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"Wir müssen zeigen, dass es uns weiterhin gibt"

Mein Corona-Jahr 2020 als Musiker zwischen Unsicherheit, Glück im Unglück und einigen Gigs

Spezial/Schwerpunkt von Steffen Knauss
veröffentlicht am 10.11.2020

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Mein Corona-Jahr 2020 als Musiker zwischen Unsicherheit, Glück im Unglück und einigen Gigs

Steffen Knauss live mit Philip Bölter. © Florian Holley (https://fhproductionsfotografie.de)

Seit einigen Monaten leben wir nun wohl oder übel mit der größten Krise, die Kulturschaffende zu unseren Lebzeiten jemals erleben mussten. Hier lest ihr, was sich in meinem Leben als Berufsmusiker getan hat. Mein Konzertsommer gibt zudem einen Ausblick darauf, welche Live-Konzepte in der Zukunft eventuell erfolgreich sein können. Denn einige Gigs haben unter Corona-Bedingungen bereits gut funktioniert.

Mein letzter offizieller Gig wurde am Veranstaltungstag abgesagt – es war der 13. März 2020. Meine Frau musste kurze Zeit später ihr kleines Tagescafé schließen. Der Lockdown war da und wir konnten unseren Garten auf Vordermann bringen, das Heimstudio renovieren und hatten Zeit genug, um herauszufinden, wie man selbst Hefe und Marzipan herstellt.

Glück im Unglück

Meine Frau und ich haben uns bereits vor vielen Jahren entschieden, der Großstadt für immer Adieu zu sagen und aufs Land zu ziehen. Dadurch haben sich natürlich meine Lebenshaltungskosten stark reduziert, was mir vor allem in den letzten Monaten sehr zugute kam.

Die Soforthilfe in Baden-Württemberg, Gema und GVL Tantiemen von 2019, eine großzügige Ausfallgage und zwar geringe, aber stetige Einnahmen aus Onlineverkäufen meiner Basskurse haben mich sicher durch die ersten Monate gebracht. Ich musste glücklicherweise keine Geldspenden von Freunden und Familie in Anspruch nehmen und hatte Zeit, mein Homestudio und weitere Onlineaktivitäten anzugehen, die schon lange in meiner Schublade liegen.

Nach den ersten Telefonaten mit Musikerkollegen, wie es ihnen zur Zeit geht, ob man irgendwie helfen kann oder was man jetzt alles gemeinsam auf die Beine stellen kann, ergaben sich schnell die ersten Remote-Studio Projekte. Mein neues Studio war noch nicht ganz fertig, da hatte ich bereits alle Hände voll zu tun, um für die unterschiedlichsten Bands und internationalen Künstlern Bassparts von zuhause aus aufzunehmen.

Erste Konzertoptionen in der Pandemie

Ab Mai durfte meine Frau ihr Café wieder öffnen und da keine Gigs anstanden, war ich mehr als sonst üblich in der Bistro-Küche zu finden. Die Diskussion, ob Streamingkonzerte uns Musikern eher schaden oder helfen, war in vollem Gange. Ab Juni gab es dann auch die ersten Lockerungen, die es möglich machten, überhaupt wieder an öffentliche Konzertveranstaltungen zu denken.

Seit Jahren organisiere ich eine kleine regionale Kulturreihe, die vor allem durch Kultursponsoring finanziert wird. Unser erster Test war ein kleines Sonntags Matineékonzert mit dem Blues-Gitarristen Werner Dannemann auf einem Adventure Golfplatz.

Die 80 verfügbaren Sitzplätze waren innerhalb eines Wochenendes ausverkauft und das Konzert trotz der kurzen Regenschauern ein großer Erfolg.

Zwei Lager

Im Juni hatte ich das Gefühl, dass die Musiker aus meinem Bekanntenkreis sich in zwei Lager trennten. Ein Teil war wie gelähmt und wollte bzw. konnte unter den derzeitigen Bedingungen keine Gigs spielen. Die sechsköpfige Band Voice 4 You, die es gewohnt ist, auf größeren Bühnen vor mehreren hundert Menschen zu spielen, bekam eine Absage nach der anderen, da das Bandkonzept unter den Corona-Bedingungen einfach nicht umsetzbar war.

