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"Auffallen ist Pflicht, wenn man Erfolg haben will"

Interview mit Michael Herberger und Derek von Krogh, den neuen Geschäftsführern der Popakademie Baden-Württemberg

Interview von Daniel Nagel
veröffentlicht am 07.11.2023

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Interview mit Michael Herberger und Derek von Krogh, den neuen Geschäftsführern der Popakademie Baden-Württemberg

Derek von Krogh und Michael Herberger. © Arthur Bauer

Michael Herberger und Derek von Krogh bilden künftig als Geschäftsführer die Doppelspitze der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim. Wir sprachen mit ihnen über ihre neue Rolle und diskutierten über Künstliche Intelligenz, Streaming-Vergütung und die Frage, warum das Radio keine deutschsprachigen Songs spielt.

Backstage PRO: Herr Herberger, Herr von Krogh, sie bilden die neue Doppelspitze der Popakademie. Könnten Sie sich beide vielleicht kurz vorstellen und in aller Kürze ihre bisherige Karriere skizzieren? 

Michael Herberger: Angefangen habe ich als Musikproduzent, Komponist und Keyboarder. Meine erste erfolgreiche Band waren die Söhne Mannheims, bei denen ich mich neben diesen Rollen auch viel um Administratives wie Verlag, Label, Marketing, Promotion oder Tourplanung gekümmert habe. 

Diese Themen haben mir viel Spaß gemacht, insofern war ich schon immer sowohl im Business- als auch im kreativen Bereich tätig. In den letzten zehn Jahren hat sich das dann ein wenig gewandelt, sodass ich doch mehr Administratives gemacht habe. Als vor einem Jahr der Business-Posten als Geschäftsführer der Popakademie ausgeschrieben wurde, fiel mir die Entscheidung leicht, mich zu bewerben. Glücklicherweise war der Aufsichtsrat auch meiner Meinung, deshalb habe ich jetzt seit knapp einem Jahr dieses Amt inne. 

Derek von Krogh: Ich habe ähnlich wie Michael Anfang der 90er mit Musikproduktion angefangen. Seit über 30 Jahren mache ich Musik und toure genauso lange. Außerdem habe ich als Produzent auch viele Fernsehshows begleitet, wie DSDS oder Popstars. Bei The Voice of Germany und Sing meinen Song haben Michael und ich uns dann näher kennengelernt. 

Backstage PRO: Laufen diese Aufgaben bei Sing meinen Song noch weiter? 

Michael Herberger: Derek war eine Staffel dabei, ich mache das nach wie vor. Ich leite dort von Anfang an den gesamten Bereich Musik und Ton. Anfangs hatte ich mitgeholfen, das holländische Originalformat an den deutschen Markt anzupassen. Weil es sich um ein Musikformat handelt, wird die Musikproduktion bei der TV-Produktionsfirma ausgelagert, dies wird von meiner Firma und meinem Team übernommen. Die Arrangements übernimmt seit jeher der Bandleader Mathias Grosch. Unsere Arbeit fängt bei der Auswahl der Songs an, die Arbeit mit Band und Künstlern, die Arrangements bis zur Technik, dem Recording vor Ort und der Postproduktion am Ende. 

Backstage PRO: Gibt es da Synergien mit der Popakademie? 

Michael Herberger: Da ich an der Popakademie hauptberuflich tätig bin, achte ich auf eine saubere Trennung der beiden Bereiche. 

Backstage PRO: Kurioserweise haben Sie sich ja für die Position als künstlerischer Leiter beworben, die jetzt Derek von Krogh begleitet. Wie kam es dazu, dass sie schließlich für den Musikbusinessbereich verantwortlich sind? 

Michael Herberger: Ich bin ja auf Grund meiner Vita beides. Wenn man zu 100 Prozent aus Leib und Seele Kreativer ist wie ich, dann kann man diese Seite auch gar nicht ausblenden. Die Herzenshaltung bleibt immer die eines Kreativen, deswegen wollte ich auch nicht so anmaßend sein und mich für beide Ämter bewerben. Es schien dann doch, dass ich für die Position als Business Direktor besser geeignet wäre - und das war auch richtig so. Gerade im Tandem mit Derek und davor auch mit Udo hat sich das inzwischen bewährt und ich fühle mich sehr wohl. 

Backstage PRO: Sie haben jetzt schon zwei Semester als Geschäftsführer hinter sich gebracht. Wie fällt ihre Bilanz aus? 

