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Spekulationsobjekt Konzertkarten

Die meisten Tickets auf Viagogo stammen von nur drei Verkäufern

News von Backstage PRO
veröffentlicht am 30.08.2022

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Die meisten Tickets auf Viagogo stammen von nur drei Verkäufern

Konzertkarten. © Christian Grube

Laut einer britischen Studie wird die Ticketzweitmarktplattform Viagogo kaum von tatsächlichen Musikfans zum Weiterverkauf genutzt. Über zwei Drittel der angebotenen Tickets stammen angeblich von nur drei Verkäufer/innen – und befinden sich oft noch nicht einmal in deren Besitz!

Die von ITV vorgestellte Studie wurde von der britischen Aktivistengruppe FanFair Alliance durchgeführt. Erklärtes Ziel der Gruppe ist der Kampf gegen betrügerische Ticketzweithändle/innen und den überteuerten Weiterverkauf von (Konzert-)Tickets. 

Für die Studie hat FanFair das Viagogo-Angebot zu insgesamt 174 Festivals und Outdoor-Events gescannt, und im Zeitraum von drei Monaten mehr als 11.000 Tickets untersucht. 

Doppelter Preis – doch für welche Tickets?

ITV gibt an, dass mehr als zwei Drittel der 11.000 untersuchten Tickets von den gleichen drei g,ewerbliche Ticketzweithändler/innen verkauft wurden. Der Nennwert der Tickets, also der zusammengerechnete Preis, für den diese in offiziellen Ticketshops gekauft werden konnten, lag bei insgesamt rund 730.000 Pfund.

Der addierte Weiterverkaufspreis, den die genannten drei Anbieter/innen aufriefen, lag dahingegen bei gut 1,7 Millionen Pfund. Für jedes der angebotenen Tickets wurde also im Durchschnitt mehr als das Doppelte aufgerufen!

Unstimmigkeiten

ITV stellt daraufhin die Frage, wie die drei gewerblichen Viagogo-User eigentlich derart hohe Ticket-Kontingente erwerben konnten. Die wenig verblüffende Antwort: Bei den angebotenen Tickets handelte es sich um "spekulative" Tickets – Tickets, die die Anbieter/innen erst dann (zum Nennwert!) erwerben, wenn sie zum erhöhten Wiederverkaufspreis auf Viagogo gekauft wurden. 

Um diesen Vorwurf zu beweisen, trat das Team von ITV in Kontakt mit Ed Townend, Veranstalter des Cardiff Psych and Noise Festivals. Für dieses Festival waren zum Zeitpunkt der ITV-Recherche 20 Karten über Viagogo verfügbar – eine Zahl, die Townend stutzig machte: 

"Das ergibt für mich keinen Sinn. Wir haben noch kein Line-up bekannt gegeben, wir haben überhaupt nicht erwartet, jetzt überhaupt schon Tickets zu verkaufen. Die Zahl der aktuell verkauften Tickets für unser Festival liegt bei 14!"

Spekulativer Handel

ITV kaufte daraufhin eines der auf Viagogo angebotenen Tickets für das Cardiff Psych & Noise Festival zum Zweitmarktpreis von 165 Pfund, mehr als das vierfache des eigentlichen Ticketpreises, von einem gewerblichen Händler namens MAS E.L., hinter dem sich Recherchen zufolge ein Unternehmen verbirgt, das von einer Person namens Marc Stanley betrieben wird. 

Kurz nach dem Kauf des Tickets auf Viagogo konnte Townend den Kauf eines Tickets in seinem eigenen Backend verzeichnen. Der Name des Käufers: Marc Stanley. Als ITV dann das über Viagogo gekaufte Ticket erhielt, stimmten nicht nur der Name, sondern auch die Ticket-Nummer mit der kurz vorher im Ticketshop des Festivals gekauften Eintrittskarte überein.

ITV kontaktierte daraufhin zehn weitere Veranstalterinnen und Veranstalter von Festivals, für die Marc Stanley/MAS E.L. und die beiden anderen gewerblichen Händler/innen auf Viagogo Tickets anboten. Zwei der Veranstaltenden gaben an, dass die Reseller zwar Tickets gekauft hätten, jedoch wesentlich weniger als tatsächlich angeboten. Der Rest gab an, dass diese überhaupt keine Tickets erworben hätten. 

Marktverzerrung

Diese Praktik des spekulativen Verkaufens ist gesetzlich verboten: Es ist nicht erlaubt, etwas zu verkaufen, dass sich gar nicht im Besitz der Verkäuferin bzw. des Verkäufers befindet – ein Standpunkt, den auch Mike Andrews von National Trading Standards, einer britischen Verbraucherschutzbehörde, vertritt:

"Wir möchten, dass Verbraucher/innen in der Lage sind, einen fairen Deal zu machen. Wenn Verbraucher/innen online nach einem Ticket suchen, sollen sie in erster Linie sicher sein können, dieses Ticket auch zu erhalten. Viagogo verzerrt mit seinen Praktiken in hohem Maße die Preisgestaltung und treibt den Preisdurchschnitt nach oben."

Andrews' Behörde hatte bereits 2020 erfolgreich mehrere Zweitmarkthändler/innen für spekulativen Ticketverkauf strafrechtlich verfolgt. Vor diesem Hintergrund wundert es dann auch nicht, dass Marc Stanley nicht für ein Gespräch mit ITV zur Verfügung stand, und nur wenige Stunden nach der Anfrage sämtliche von ihm angebotenen Tickets auf Viagogo verschwunden waren. 

Zu wenig Verantwortung

Viagogo selbst gibt auf Nachfrage von ITV an, die im Bericht kritisierten spekulativen Tickets von ihrer Seite entfernt zu haben. Weiterhin wurden Angebote erneut auf der Website platziert, bei denen verifiziert werden konnte, dass es sich um gültige Tickets handelte. 

ITV kritisiert, dass Viagogo nicht dafür verantwortlich ist, die angebotenen Tickets vor dem Listing auf der Zweitmarktseite zu kontrollieren. Nach einer Untersuchung der britischen Wettbewerbsbehörde (Competition and Markets Authority, CMA) ist das Unternehmen lediglich verpflichtet, einige Details zu den Händlder/innen und deren angebotenen Tickets zu überprüfen

Laut ITV reichen die bisher geforderten Überprüfungen jedoch offensichtlich nicht aus, sicherzustellen, dass die Kund/innen von Viagogo mit einem fairen und sicheren Angebot rechnen können. Der Sender sieht daher insbesondere die CMA in der Pflicht, endlich weitere Reformen auf dem Ticketzweitmarkt in die Wege zu leiten. 

Ein Paradies für gewerbliche Anbieter

Der oben genannte Fall betrifft die Situation im UK, aber in anderen Ländern besteht ein ähnliches Problem. Durch aggressive Werbemaßnahmen wie dem Schalten von Google-Anzeigen, erscheint Viagogo oft sehr weit oben in Trefferliste von Konzertkarten. 

Das Ergebnis ist, dass viele Käuferinnen und Käufer in Unkentnnis der realen Preise dort Konzertkarten erwerben, obwohl sie für einen geringeren Preis bei den offiziellen Vorverkaufsstellen erhältlich sind. Sowohl für Viagogo als auch für auf der Plattform aktive Ticketzweithändler ist das ein lukratives Geschäft. 

Man darf gespannt sein, ob der kürzlich vom EU-Parlament beschlossene Digital Service Act an dieser Situation etwas ändert. Dieser sieht umfangreiche Regeln und Berichtspflichten für Ticketzweitanbieter vor.

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