Dagegen hatte ein befreundeter Musiker mit seinem neuen Veranstaltungskonzept sehr viel Erfolg. Nach vorheriger Anmeldung konnten die Besucher auf einer von ihm fest vorgegebenen Wanderroute mehrere Stationen im Wald und auf der Wiese besuchen und dort Akustikbands in Kleinstbesetzung anhören.

Vor allem Bands und Solokünstler, die bereits vorher eher vor wenig Publikum und in einer kleinen Formationen gespielt haben, waren nun im Vorteil. Der Songwriter Philip Bölter konnte zwar seine fixe Tour nicht so spielen wie ursprünglich geplant. Er hat es aber zumindest geschafft, mit seinem Soloprogramm viele kleine Konzerte zu spielen. Vom Lagerfeuergig über Streamingkonzerte auf Spendenbasis bis zum Wohnzimmerkonzert war da alles dabei.

Ich konnte mich im Juni und Juli auch mit dem ein oder anderen Privatgig und Mini-Biergarten-Openair über Wasser halten. Autokinokonzerte hatte ich persönlich keine, aber von Kollegen hab ich die unterschiedlichsten Rückmeldungen dazu bekommen. Von „das hat trotzdem richtig Spaß gemacht“ bis zu „das muss ich hoffentlich nie wieder machen“.

Hauptsächlich die vielen Kollegen, die normalerweise Tourneen mit größeren Acts spielen oder auch als Musicaldarsteller unterwegs sind, hatten nun weiterhin mit der langen Durststrecke zu kämpfen. Die Sängerin Alexandra Pansch war z.B. mit Sologigs als singendes Telegramm recht erfolgreich und konnten so wenigstens etwas Geld verdienen und anderen Menschen eine Freude machen.

Im August war ich seit sehr langer Zeit mal wieder als Straßenmusiker mit dem Saxophonisten Lee Mayall unterwegs. Die Stadt Heidenheim hat für ihre Musiker eine Veranstaltungsreihe initiiert, bei der Bands in der Innenstadt als Straßenmusiker auftreten konnten. Die Gagen wurden von der Stadt finanziert und unter Bereitstellung eines Betreuers, der die Musiker von Ort zu Ort begleitete und auf die Einhaltung der Corona-Bestimmungen achtete, gab es hier sehr viel positive Zustimmung.

Open Air Konzerte waren im sommer eine gute Option

Open Air Konzerte waren im sommer eine gute Option, © Noah Knauss

Stimmung trotz Mindestabstand?

Dank weiterer Lockerungen und lauen Sommernächten war es jetzt wieder möglich, mehr Konzerte zu spielen. Akustikkonzerte in privaten Gärten, ein tolles Open-Air mit Lagerfeuer und Grill auf einem Tennisplatz und weitere Biergarten-Gigs folgten. Veranstaltungen, die trotz Einhaltung der Mindestabstände eine gemütliche Atmosphäre bieten konnten, kamen beim Publikum immer hervorragend an. Konzerte auf großen Bühnen, bei denen einzelne Sitzplätze verstreut auf einem viel zu großen Gelände verteilt werden mussten, waren dafür weder für die Bands noch für die Veranstalter und das Publikum wirklich zufriedenstellend.

Im August herrschte weiterhin bestes Sommerwetter. Mit dem Philip Bölter Trio durfte ich im ausverkauften Roxy Biergarten in Ulm auftreten. Danach ging es mit Yasi Hofer für zwei Konzerte in die Schweiz. Das erste Konzert in Zürich fand unter verschärften Corona-Bedingungen statt. Maskenpflicht fürs Publikum und 1,5 Meter Abstand je Sitzplatz. Trotz der eher sterilen Kulisse machte es Spaß wieder auftreten zu dürfen.

Am nächsten Tag spielten wir an der Grenze zu Deutschland einen Gig in einem umfunktionierten Stall. Es durfte zwar nur eine begrenzte Anzahl an Gästen rein, aber es herrschte keine Sitzplatzpflicht. Das fühlte sich dann schon eher wieder wie ein normales Konzert an.

Im September spielten wir den ersten Livegig mit zusätzlichem Livestream. Trotz etwas frischen Temperaturen fand das Konzert noch im Freien statt. Für den Livestream konnten Tickets online gekauft werden. Somit hatten auch unsere internationalen Fans die Chance, endlich wieder ein Konzert von uns zu sehen. 