Michael Herberger: Da müsste man vielleicht die Studierenden fragen; ich bin sehr zufrieden. Ich bin direkt ins kalte Wasser gesprungen und habe mehr oder weniger gleich alle Aufgaben meines Vorgängers übernommen, inklusive der Vorlesungen. Ich glaube, das ist in den letzten zwei Semestern ganz gut gelaufen. Ich fühle mich hier sehr wohl und habe den Eindruck, den anderen geht es ähnlich. 

Backstage PRO: Wie haben Sie sich auf die Übernahme Ihrer Aufgabe vorbereitet? 

Michael Herberger: Ich habe mich natürlich schon Wochen vorher eingehend mit den anstehenden Themen auseinandergesetzt. Hubert Wandjo, mit dem ich bereits seit mehr als 20 Jahren befreundet bin, hat mich über einen Monat lang eingearbeitet. Außerdem war ich ja bereits über 15 Jahren im Aufsichtsrat. Davon abgesehen durfte ich die Popakademie vor über 20 Jahren auch mitgründen. Dementsprechend hatte ich bereits einen gewissen Wissensvorsprung. 

Backstage PRO: Herr von Krogh, wie kam es dazu, dass Sie sich als Geschäftsführer beworben haben? 

Derek von Krogh: Für die Position an der Popakademie habe ich mich überhaupt nur beworben, weil Michael mich anrief und dazu ermutigte. Ich denke er schätzt mich dafür, dass ich viel Erfahrung in der Arbeit mit sehr extravaganten Künstler*innen habe und es trotzdem schaffe, im Land des pragmatischen Funktionierens zu bleiben. Das war bei The Voice of Germany unser beider Mission. 

Michael Herberger: Ich habe Derek ermutigt, sich zu bewerben, weil ich ihn immer als sehr sympathisch, kollegial, respektvoll und angenehm im Umgang erlebt habe. Auf der anderen Seite habe ich auch gelernt, dass wir gut miteinander harmonieren.  

Bei Sing meinen Song waren die Rollen schon ähnlich verteilt wie jetzt: Ich war eher für den administrativen Teil verantwortlich, während er als derjenige, der für Nena und Samy Deluxe die Musik umsetzte, die künstlerische Seite vertreten hat. Damals hatten wir natürlich auch den ein oder anderen Dissens, kamen aber immer zu einem sehr guten Ergebnis.  

Backstage PRO: Wie haben Sie den Aufsichtsrat von Ihrer Qualifikation als Künstlerischer Direktor überzeugt? 

Derek von Krogh: Am Ende des Tages weiß ich es natürlich nicht. Im Aufsichtsrat saß eine sehr bunte Mischung, mein Gefühl war, dass man irgendwie wild genug, aber auch pragmatisch genug wirken musste, damit sich alle Seiten repräsentiert sehen. Ich habe aber auch sehr viele Konzepte präsentiert, und auf dieser Basis ist hoffentlich auch die Entscheidung gefallen.

Backstage PRO: Was ist der Kern Ihres Konzepts für die Künstlerische Leitung der Popakademie?  

Derek von Krogh: Erstmal habe ich den Status Quo sehr hoch gelobt. Eigentlich war ich kein sehr großer Fan von solchen Ausbildungseinrichtungen, aber die Popakademie war immer eine Ausnahme. Häufig bringen solche Einrichtungen eine leichte Weltfremdheit mit sich, aber Absolventen der Popakademie haben aus meiner Erfahrung einen sehr guten Geschmackskompass, sind top ausgebildet und sofort überall einsetzbar. Ich habe mir die Lehrpläne angeschaut, die Konzepte durchgelesen, und musste erstmal zu dem Schluss kommen: Die wissen schon sehr sehr gut, was sie da machen.  

Backstage PRO: Welche Änderungen streben Sie trotz allen Lobes an? 

Derek von Krogh: Ich habe komplementär einige Dinge vorgeschlagen. Da geht es sehr viel um Online-Themen: Ich möchte gerne im Podcast-Bereich einige Veränderungen vornehmen, mich damit befassen, wie zeitgemäß der Studiengang Producing ist, und Musiksoftware als Thema mit einbeziehen. Ich habe bereits seit einigen Jahren auch einen Musiksoftware-Background und in der Zeit gelernt, dass das Thema viel weniger erschreckend ist, als es auf den ersten Blick scheint. 

