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US-Justizministerium ermittelt

Nach Taylor Swift-Desaster: Missbrauchen Live Nation und Ticketmaster ihre Monopolstellung in den USA?

Spezial/Schwerpunkt von Florian Endres
veröffentlicht am 25.11.2022

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Nach Taylor Swift-Desaster: Missbrauchen Live Nation und Ticketmaster ihre Monopolstellung in den USA?

Taylor Swift (2020). © Universal Music

Die amerikanische Kartellbehörde untersucht, ob Live Nation und das Tochterunternehmen Ticketmaster gegen Wettbewerbsrecht verstoßen könnten. So seien in den letzten Monaten Veranstalter und andere Akteure im Ticketmarkt nach den Geschäftspraktiken von Live Nation befragt worden.

Im Finanzbericht zum dritten Quartal 2022 präsentiert sich Konzertveranstalter Live Nation Entertainment in bester Verfassung: Das Unternehmen übertraf mit seinem Quartalsumsatz und seinen Ticketverkäufen sogar das Vergleichsquartal im letzten Vor-Corona-Jahr 2019. 

Doch die rosige Lage des Konzert- und Ticketing-Giganten wird seit dem gescheiterten Vorverkauf für die "The Eras"-Tour von Megastar Taylor Swift von einer dunklen Wolke überschattet. Nicht nur zürnen hunderttausende Fans der Live Nation-Tochter Ticketmaster; die Nachwirkungen des Ticketing-Fiaskos haben auch das Justizministerium der Vereinigten Staaten (Department of Justice, DOJ) auf den Plan gerufen. 

Die Jahrhundert-Tour

Am 15. November begann der Vorverkauf für Taylor Swifts "The Eras"-Tour, ihrer ersten Tour seit fünf Jahren, via Ticketmaster. Dabei war die erste Vorverkaufswelle für die Tour nicht öffentlich: Fans mussten sich als "Verified Fan" registrieren, um dann einen Presale Code zu erhalten. Dieses Vorgehen sollte dabei helfen, den erwerbsmäßigen Weiterverkauf von Konzertkarten auf dem Zweitmarkt zu verhindern. 

All jene, die sich für einen Presale Code registriert haben, sollten dann in der Nacht vor dem Vorverkauf eine Email, in der sie erfahren, ob sie für das Vorverkaufs-Programm ausgewählt wurden, und dann auch gleich ihren Code erhalten – zumindest in der Theorie. 

Der Trubel um die Tickets

Praktisch zwang der immense Ansturm auf die begehrten Tickets die Ticketmaster-Server in die Knie: So hingen die registrierten Fans bis zu acht Stunden in der Warteschleife für den Ticketverkauf fest, ihre Presale Codes wurden bei der Anmeldung für den Ticketkauf als ungültig abgetan – oder die Ticketing-Seite war gar nicht mehr zu erreichen. 

Letztendlich verkaufte Ticketmaster über zwei Millionen Tickets für Swifts Tour, mehr Tickets als je zuvor an einem einzigen Tag. Doch viele Fans, denen aufgrund ihres Presale Codes eigentlich ein Ticket zugestanden hätte, gingen schlussendlich durch die zahlreichen technischen Probleme leer aus; darüber hinaus sagte das Unternehmen den öffentlichen Vorverkauf aufgrund mangelnder Kapazitäten ab. 

Ermittlungen seit dem Sommer

Während in den deutschen Schlagzeilen vor allem das Versagen von Ticketmaster und die Enttäuschung der Fans im Vordergrund steht, schwenkte der Tenor in den USA schnell zu einer Art Generalkritik am Ticketmaster-Mutterkonzern Live Nation und dessen Dominanz in der Live-Branche um. 

US-Medien berichten anlässlich des VVK-Debakels übereinstimmend, dass die Kartellabteilung des Justizministeriums bereits seit Sommer 2022 gegen den Konzern ermittle. Wie zwei anonyme Insider verrieten, seien in den vergangenen Monaten einige Betreibende von Veranstaltungsorten und andere Akteure im Ticketbusiness von der Behörde kontaktiert worden.

Droht das Ende?

Wie es den Berichten zu entnehmen ist, geht es vor allem um die Frage, ob Live Nation/Ticketmaster gegen das Wettbewerbsrecht verstoße und das Live-Business als Quasi-Monopolmacht vollständig dominiere.

Dazu soll es zunächst eine Anhörung geben, bei der der "Mangel an Konkurrenz" auf dem US-amerikanischen Ticketmarkt untersucht werden soll. Konkrete rechtliche Schritte sind laut der Insider-Quellen noch nicht geplant. Sollte es jedoch zu einer Klage kommen, sei die Zerschlagung des Giganten ein mögliches Ziel, so die beiden Insider. 

Fast ein Monopol

Wenngleich die Untersuchungen der Justizbehörde nicht in erster Linie mit der Causa Swift zusammenhängen, zeigen der Ticketmaster-Vorverkauf und sein Scheitern doch deutlich die kartellrechtliche Bewandnis der Ermittlungen.