Danach waren wir im Colos-Saal in Aschaffenburg, spielten eine Doppelshow in der Kofferfabrik in Fürth, waren in den Ansbacher Kammerspielen und der Ludwigsburger Scala zu Gast und hatten fast schon ein Heimspiel im Kaminwerk in Memmingen.

Alles fand mit den unterschiedlichsten Beschränkungen und etwa einem Viertel der sonst üblichen Zuschauer statt. Und jedes Mal das mittlerweile gewohnte Prozedere: Ein individuell angepasstes Hygienekonzept mit Abstandsregeln, Maskenpflicht und einer begrenzten Anzahl an Gästen.

Man merkte aber auch hier, dass sich das Publikum freute, endlich wieder Livemusik hören zu dürfen. Was durchweg fehlte, war der extra Energieschub, den dir ein Konzertpublikum geben kann, das dicht gedrängt vor der Bühne steht und gemeinsam feiert.

Angst, Unsicherheit und Gigs mit Stoßlüftungspausen

Mittlerweile stiegen die Zahlen der Coviderkrankten wieder rapide an. Die Verunsicherung bei den Veranstaltern und in der Bevölkerung war jetzt wieder offensichtlich gewworden Bei mir standen zwei Gigs in unmittelbarer Nähe auf dem Programm. Ich konnte meine Bassanlage stehen lassen, zuhause schlafen und mit zwei Bands an zwei aufeinander folgenden Tagen im gleichen Club spielen. Was will man mehr?

Eigentlich wollte meine Frau mit ihrer Cousine zu einem der Konzerte kommen. Leider kam dann aber doch noch etwas dazwischen und ihre Cousine konnte nicht mitkommen. Die Suche nach einer Ersatzbegleitung wurde äußert schwierig. Von fünf Freundinnen, die sie kontaktierte, hatten zwei keine Zeit und drei trauten sich wegen den steigenden Infektionszahlen nicht auf ein Konzert.

Hier zeigte sich, wie groß die Verunsicherung trotz der strengen Hygieneregeln mittlerweile war!

An beiden Abenden wurden zwar alle Plätze bereits im Voraus ausgebucht. Trotzdem tauchen nicht alle Gäste auf und der ein oder andere hielt es nichtmal für notwendig, seine Sitzplatzreservierung vorher zu stornieren. Ärgerlich für die Veranstalter und die Bands, denn es hätte noch Nachfrage gegeben. Trotzdem machte es Spaß und wir spielten jeweils drei Sets mit 15-minütigen Stoßlüftungspausen.

Neuer Lockdown

In der folgenden Woche sollte ich eigentlich freitags und samstags im legendären Village Bluesclub in Habach bei München spielen. In Bayern wurde aber nun die Sperrzeit verlängert und die Anzahl der Gäste stark reduziert. Seit Anfang März war das wieder die erste Konzertabsage bzw. Verschiebung auf 2021. Kurz darauf folgte auch schon der bundesweite Teil-Lockdown für November.

Für mich standen noch zwei letzte Konzerte am 30. und 31. Oktober im Kalender. Das Erste fand bei der Kunststiftung in Stuttgart statt. Dieses Mal spielten wir ohne Livepublikum, dafür mit Livestream. Bei dem Event traten auch weitere Künstler in unterschiedlichen Räumen der Villa auf. Eine tolle Chance, endlich mal wieder viele Kollegen zu treffen und sich auszutauschen.

Sehr ungewöhnlich war es aber schon, gänzich ohne Publikum zu spielen und das gemeinsame Bier mit seinen Musikerfreunden bei Mindestabstand und ohne das sonst übliche Gedränge an der Bar zu genießen. Den voraussichtlich letzten Auftritt für 2020 hatten wir in der schönen Ravensburger Zehntscheuer. Besser hätte der Abschied dann aber auch nicht sein können. Trotz Einschränkungen hat die Location eine gemütliche Atmosphäre, die sowohl uns Musiker als auch das Publikum für gute zwei Stunden vergessen ließ, was zur Zeit alles abgeht. Ein hervorragendes Beispiel wie die Kombination aus hochmotivierten Veranstaltern, einer wundervollen Location und einem nach Livemusik lechzenden Publikum die ganzen Mühen bezahlt machen.