Beim Gaming, wo die Musik auf die Handlung des Spiels reagieren muss, landet man automatisch bei den Themen Scripting, muss verstehen, was die Mechanismen sind, die eine musikalische Sequenz auslösen und wieder beenden – man muss lernen, sehr strukturiert zu denken. Dieses Thema habe ich sehr detailliert vorgestellt. 

Außerdem konnte ich, weil ich seit fast 30 Jahren live spiele und sehr viel mit amerikanischen Künstler*innen zusammengearbeitet habe, einen sehr großen Korb an Leuten mitbringen, die ich persönlich gut kenne und von denen ich plane, sie für Workshops an die Popakademie zu holen - unter dem Schlagwort weiterführende Internationalisierung.  

Backstage PRO: Herr Herbergers Ziel ist ja eher die lokale Vernetzung. 

Michael Herberger: Schlagwort "Think global, act local". Auf der einen Seite lasse ich mich international inspirieren und bin im Hinblick auf mein Netzwerk gerne international unterwegs. Allerdings kann man vor seiner eigenen Haustür am meisten bewegen. Durch den direkten Impuls erhält man auch unmittelbar Feedback und sieht am meisten. Wir halten sehr wohl die Augen offen und werden auch mit unseren internationalen Partnern den Weg weiter beschreiten und ausbauen, werden unseren Blick aber selbstverständlich auch auf den deutschsprachigen Raum richten und hier in der Region unsere Wurzeln vertiefen. Das eine schließt das andere nicht aus, ganz im Gegenteil. 

Backstage PRO: Herr von Krogh, Sie haben erwähnt, dass Sie viel mit amerikanischen Musiker*innen zusammenarbeiten.  

Derek von Krogh: Das geht auf Nena zurück. Amerikanische Künstler*innen erstarren vor einem in Deutschland bekannten Namen nicht in Ehrfurcht, sondern reagieren eher locker mit einem "Oh, it ́s the 99 balloons chick, let´s go!". Daher war ihre Band meist mindestens zur Hälfte mit amerikanischen Musikern besetzt.  

Wir haben schon mit Tony Bruno gespielt, Musical Director bei Joan Jett, Rihanna und Enrique Iglesias. Van Romaine kennt man ebenfalls von Enrique Iglesias oder der Steve Morse Band, Andy Hess von den Black Crowes, Zack Allford hat für David Bowie, Bruce Springsteen, Gwen Stefani und Katy Perry gespielt - ein unfassbarer Schlagzeuger, und wenn wir schon bei unfassbaren Schlagzeugern sind, will ich auch noch Sterling Campbell nennen, der auch bei David Bowie, Madonna oder Duran Duran war. 

Das war schon immer eine unglaubliche Parade an absoluten Top-Musiker*innen. Darüber habe ich viele Connections in den USA knüpfen können, sodass ich jetzt versuchen will, in diesem Pool zu fischen und auch diesen Spirit rüber zu bringen. 

Backstage PRO: Wie planen Sie diese Connections zu nutzen? 

Derek von Krogh: Die Popakademie ist – wenn ich das mal so sagen darf – eine absolute Schlagzeuger-Hochburg. Ich war bei den ersten Aufnahmeprüfungen, und da kommen nur Leute durch, die eigentlich sowieso schon ganz oben sind. Allerdings ist es beim Schlagzeug so, dass es ganz viele Microtiming-, Groove-, und Attitudeweisheiten gibt, die jenseits des technischen Könnens sehr wichtig sind. Da ist es teils schwer, seinen Finger drauf zu legen, aber solche Leute können das. Sie erzählen dann viel von der Geschichte des Funk, wird ein Groove eher in Vierteln oder Achteln gedacht, mit verschiedenen Pulsen, mit verschiedener Schwere oder Betonung – da kann es sehr nerdig werden. Gleichzeitig strahlen sie aber auch eine Attitude aus, dass man merkt, es geht nicht nur um die Musik, sondern auch um die Bühnenpräsenz. Wenn man solche Leute einlädt, kann man sehr viel daraus gewinnen. 

Backstage PRO: Der Name Bowie ist jetzt schon mehrfach gefallen. Sie haben in einem Interview erklärt, die Popakademie könnte etwas mehr Bowie gebrauchen. Wie haben Sie das gemeint? 

Derek von Krogh: Da geht es nicht um den Künstler David Bowie an sich, sondern die Bereitschaft, künstlerische Risiken einzugehen. Eine meiner Grundüberzeugungen ist, dass heutzutage jeden Tag so viel Musik auf die Welt kommt, dass Auffallen – wenn man kommerziell denkt – Pflicht ist. Nur wer auffällt, sticht aus diesem Meer an Musik heraus.   

