" für Udo Jürgens schrieb. 

Zu den erfolgreichen deutschen Songwritern der Gegenwart zählen beispielsweise Peter Plate, Ulf Leo Sommer und Daniel Faust (alle ehemals bei Rosenstolz beteiligt), die einen beachtlichen Teil der Lieder für Sarah Connors deutschsprachige Alben verfasst haben. 

Berühmt durch Böhmermann

Ein weiterer erfolgreicher Songwriter ist  Alexander "Ali" Zuckowski, der Autor von Max Giesingers "80 Millionen" und zahlreicher weiterer erfolgreicher Lieder.

Die ausweichende Antwort Max Giesingers auf die Frage nach der Entstehung von "80 Millionen", veranlasste Jan Böhmermann zu seinem berühmten Rant über "die deutsche Industrie-Musik". Bei allem Witz zeigt diese, wie sehr das Bild des selbstschaffenden Künstlers nach wie vor dominiert, obwohl es nicht die Realität des Musikbusiness wiedergibt.

Komplexe Realität

Wie komplex die Organisationsformen des Songwritings sind, zeigt der Blick auf einige der erfolgreichsten Sängerinnen der Gegenwart. Während Rihanna oder Beyoncé in der Regel maximal Co-Writer-Credits für ihre Songs erhalten, werden die nicht minder erfolgreichen Sängerinnen Taylor Swift, P!NK, Lady Gaga oder Katy Perry auf ihren Veröffentlichungen meistens als erste in der Liste der Songwriter genannt.

Ähnlich verfährt der wohl erfolgreichste männliche Musiker der Gegenwart: Ed Sheeran. Während der Engländer aber live ohne Begleitung auftritt, schreibt er seine Songs im Team. 

Inwiefern die Credits den wirklichen Anteil und nicht nur die schiere Marktmacht der performenden Sängerinnen und Sänger repräsentieren, lässt sich von außen kaum beurteilen. Anders gesagt: Wer würde Rihanna einen Songwriting Co-Credit verweigern, wenn er künftig noch mit ihr zusammenarbeiten möchte?

Darüber hinaus existieren zahlreiche Mischformen. Songwriter schreiben Lieder für andere Künstler, sind aber auch selbst als eigenständige Künstler aktiv. Der bereits genannte Neil Diamond ist ein gutes Beispiel aus vergangenen Jahrzehnten, unter den heutigen Künstlern ragt die Australierin Sia heraus.

Alte Karrieremodelle und die neue Musikwelt

Fest steht, dass ständige Tourneen und Live-Auftritte nicht für alle Musiker gemacht sind. In früheren Jahrzehnten gab es erfolgreiche Künstler wie Kate Bush, XTC oder Portishead, die selten oder nie auf Tour gingen, aber von ihren Tonträgerverkäufen gut leben konnten. 

Der dramatische Wandel des Musikmarkts weg von Einnahmen durch Tonträgerverkäufe hin zu Einnahmen durch verkaufte Konzertkarten erschwert solche Karrieren heutzutage enorm.

Gute Netzwerke unerlässlich

Eine Alternative zum ständig live auftretenden Musiker ist der selbstständige Songwriter, der für andere textet oder komponiert und seine Lieder erfolgreich auf den Veröffentlichungen anderer Künstler platziert. Das geht natürlich nicht als Einzelkämpfer.

Professionelle Songwriter sind in der Regel vertraglich an Musikverlage gebunden, die sich um die Vermarktung der Songs kümmern. Zahlreiche persönliche Beziehungen zu Künstlern, Managern und Produzenten ergänzen das Netzwerk des Songwriters, der für andere tätig ist. 

Mit Enttäuschungen umgehen

Ein gewichtiger Teil der Einnahmen von Songwritern stammt aus den GEMA-Ausschüttungen für das Vervielfältigungs- und Aufführungsrecht der eigenen Songs. Wenn Max Giesinger "80 Millionen" im Konzert singt oder ein Radiosender das Lied spielt, erhält Ali Zuckowski auch einen Anteil.

Dennoch fordert der Beruf des Songwriters eine hohe Toleranz gegenüber Rückschlägen und Enttäuschungen, etwa wenn der Interpret den vorgeschlagenen Song zurückweist oder eigentlich schon sicher geglaubte Kooperationen nicht zustandekommen. Wer damit zurechtkommt, kann sich möglicherweise eine lukrative Einnahmequelle erschließen.

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