Mein Fazit und Ausblick

Ich hatte das Glück, in den letzten Monaten wesentlich mehr Auftritte zu spielen, als die meisten meiner Kollegen. Dazu hab ich mich aber auch ganz bewusst entschieden. Zum Teil ohne vorher zu wissen, welche Gagen für mich dabei rausspringen werden.

Für mich war es wichtig, rauszukommen und mir ein Bild der Situation vor Ort zu machen. Außerdem halte ich es für wichtig, Veranstalter zu unterstützen, die bereit sind, unter den momentanen Bedingungen überhaupt Konzerte anzubieten. Was hier durch extrem viele zusätzliche Arbeitsstunden und die Hilfe vieler freiwilligen Helfer geleistet wird, ist vielen Menschen wahrscheinlich nicht bewusst.

Ich hatte die Chance in den unterschiedlichsten Räumlichkeiten zu spielen und somit auch die unterschiedlichsten Hygienekonzepte kennenzulernen. Meiner Meinung nach haben sich ausnahmslos alle Beteiligten dabei immer vorbildlich verhalten. Dass nicht alles immer genau so umsetzbar ist, wie es sich die Experten am Schreibtisch so vorstellen, ist dabei aber auch klar. Doch auch hierfür gab es bei den Verantwortlichen immer kreative Wege, um allen soweit möglich gerecht zu werden und das Infektionsrisiko zu vermindern.

Trotzdem ist es für uns Musiker dabei fast unmöglich, kein erhöhtes Risiko einzugehen. Wir reisen im gleichen Tourbus, haben täglich Kontakt zu neuen Menschen und stehen gemeinsam auf der Bühne, während das Publikum die Show genießt. Danach geben wir noch maskiert und mit gebührendem Abstand Autogramme am Merchandise Stand. Ich hab aber keine einzige Sekunde bereut, diese Konzerte zu spielen.

Besonders jetzt finde ich es wichtig, Flagge zu zeigen und sich nicht zuhause einzugraben. Dass es immer weniger Menschen gibt, die zu Livekonzerten kommen, wissen wir seit Jahren. Der Großteil der Bevölkerung ist es mittlerweile auch gewohnt, Musik als Dauerberieselung zu konsumieren.

Erst wenn alle Radiostationen, TV-Sender und Streamingdienste zu einem musikalischen Generalstreik aufrufen würden und eine bestimmte Zeit keine Musik mehr öffentlich aufgeführt würde, erst dann wird in der Öffentlichkeit klar werden, dass es auch Menschen gibt, die die Musik komponieren, produzieren und aufführen. Vielleicht kommt dann auch das Verständnis, dass genau diese Menschen auch von etwas leben müssen und Musik nicht kostenlos zur Verfügung stehen kann.

In der Zwischenzeit sind wir es aber unseren Fans und allen Musikliebhabern schuldig, zu zeigen, dass es uns weiterhin gibt und Musik bzw. Kultur im Allgemeinen ein essentiell wichtiger Bestandteil jeder Gesellschaft ist und auch in Zukunft sein muss. Vielleicht bietet die derzeitige Krise ja die Chance, dies der Bevölkerung besser klar zu machen.

Um funktionierende Konzepte zu entwickeln, darf man nicht nur die Musik und die Hygieneregeln betrachten. Das Publikum wird nur dann Konzerte besuchen, wenn es sich dabei wohlfühlt. Dazu gehört für mich auch die passende Atmosphäre. Eine fast klinisch kühle Konzertlocation, die nach Desinfektionsmittel duftet und wo jeder einzelne Sitzplatz in Reih und Glied angeordnet ist, macht ein  Blues- oder Rockkonzert nicht gerade zum absoluten Highlight des Jahres. Egal wie gut die Band spielt.

Wir müssen Konzepte entwickeln, die den Menschen das Gefühl von Sicherheit geben und trotzdem dabei helfen die Alltagssorgen zu vergessen. Ich bleibe positiv optimistisch und mach mich weiter auf die Suche nach neuen Lösungen.

Bleibt alle gesund und lasst uns weiter Krach machen!

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