Backstage PRO: Wie verträgt sich das mit dem Wesen der Popakademie? 

Derek von Krogh: Man darf Leuten eigentlich keine kreativen Maxime geben - eine der höchsten und heiligsten Tugenden der Popakademie ist, den Studierenden die Werkzeuge an die Hand zu geben, aber sie künstlerisch das machen zu lassen, was sie wollen. Wenn überhaupt, ist für mich die einzige künstlerische Weisung, die man geben dürfte, "Trau dich!". Trau dich, was auszuprobieren, trau dich, frech zu sein, trau dich, ungewöhnlich zu sein. Wer heutzutage nicht auffällt, der geht unter.  

Backstage PRO: Welche anderen Schwerpunkte möchten Sie setzen? 

Derek von Krogh: Eine Sache, die ich stärker betonen will, ist der Crossover in die audiovisuelle Welt. Musik und Bild werden immer mehr zu einem, da kann man meiner Meinung nach an der Popakademie noch nachlegen. Ich werde auch anfangen, zu dozieren, und würde im Musikbereich sehr häufig den Bildbereich gleich mit einbeziehen. 

Backstage PRO: Eine große kreative Herausforderung besteht in generativer KI. Es gibt manche, die glauben, dass Künstler*innen durch KI ersetzt werden können. Wahrscheinlicher scheint doch, dass KI gewisse Aufgaben erfüllen wird, und andere bei Menschen verbleiben? Wagen Sie eine Prognose, wohin die Reise geht? 

Michael Herberger: Ich bin sehr technikaffin und freue mich über Neuerungen, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass das immer auch eine Chance mit sich bringt. Ziel sollte sein, Wellen zu reiten, statt von ihnen einfach mitgenommen zu werden. So sehe ich das bei KI auch. 

Bestimmt wird KI immense Veränderungen mit sich bringen, aber so wie jede Veränderung in den letzten über 100 Jahren, seit der Industriellen Revolution, wird das neue Jobs, neue Chancen, neue Möglichkeiten mit sich bringen. Insbesondere wir als Hochschuleinrichtung müssen diese Veränderung frühzeitig erkennen, damit wir unseren Studierenden sehr früh die Chancen, die KI mit sich bringt, lehren können. Das ist allerdings auch eine Herausforderung, da das Thema sehr schnelllebig ist. Am Montag halte ich eine Vorlesung und werde am Wochenende nochmal schauen müssen, welche Tools inzwischen besser geworden sind, damit ich nicht alte Kamellen von vor vier Wochen präsentiere.  

Derek von Krogh: Da bin ich Michaels Meinung. Wenn man ein Nerd ist – und wir sind beide schlimme Nerds – dann kommt man nicht umhin, das Thema spannend und aufregend zu finden. Aber es gibt eine Einschränkung: Es gibt Tools, die basieren auf "unethischen" Datenbanken, wo Werke ungefragt in die lernende Datenbank aufgenommen wurden, was natürlich nicht in Ordnung ist. Mittlerweile gibt es aber auch schon ein größeres Bewusstsein, Datenbanken aufzubauen, die eben keine Urheberrechtsverletzungen darstellen.  

Backstage PRO: Sie glauben nicht, dass generative KI Musiker*innen ersetzen wird? 

Derek von Krogh: Als Beispiel kann man ChatGPT als das etablierteste Tool betrachten. ChatGPT kann einen Liedtext im Stil von irgendjemandem schreiben und es kommt auch etwas verblüffend Gutes heraus, was aber niemals genauso übernommen werden kann. Es fallen immer Dinge auf, die ein Mensch nie so gemacht hätte. Am Ende des Tages wird es immer nur ein Zulieferer sein, zumal alle diese KI Tools weit davon entfernt sind, dass man nur eingeben muss "Schreib mir einen Song, mach eine schöne Hookline, finde eine tolle Harmoniefolge, mische das alles schön ab, unterhalte dich für mich mit den richtigen Leuten und drehe noch das Musikvideo."  Ohne den Menschen kommt das alles nicht zusammen.  

Backstage PRO: Also keine Angst vor KI? 

