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Trendwende?

Deutet sich ein Entgegenkommen im Streit von TikTok mit Musiklabels an?

Spezial/Schwerpunkt von Antonia Freienstein
veröffentlicht am 08.06.2023

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Deutet sich ein Entgegenkommen im Streit von TikTok mit Musiklabels an?

. © Solen Feyissa via Unsplash

Die Kritik an TikTok von Seiten der Musikindustrie reißt nicht ab. Im Mittelpunkt steht die aus Branchensicht unzureichende Vergütung von Labels und Künstlern durch den Kurzvideodienst. Nun reagiert Ole Obermann, TikToks Global Head of Music, auf die Kritik: Er verteidigt die Vergütung von Musik durch TikTok, stellt aber auch Änderungen in Aussicht.

Ole Obermann ist seit 2019 bei ByteDance, dem Mutterkonzern von TikTok beschäftigt. Als Global Head of Music zählen die Lizenzierungs-Beziehungen zwischen TikTok und den Inhaber/innen von Musikrechten zu seinen Aufgaben. Diese Beziehungen sind in den vergangenen Monaten vornehmlich von Spannungen zwischen den drei Major-Labels und TikTok geprägt.

Kritische Stimmen

So spielte etwa Sony Music Group Chairman Rob Stringer während der jährlichen Präsentation der Sony Group Corporation an ihre Investoren im Mai 2023 auf TikTok an, ohne explizit den Namen zu nennen. Stattdessen betonte er im Hinblick auf "Short-form video"-Plattformen: "Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu erkennen, dass wir von einigen dieser Anbieter unterbezahlt werden."

Mit dieser Meinung steht Stringer nicht alleine. Auch Michael Nash, EVP und Chief Digital Officer der Universal Music Group hat erklärt, dass sich das Unternehmen in Zukunft für eine Verbesserung der Bedingungen für ihre Künstler/innen und Labels auf Kurzvideo-Plattformen einsetzen werde. Was die Labels damit bezwecken, ist klar: Sie wollen mehr Geld für die auf TikTok genutzte Musik. 

Unfaire Bezahlung?

In einem Interview mit Music Business Worldwide wird Obermann unter anderem auf die Lizenzierungsproblematik angesprochen. Obermann erklärt, das Geschäft von TikTok mit den großen Musikrechteinhabern sei aktuell "richtig dimensioniert", da sich der Aufbau von Beziehungen zwischen TikTok und der Musikindustrie aktuell noch in einem frühen Stadium befände. 

Zu den genauen Geldbeträgen, die TikTok an Musikrechte-Inhaber zahlt, möchte Obermann keine Auskunft geben. Er zeigt sich jedoch von den aktuellen Strukturen des Lizenzierungsgeschäfts überzeugt und betont, dass die Lizenzzahlungen von TikTok weiterhin stark wachsen.

Aktuell erhalten die Labels bzw. die Rechteinhaber ihre Entlohnung entsprechend der Zahl von TikToks, in denen die lizenzierten Musikstücke verwendet werden. Im Gegensatz zu Streaming-Plattformen wie etwa YouTube zählt hier also nicht die tatsächliche Zahl an Wiedergaben eines Videos, in dem ein bestimmter Song vorkommt. 

Anpassungen in der Zukunft

Zukünftige Änderungen sieht Obermann aber dennoch als Möglichkeit. Aktuell schließen die Inhaber von Musikrechten Pauschal-Lizenzverträge mit TikTok für die Nutzung ihrer Musik aus. Eine Alternative wäre ein Modell, bei dem ein bestimmter Prozentsatz der Werbeeinnahmen, die mit einem Video generiert werden, an die Rechteinhaber der verwendeten Musik abgeführt würde.

Eine solche Umsatzbeteiligung an lizenzierter Musik, die in TikTok-Videos verwendet wird, schließt Obermann nicht aus. Ein Problem sieht er allerdings darin, dass bei Werbeeinnahmen, die durch nutzergenerierte Videos entstehen, nicht leicht feststellbar sei, welcher Anteil der Einnahmen auf die Verwendung von Musik zurückzuführen ist.

Einen großen Pluspunkt seines Unternehmens sieht Obermann hingegen darin, dass TikTok den Rechteinhabern – im Unterschied zu anderen Musik-Diensten – die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle ermögliche.

