×

Gewichtige Themen und jede Menge Musik

TikTok, Diversity und Rock'n'Roll: So war das Reeperbahn Festival 2023

Review von Backstage PRO
veröffentlicht am 25.09.2023

reeperbahn festival meet the mannheimers livekomm tiktok geschlechtergerechtigkeit künstliche intelligenz thomann popakademie

TikTok, Diversity und Rock'n'Roll: So war das Reeperbahn Festival 2023

Orbit im Mojo Club beim Reeperbahn Festival 2023. © Dirk Brünner

Das Reeperbahn Festival in Hamburg wurde auch in der 18. Ausgabe seinem Ruf als einer der wichtigsten Musik-Branchentreffs gerecht. Die abwechslungsreiche Kombination aus Showcases und Kongress-Programmpunkte bot sowohl Branchen-Insidern als auch Musikliebhabern ein buntes Programm, das sowohl musikalisch als auch inhaltlich zahlreiche Akzente setzte.

Rund 49.000 Besucher*innen strömten zu den nicht weniger als 475 Konzerten von 400 Bands und Künstler*innen aus über 40 Ländern rund um Reeperbahn und Schanzenviertel. 

Dazu fanden beim Reeperbahn Festival 2023 rund 180 Panels, Talks, Podcasts, Screenings, Ausstellungen und interaktive Angebote statt. Zu den Festivalbesucher*innen gesellten sich und rund 4.000 Fachbesucher*innen, die in mehr als 350 Programmpunkten aus Sessions, Networking-Events, Showcases sowie Award-Verleihungen die aktuellen Entwicklungen des Musikbusiness diskutieren konnten.

Networking und Zusammenarbeit

Eines der Hauptziele des Kongresses besteht nach wie vor darin,  Plattformen für Networking zu schaffen. Mit Teilnehmer*innen aus der ganzen Welt bot das Festival grenzübergreifende Möglichkeiten, sich auszutauschen, Synergien zu identifizieren und neue Wege der Zusammenarbeit zu realisieren. 

Zahlreiche Meet & Greets wurden sowohl von Verbänden und Institutionen wie z. B. dem VUT, der Livekomm, der Initiative Musik und Merlin als auch von Labels, Bookingagenturen und Exportbüros angeboten. Auch die Stadt Mannheim präsentierte sich im Kontext des gut besuchten Get Togethers. 

Das von Next Mannheim in Kooperation mit der Popakademie Baden-Württemberg organisierte Event "Meet The Mannheimers" fand im DOT-Club statt und bot Alumnis, sowie Freund*innen und Partner*innen aus allen Nischen der Branche in angenehmer Atmosphäre Raum für interessante Gespräche.

Meet the Mannheimers im DOT Club mit den Geschäftsführern der Popakademie: Michael Herberger, Derek von Krogh und Udo Dahmen

Meet the Mannheimers im DOT Club mit den Geschäftsführern der Popakademie: Michael Herberger, Derek von Krogh und Udo Dahmen, © Dirk Brünner

Einmal mehr wurde die Stabübergabe innerhalb der Führungsetage der Popakademie Baden-Württemberg thematisiert und von kurzen Ansprachen der jeweiligen Akteure, Udo Dahmen, (ehemaliger Geschäftsführer) und der beiden aktuellen Geschäftsführern Derek von Krogh und Michael Herberger begleitet. 

Neben all diesen offiziellen Programmpunkten traf sich die Branche immer wieder auch abends in Kneipen und Kiosken rund um die Reeperbahn. Die Branche hat demnach das sogenannte “Cornern” lieben gelernt. Ungezwungenes Networking ohne vorherige Akkreditierung lässt sich wohl kaum einfacher und lässiger umsetzen. 

Der Kongress: Keynotes, Panels und Workshops

Der Kongress bot erneut eine Fülle von Themen. Die aktuelle Lage in der noch spürbaren Post-Corona Phase und den damit einhergehenden hohen Ticketpreisen kommt dabei ebenso zur Sprache wie richtungsweisende Entwicklungen rund um das Thema Künstliche Intelligenz und Social Media Phänomene wie TikTok, das gleich mehrfach innerhalb des Kongressprogramms die Aufmerksamkeit auf sich zog. 

TikTok – der Branchenprimus unter den Social Networks? 

Bereits in den Vorjahren zeichnete sich ab, dass Plattformen wie Youtube, Soundcloud, Instagram und TikTok verstärkt um die Gunst der Bands und Musiker*innen (so genannte Creators) werben. Sie nehmen für diese Netzwerke eine besondere Rolle ein, da sie einerseits den Content produzieren, der den Usern über smarte Algorithmen angeboten wird – mit dem Ziel, eine höhere Reichweite und stärkere Bindung zu erzeugen.