Derek von Krogh: Natürlich kann es sein, dass man in 15 Jahren nur noch von ChatGPT ein "Popmusikprodukt inklusive Videoclip" fordern muss und das alles wie aus der Mikrowelle fertig rauskommt. Aber selbst dann wäre es den Menschen vermutlich zu langweilig. Wenn man sich das anschaut, liegt schon jetzt auf der Hand, dass man keine wahnwitzige Angst vor KI haben muss. Es wird ein weiteres Tool und klar wird es Dinge geben, die man in Zukunft von KI erledigen lässt – dafür werden andere Dinge entstehen. Das ist ein Wandel, genauso wie schon beim Drumcomputer. Damals dachten auch viele, der Drumcomputer würde die Schlagzeuger abschaffen – and here we are. 

Backstage PRO: Ein verwandtes Thema ist die Masse an Songs. Sie meinten, es gibt eine Überproduktion von Musik. Inzwischen merken auch die Labels, dass ihre Einnahmen sinken, weil Streamingdienste mit Noise oder KI-generierter Musik geflutet werden. Da stellt sich auch die Frage, was für die echten Musiker*innen übrig bleibt.  

Michael Herberger: Das ist ein schwieriges Thema. Wenn sich eine Band viel Mühe macht, ist das etwas ganz anderes als Streamingbetrug, bei dem jemand weißes Rauschen oder ähnliches hochlädt oder eventuell sogar durch Hacks sein Streaming selbst generiert, um Geld zu verdienen. Aber jenseits dieser beiden Extrempositionen gibt es natürlich auch ganz viel dazwischen, sodass es mir nicht immer leichtfällt zu bewerten, was davon künstlerisch wertvoll ist und was nicht. 

Auf der anderen Seite ist es natürlich ein Problem, wenn jeden Tag ca. 100.000 Songs hochgeladen werden. Wie geht man mit dieser Flut an Songs um und – das ist eine ganz grundlegende, auch gesellschaftspolitische Frage – inwieweit überlässt man das dem Markt oder greift steuernd ein? Für mich gibt es darauf keine einfache Antwort.  

Derek von Krogh: Ich habe eine, zumindest semi-einfache Antwort, die das wenigstens im Teil adressieren kann. Ich halte es für zwingend geboten, dass alle Streamingdienste titelbezogen abrechnen müssen und nicht statistisch, wie sie es derzeit tun.  

Wenn ich 10 Euro monatlich bezahle und nur die Band "Karotte" streame, nehmen Dienste in der jetzigen Streamingwelt mein Geld und schütten es in den Pool, der abhängig von Klickzahlen prozentual an alle Artists ausgeschüttet wird. Für Karotte bleibt im schlimmsten Fall nichts übrig, während beim User-Centric Payment Modell meine 10 Euro komplett an Karotte gehen würden. Dann könnten KIs oder User, die weißes Rauschen hochladen, machen, was sie wollen. Dann gewinnen nur die, die sich auch im echten Leben die Mühe machen, eine künstlerische Identität und eine Fangemeinde aufzubauen. 

Backstage PRO: Auch ältere Hörer*innen wie wir, würden mehr an Gewicht gewinnen, weil wir mehr Geld zahlen. 

Michael Herberger: Ob ich jetzt noch an Gewicht gewinnen muss, weiß ich nicht. Als kurze Ergänzung zu Derek, um das Thema an der Popakademie zu verorten: Ryan Rauscher hat die ersten Untersuchungen zum User-Centric-Payment bei uns im Rahmen des Future Music Camps vorgestellt.  

Backstage PRO: Universal und Deezer haben in diesem Zusammenhang angekündigt, ein "künstlerzentriertes" System einzuführen, bei dem zwischen von Künstler*innen geschaffener Musik und "Geräuschen" unterschieden wird und erstere durch einen Multiplikator besser entlohnt werden sollen. Das Pro-Rata-Modell besteht weiterhin, "echte Künstler*innen" bekommen aber ihre Einnahmen mal vier. Genaue Details gibt es noch nicht. Wie beurteilen Sie das? 

Derek von Krogh: Das überzeugt mich nicht. Das ist Herumlavieren im Angesicht einer völlig klaren, technisch auch absolut gut machbaren Alternative. Die Debatten mit der IT sind in vielerlei Hinsicht die wichtigsten Debatten dieses Jahrzehnts und dieses Jahrhunderts; und die Forderung nach einem User-Centric Payment Modell ist eine ganz wichtige, von der Musiker*innen auf keinen Fall abrücken sollten. Mit einem Modell wie dem von Universal gebe ich mich nicht zufrieden. 

Michael Herberger: Wie beurteilt man, wer Künstler*in ist und wer nicht? Das muss man sich näher anschauen, wenn es mehr Details dazu gibt. Vorher weiß ich nicht abschließend, was ich davon halten soll.  