Vereinfachte Nutzung von Musik

Tatsächlich hat TikTok erst vor kurzem die kommerzielle Musikbibliothek für Werbetreibende auf über 1 Millionen Tracks erweitert. Dabei handelt es sich um vorab freigegebene Musik, die kleine Unternehmen gegen Bezahlung für ihre Kurzvideo-Werbung auf der Plattform nutzen können. Hinter diesem Geschäft sieht Obermann großes Potenzial und erhofft sich diesbezüglich Einnahmen in Höhe von bis zu 3 Milliarden Dollar im Jahr. Obermann erklärt:

"Wir sind sehr optimistisch, was den elektronischen Handel angeht, und wir sind sehr optimistisch, eine kommerzielle Musikbibliothek zu eröffnen, die die gesamte Musik der Welt enthält. Ein kleines Unternehmen kann jeden beliebigen Song per Mausklick verwenden und eine Synchronisationsgebühr zahlen, ohne sich wochenlang oder monatelang mit Genehmigungen, Rechtskosten und allem anderen herumschlagen zu müssen."

Ausbaufähiges Content ID-System?

Obermann äußert sich auch zur Kritik an TikToks Content ID zur Erkennung von Musikrechten, die deutlich weniger gründlich als etwa YouTubes Counterpart agieren soll. 

Das Content ID-System von TikTok ist offensichtlich nicht sonderlich gut darin, festzustellen, wie oft ein bestimmter Song in wie vielen nutzergenerierten Videos verwendet wird. Die Trefferquote läge bei gerade einmal etwa 10 Prozent. Auf YouTube hingegen betrage sie hingegen dank eines anderen Content ID-Systems bei nicht weniger als 90 Prozent. 

Auf diese Aussagen reagierte Obermann überrascht. Er selbst nehme eine deutlich höhere Trefferquote an. Dennoch sagte auch er, dass die hauseigene ContentID TikToks definitiv ausbaufähig sei. Dies sei jedoch auch der Tatsache verschuldet, dass das System erst seit drei Jahren verwendet werde. Das Content ID-System von Youtube existiere hingegen schon seit zehn Jahren.

Von Rechteinhabern habe TikTok nach Obermann insgesamt sehr positives Feedback erhalten, da das Programm schnell und kontinuierlich weiterentwickelt werde.

Experiment in Australien

Neben Kritik an Lizenzzahlungen und Content ID hatte TikTok in letzter Zeit auch durch ein missglücktes Experiment in Australien Aufmerksamkeit erregt. Im Februar 2023 hatte TikTok die Verfügbarkeit von Musik der Major Labels in Australien stark eingeschränkt

Das führte dazu, dass die betroffenen User/innen ihre Aktivität erheblich reduzierten, was von vielen Beobachtern als Hinweis darauf gedeutet wurde, dass der Erfolg der App unter anderem der Verfügbarkeit von Musik der großen Labels geschuldet ist.

Welche Art von Test?

Auf die Frage, ob das Experiment nicht gescheitert sei, reagiert Obermann selbstbewusst. Es habe sich bei dem Experiment nicht um einen Test gehandelt, der zu Erfolg oder Misserfolg führe, sondern um einen Test, der Einblicke in die Art und Weise verschaffe, wie die TikTok User/innen und Videocreator/innen mit Musik auf TikTok interagierten. 

Ziel des Experiments sei es nicht gewesen, herauszufinden, ob die Plattform auch ohne lizenzierte Musik von Major-Labels genauso erfolgreich sei, sondern wie Nutzer/innen mit unterschiedlichen Optionen der Verfügbarkeit von Musik umgehen. 

Der eigene Streaming-Dienst Resso

Auch der Umgang mit einem weiteren Tochterunternehmen von ByteDance hat in letzter Zeit einige Fragen aufgeworfen. Dabei handelt es sich um den Musik-Streaming-Dienst Resso, dessen Nutzung aktuell auf die Länder Indien, Indonesien und Brasilien beschränkt ist. 

Seit dem 11. Mai 2023 hat Resso sein kostenloses Angebot komplett eingestellt und kann lediglich mit einer Premium-Mitgliedschaft genutzt werden. 

Kooperation mit Apple Music

Ebenfalls im Mai haben ByteDance und Apple Music zudem einen gemeinsamen Testlauf einer Kooperation gestartet. Diese sieht vor, dass TikTok-Nutzer/innen beim Ansehen der Videobeiträge auf TikTok statt zu Resso aktiv zu Apple Music weitergeleitet werden. 