Paul Hourican, Global Head of Music Content & Partnerships von TikTok und Joe Sparrow, Journalist und Radiomoderator

Paul Hourican, Global Head of Music Content & Partnerships von TikTok und Joe Sparrow, Journalist und Radiomoderator, © Dirk Brünner

Um diesen Kreislauf am Leben zu halten und gleichzeitig einen möglichst großen Anteil vom immer größer werdenden Kuchen des Digital Music Business zu sichern, lassen sich diese Mediengiganten eine Menge einfallen. Neue Videoformate, Audiostreaming, Payment Dienstleistungen sowie Gamification-Formate wie "Battles" sind nur ein kleiner Teil dessen, was als unverzichtbare Tools für Musiker*innen zur Verfügung gestellt wird.

Die Rechnung scheint aufzugehen. Immer mehr junge Acts suchen den Weg in diese virtuellen Räume, um mit viel Engagement und Zeit im besten Sinne des so genannten immersiven Storytelling die Erwartungen ihrer Community zu befriedigen und idealerweise über Tokens Geld zu verdienen. 

Diejenigen, die vom Künstlerengagement am meisten profitieren, werden allerdings auch in Zukunft die Plattformbetreiber*innen selbst sein. Nicht umsonst nehmen alle Akteure für sich in Anspruch, neue sowie effektivere Wege der Kontextualisierung von Musik anzubieten. 

Emotionen und Authentizität ist die Währung, auf der diese Geschäftsmodelle aufsetzen. Künstler*innen werden demnach immer mehr zu Content-Maschinen, denen über niedrigschwelligen Zugriff auf potente Tools ein digitales Spielfeld mit Star Appeal eingerichtet wird. 

Mit Hilfe von KI zwischen Content und Kunst 

Um diesem Content-Druck gerecht zu werden, greifen immer mehr Acts auf KI-Produkte zurück, von denen einige auch im Rahmen der Panels thematisiert wurden. Grundsätzlich ist die Botschaft klar: Künstliche Intelligenz sollte nicht dämonisiert werden. Der geschickte Einsatz dieser Tools kann sowohl den künstlerischen  Prozess bereichern als auch weniger kreative Tätigkeiten des Tagesgeschäfts beschleunigen bzw. vereinfachen. 

Die Palette reicht von KI-gesteuerten Mastering Tools bis hin zu Anwendungen (z. B. stableaudio.com), die den kompletten Entstehungsprozess von kreativem Output unterstützen. Die Programme sind mittlerweile so gestaltet, dass nicht nur Tech-Nerds davon profitieren. Vielmehr ermöglichen intuitive User Interfaces den einfachen Zugang für jedermann. 

Simon Semrau (The Orchard), Una Schulz(Schubert Music Europe), Marc Dieter Einstmann (Iron Mountain Entertainment Services), Joe Sparrow - Journalist & Radiomoderator

Simon Semrau (The Orchard), Una Schulz(Schubert Music Europe), Marc Dieter Einstmann (Iron Mountain Entertainment Services), Joe Sparrow - Journalist & Radiomoderator, © Dirk Brünner

Manche Anwendungen wie z. B. der Video-Editor CapCut sind bereits so angelegt, dass der Output direkt auf Plattformen wie TikTok zugeschnitten ist. All das führt dazu, dass Künstler*innen immer schneller mehr Output kreieren können, was natürlich im Sinne der Plattformbetreiber*innen ist. 

Wo sich die einzelnen Creator mit ihrem Output zwischen Content und Kunst positionieren wollen, bleibt jedem selbst überlassen. Nach unserer Einschätzung sollte man jedoch dem Content-Druck, der durchaus spürbar ist, nur soweit nachgeben, dass der eigene Anspruch an die publizierten Inhalte und die persönliche geistige Gesundheit nicht leidet

KI – Bestandteil der gesamten Wertschöpfungskette

Künstliche Intelligenz findet innerhalb des gesamten Wertschöpfungsprozesses der Musikindustrie ihre Anwendung. Die Firma Aurismatic hat sich z. B. auf Musikerkennung bei Veranstaltungen spezialisiert und will so den aufwändigen Meldungsprozess zwischen Veranstalter*innen, Künstler*innen und der GEMA vereinfachen. 

Andere Panels widmeten sich der Fragestellung, wie KI Metadaten homogenisieren und ggf. eine zentrale Datenbank unterstützen kann, auf die jeder Verwerter zugreifen kann. 

Das Panel AI Music Tools & Services mit
Agnes Chung, Senior Director AI & Search, Songtradr, Portrait XO, Researcher & Artist/ Founder / Creative Director at SO LAB X, Christian James Steinmetz, PhD researcher for Digital Music, Queen Mary University of London, Matthias Strobel President & Founder, Music Tech, Moderation Ronny Krieger, Board Member des VUT

Das Panel AI Music Tools & Services mit Agnes Chung, Senior Director AI & Search, Songtradr, Portrait XO, Researcher & Artist/ Founder / Creative Director at SO LAB X, Christian James Steinmetz, PhD researcher for Digital Music, Queen Mary University of London, Matthias Strobel President & Founder, Music Tech, Moderation Ronny Krieger, Board Member des VUT, © Dirk Brünner

Diversity in der Musikbranche

Unabhängig von technologischen Innovationen und Social Media Plattformen bot der Kongress auf dem Reeperbahnfestival viel Raum für Diskussionen zum Thema Diversity. Mehrere Veranstaltungen widmeten sich der Fragestellungen, wie die Musikindustrie grundsätzlich der Unterrepräsentation von Frauen entgegenwirken kann. 