Backstage PRO: Sie kommen beide aus einer Generation, der Radio sehr wichtig war. Ungefähr vor zehn Jahren gab es eine Welle, in der sehr viele deutsche Künstler*innen wie beispielsweise Max Giesinger im Radio gespielt wurden. Diese Zeit scheint vorbei zu sein. Warum ist das so? 

Michael Herberger: Radios begründen das u.a. damit, dass deutsche Musik schlecht bei ihren Hörer*innen testet. Das war schon immer ein Totschlagargument, gegen das man auch zu unserer Zeit schlecht ankam. Aber natürlich weiß ich nicht, warum das so ist. Meine persönliche Theorie ist, dass sich der Markt in Wellen bewegt.  

Als wir damals anfingen, war deutsche Musik abseits des Schlagers und nach der deutschen Welle im Radio kaum Thema – schon gar kein deutscher Soul. Tatsächlich durften wir den Anfang einer solchen Welle mitmachen, die dann in der Zeit von Max Giesinger und Mark Forster ihren Höhepunkt erreicht hat.  

Dass so etwas an Bewegung wieder abnimmt und eine Gegenbewegung entsteht, halte ich nur für natürlich, auch wenn ich es sehr schade finde. Ich höre sehr gerne deutschen Pop, bin aber auch der festen Überzeugung, dass das wieder kommen wird.  

Derek von Krogh: Ein Aspekt, der im Radio immer zu einem Interessenkonflikt führt, ist, dass das Radio einer Maxime der Unverbindlichkeit folgen muss, weil man sich davon häufig einfach berieseln lässt – beispielsweise beim Autofahren. Es liegt in der Natur deutscher Musik, dass sie einen nicht so berieselt wie englischsprachige Musik - weil man automatisch auf den Text achtet. Diese Tatsache lenkt Radio immer ein bisschen hin zu englischer Musik.

Ich wurde aber über die Neue Deutsche Welle sozialisiert und finde, Deutsch ist eine fantastische Vorlage, um frech zu sein und aufzufallen.  

Michael Herberger: Eine andere These wäre natürlich auch, dass durch die Nutzung von Streamingdiensten, die entsprechenden Algorithmen die jüngere Generation einfach viel mehr mit internationalem Content in Berührung kommt als es früher der Fall war. Damals erfuhr man durch Radio, Plattenläden oder Freunde von neuer Musik, heute ist der Markt durch Soziale Medien, Verlinkungen auf Streamingdiensten und Shazam viel größer. 

Backstage PRO: Die Realität des Musikbusiness erfordert ja, dass eine reine Existenz als Musiker*in kaum noch möglich ist. Man muss stattdessen auch Social Media bespielen. Optimistisch kann man das artist economy nennen, pessimistisch kann es die konstante Überforderung von Künstler*innen bedeuten, die neben ihrer Musik noch weiteren Content erstellen müssen. Wie kann man dieses Dilemma lösen? 

Michael Herberger: Das ist ein klares Problem, für das es m.E. keine Lösung gibt. Entweder man freundet sich damit an, oder man ignoriert diese Tatsache und muss sich dann damit auseinandersetzen, dass man ein ganz wichtiges Tool für Marketing und Promotion einfach links liegen lässt.  

Eine dritte Möglichkeit, die ich als praktikabelste sehe, ist, dass man ein Management oder Label hat, das Künstler:innen möglichst viel Content Creation abnimmt. Das muss man sich natürlich auch leisten können, aber ich bin sowieso der Meinung, dass es ohne ein unterstützendes Team kaum funktioniert. Hilfe bei der Content Creation gerade auf Labelseite ist ein riesiges Thema, um eben diesen Druck von Künstler*innen zu nehmen. 

Backstage PRO: Ist das die neue Funktion von Labels?  

Michael Herberger: Das ist auf alle Fälle eine wichtige Funktion. Universal baut gerade ein neues Gebäude an der Spree mit Tonstudios und Content Creation Räumen, in denen auch Videos gedreht werden können. Man hat das Thema gesehen und darauf reagiert. Es scheint nicht absehbar, dass Soziale Medien in Zukunft von etwas anderem abgelöst werden könnten.  

Derek von Krogh: Da stimme ich uneingeschränkt zu. Gehen wir von Künstler*innen aus, die am Anfang ihrer Karrieren stehen: Es ist das Wichtigste Spaß zu haben, nur dann hat man Durchhaltevermögen und kann sich bessere Rahmenbedingungen zu erarbeiten.

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