Beide Aktionen tragen demnach nicht zu einer größeren Reichweite von Resso bei. Im Interview erklärt Obermann, weshalb sich das Unternehmen dennoch zu einer Partnerschaft mit Apple Music entschieden hat.  Seiner Ansicht nach beginnen die meisten Musikentdeckungen derzeit ganz oder zu einem Teil auf TikTok beginnen würden.

Daher habe das Unternehmen viele Gespräche mit seinen Partnern – also Labels, Verlagen, Artists und Manager/innen - darüber geführt, wie man alle Beteiligten besser miteinander verknüpfen könnte. TikTok sei eine Partnerschaft mit Apple Music eingegangen, da der eigene Musik-Streaming-Dienst Resso derzeit noch nicht weltweit im Einsatz sei. Bezüglich Resso gebe es Obermann nach, jedoch schon bald weitere Neuigkeiten.

Tiktok als Label?

Seit längerem gibt es Berichte, dass TikTok auch Labeldienstleistungen anbieten könnte, beispielsweise über die interne Vertriebs- und Dienstleistungsplattform SoundOn. MBW verweist in dem Interview darauf, dass SoundOn in letzter Zeit auffällig viele exklusive Deals mit Independent-Artists geschlossen habe, was die Frage aufwirft, ob SoundOn gerade dabei sei, sich zu einem Plattenlabel zu verwandeln. 

Laut Obermann sei der Hintergrund für die Entwicklung von SoundOn die Zusammenarbeit mit der Creator-Community – eines der Hauptziele TikToks. Creator/innen sollten hierdurch die Chance erhalten, Geld zu verdienen, entdeckt zu werden, sowie Beziehungen mit Marken auszubauen. Dennoch betont Obermann, dass TikTok nicht beabsichtigt, wie ein Plattenlabel zu agieren

MBW verweist während des Interviews jedoch darauf, dass die exklusiven Deals von SoundOn mit Artists angesichts der enormen Macht der Algorithmen, die laut einer führenden Position bei TikTok über 80% der abgespielten Musik bestimmen, skeptisch zu betrachten seien. 

Oberman sieht auch darin kein Problem. Der TikTok-Algorithmus setze lediglich individuelle und gemeinschaftliche Signale der Nutzer/innen um. Schließlich erhalte jeder von diesen einen einzigartigen Feed mit unterschiedlichen Videos und Musikinhalten. 

Veränderungen bei den Major Labels

Doch nicht alle aktuellen Veränderungen gehen von TikTok selbst aus. So befinden sich auch die Major-Labels im Wandel. Die erste Veränderung stellt dabei Sir Lucian Grainges Entscheidung dar, "künstlerzentrierte" Zahlungsmodelle bei der Universal Music Group einzuführen. Eine Entscheidung, die Obermann klar befürwortet. 

Erfreut war Obermann auch über die zweite Veränderung, den Einstieg des neuen CEOs Robert Kyncl bei der Warner Music Group, der zuvor Chief Business Officer bei YouTube war. Nur wer auf beiden Seiten gearbeitet habe, könne die Ansprüche aller Beteiligten verstehen und begreifen, wo die Möglichkeiten und Grenzen für beide Seiten liegen.

Auf Kuschelkurs?

Wenn man voraussetzt, dass Obermanns Äußerungen aufrichtig sind, dann deuten sie insgesamt ein Zugehen auf die Musikindustrie, genauer gesagt auf die Labels, Musikverlage und bei ihnen unter Vertrag stehenden Künstler an.

Selbstverständlich agiert TikTok nicht selbstlos, sondern reagiert auf den anhaltenden Druck der Musikindustrie sowie verschiedene unternehmerische Probleme, wie das gescheiterte Experiment, ohne Major-Label-Musik in Australien auszukommen, die Schwierigkeiten im unternehmenseigenen Streaming-Dienst Resso und die Herausforderung, selbst im Musikbusiness tätig zu werden.

Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass die heute "seriösen" Plattformen wie Youtube sich jahrelang mit der Zahlung von Lizenzgebühren sehr schwer taten – man denke nur an den jahrelangen Streit zwischen Youtube und GEMA.

Inzwischen sind Plattenfirmen und Verwertungsgesellschaften wesentlich besser darin, ihre Rechte zu vertreten und auch durchzusetzen. Falls sich TikTok mit der Musikindustrie einigen könnte, die Inhaber von Musikrechten stärker an seinen Erträgen zu beteiligen, wäre das ein Gewinn.

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