In diesem Kontext veranstaltete das Musikhaus Thomann als Debütant auf dem Reeperbahn Festival im Indra-Club ein Panel unter dem Motto "Here to get Heard", das ausschließlich aus Frauen bestand. Karolina Schrader (Songwriterin), Melanie Gollin (Musikjournalistin), Antje Schomaker (Musikerin) und Jovanka von Wilsdorf (Gründerin des "Female Producer Prize") präsentieren sich in dem Zusammenhang stellvertretend für alle Frauen innerhalb der Musikbranche und gaben Hinweise und Tipps, die den interessierten Zuhörerinnen mehr Orientierung innerhalb der von Männern dominierten Musikbranche geben. 

Karolina Schrader (Songwriterin), Melanie Gollin (Musikjournalistin), Antje Schomaker (Musikerin) und Jovanka von Wilsdorf (Gründerin des

Karolina Schrader (Songwriterin), Melanie Gollin (Musikjournalistin), Antje Schomaker (Musikerin) und Jovanka von Wilsdorf (Gründerin des "Female Producer Prize") beim Thomann-Panel "Here to Get Heard", © Dirk Brünner

Zudem wurde der Female Producer Prize vorgestellt, der in der Vergangenheit bereits begabte Produzentinnen hervorbrachte. Auch im A&R Bereich scheint sich einiges zu bewegen, um Frauen sowie Diversen einen einfacheren Zugang zu Labelstrukturen zu ermöglichen. Melanie Gollin erläuterte in diesem Kontext die besonderer Rolle so genannter Feeder Labels, deren Rolle darin bestünde, den Majors zuzuarbeiten, indem sie sich gezielt auf FLINTA-Acts konzentrieren. 

Trotz aller strukturellen Veränderungen könne eine bessere Durchdringung von Frauen in der Musikbranche aber nur gelingen, wenn diese auch mit entsprechendem Selbstbewusstsein auftreten. Sichtbarkeit ist der Schlüssel, insbesondere dann, wenn es darum geht, ein eigenes Unternehmen zu gründen. 

Nova Twins beim Thomann-Event

Nova Twins beim Thomann-Event "Here to Get Heard" im Indra Club, © Dirk Brünner

Letzteres kann zudem durch Mentoring Programme wie denen von MEWEM Europa begleitet werden. Zudem bietet Keychange eine gute Anlaufstelle für unterrepräsentierte Menschen innerhalb der Musikbranche.

Neben all den zahlreichen Themen, von denen nur ein kleiner Ausschnitt wiedergegeben wurde, bietet das Reeperbahn Festival selbstverständlich auch Raum für Awards. Die japanische Folk-Sängerin und Songwriterin Ichiko Aoba erhielt den mit 20.000 Euro dotierten ANCHOR Award. Rapperin Ebow wurde mit dem Keychange Inspiration Award ausgezeichnet. Bei den HELGA! Festival Awards siegte erneut das Open Flair Festival in Eschwege beim Publikumsvoting für die Auszeichnung als Bestes Festival.

Erstmals fand auch die Digital- und Gesellschafts-Konferenz re:publica im Rahmen des Reeperbahn Festivals statt, die künftig mit einer Zweitausgabe in Hamburg vertreten sein wird, zu der alle Besucher*innen des Reeperbahn Festivals Zugang haben.

Temples live im Mojo Club beim Reeperbahn Festival 2023

Temples live im Mojo Club beim Reeperbahn Festival 2023, © Dirk Brünner

Ingesamt 17 Bilder, klicken um Fotostrecke zu starten

Unternehmen

Ähnliche Themen

Fulminanter Startschuss für vier Tage Reeperbahn Festival 2023

Stimmen und Sounds der Zukunft

Fulminanter Startschuss für vier Tage Reeperbahn Festival 2023

veröffentlicht am 21.09.2023

Live-Szene, Web 3.0 und Streaming: So war die Reeperbahn Festival Konferenz 2022

Fulminante Rückkehr

Live-Szene, Web 3.0 und Streaming: So war die Reeperbahn Festival Konferenz 2022

veröffentlicht am 27.09.2022   2

Das Reeperbahn Festival 2022 bietet ein entspanntes musikalisches Erlebnis

Viel zu entdecken

Das Reeperbahn Festival 2022 bietet ein entspanntes musikalisches Erlebnis

veröffentlicht am 26.09.2022

Reeperbahn Festival 2022: Die Livebranche steht vor einer massiven Marktbereinigung

Die fetten Jahre sind vorbei

Reeperbahn Festival 2022: Die Livebranche steht vor einer massiven Marktbereinigung

veröffentlicht am 23.09.2022   58

Newsletter

Abonniere den Backstage PRO-Newsletter und bleibe zu diesem und anderen Themen auf dem Laufenden!