Ein Star von der Größenordnung einer Taylor Swift kann nur in den wirklich großen Arenen und Spielstätten in Amerika spielen, was nicht zuletzt auch das enorme Interesse ihrere Fans am Vorverkauf beweist – nur so können die Veranstaltenden der hohen Nachfrage innerhalb einer Tour gerecht werden. 

Laut AEG Presents, dem Tourveranstalter der "The Eras"-Tour, kooperiert nun Ticketmaster mit dem größten Teil der großen Spielstätten in den USA. Exklusivverträge mit diesen Spielstätten gewährleisten Live Nation, dass diese ihren Vorverkauf ausschließlich über Ticketmaster abwickeln, wodurch auch Veranstalter wie AEG, die sich wiederum nach den Venues richten, dann diesen Service nutzen müssen. 

Unter Druck

Diese Exklusivverträge sollen dabei zumindest teilweise nicht eben freiwillig geschlossen worden sein: Bereits im Jahr 2019 warfen mindestens sechs Spielstätten Live Nation vor, diese nur bei ihrer Tourplanung zu berücksichtigen, wenn sie den Vorverkauf über Ticketmaster abwickelten. 

Denn nicht genug damit, dass es sich bei Ticketmaster bereits vor der Akquise durch Live Nation im Jahr 2010 um einen der größten Ticketing-Anbieter gehandelt hat – Live Nation hat sich auch bereits seit Jahren als einer der größten Tourveranstalter weltweit etabliert.

Beschwerden überall

Die Beschwerden der Spielstättenbetreibenden wurden dem Justizministerium im Jahr 2019 von den demokratischen Senator/innen Amy Klobuchar und Richard Blumenthal vorgetragen. Klobuchar und Blumenthal hatten bereits damals eine Klage gegen gegen Live Nation/Ticketmaster vorgebracht und das Justizministerium um eine Untersuchung angerufen.

Die Senator/innen wiesen u.a. darauf hin, dass die Bevorteilung von Ticketmaster-Venues bei der Tourplanung gegen eine Klausel in der Konsensvereinbarung, die Live Nation und Ticketmaster vor der Übernahme unterzeichnen mussten, verstoße. 

Zwar fand die Untersuchung statt; jedoch trug diese kaum Konsequenzen mit sich: Ein Gericht verlängerte lediglich die Konsensvereinbarung und damit auch die Klausel, dass das Unternehmen Venues unabhängig ihres Ticketing-Anbieters bei der Tourplanung berücksichtigen muss, bis 2025. 

Außerdem sollten unabhängie Gutachter/innen die Einhaltung der Vereinbarung überprüfen. Ob diese Überprüfungen stattgefunden haben, wie sie durchgeführt wurden und zu welchen Ergebnissen sie u.U. führten, ist derzeit nicht bekannt. 

Bis zur Zerschlagung

Wenig verwunderlich wiederholten Blumenthal, Kobuchar und der demokratische Senator Edward J. Markey im Zuge der Causa Swift ihre Forderung nach einer lückenlosen Untersuchung: Sie begrüßten die Ermittlungen des Justizministeriums und forderten darüber hinaus die "stärkstmöglichen Sanktionen" für das Unternehmen, um so die Verbraucher/innen zu schützen – bis hin zur Zerschlagung des Konzerns.  

In eine ähnliche Kerbe schlug auch die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Auf Twitter beschuldigte sie Ticketmaster der Monopolmacht und rief zur Aufspaltung des Unternehmens auf. In ihrem Statement erklärte Ocasio-Cortez, dass die Fusion von Live Nation und Ticketmaster "niemals hätte genehmigt werden dürfen": 

Mit der Forderung, Ticketmaster zu zerschlagen, zitiert Ocasio-Cortez gleichzeitig auch den Namen der Initiative "Break Up Ticketmaster", die für die Auflösung der Verbindung von Live Nation und Ticketmaster eintritt, und zu diesem Ziel u.a. eine Petition gestartet haben

Ticketmaster und die Folgen 

Tatsächlich gehen die Folgen von der Quasi-Monopolstellung von Live Nation weit über die Ungemach hinaus, keine Karte für ein Taylor Swift-Konzert erhalten zu haben. Die marktbeherrschende Stellung des Konzerns für Veranstaltende erzeugt für zahlreiche Akteure aus der Live- und Musikbranche den Zwang, sich den Bedingungen von Ticketmaster zu beugen.

Das führt letztendlich dazu, dass es auf die Frage, ob ein anderes Unternehmen den Kund/innen theoretisch eine bessere Performance beim Ticketkauf bieten könnte, gar nicht mehr ankommt: Es gibt de facto keine anderen Tickting-Anbieter mehr, auf die Stars in der Größenordnung von Taylor Swift bzw. ihr Management zurückgreifen können. 

Alternativlos

Damit ist auch die Entscheidung, das durchaus fragwürdige Bezahlkonzept von Ticketmaster zu akzeptieren, letztlich nichtig: Obwohl die Washington Post durchaus darin Recht hat, dass der Ticketpreis selbst sowie die Wahl von Zusatzoptionen wie dem umstrittenen Dynamic Pricing, in der Hand der Künstler/innen liegt, und damit Stars wie Taylor Swift vor allen anderen die Ticketpreise reduzieren können.

Die Höhe der Zusatzgebühren, die bei Ticketmaster immer wieder kritisiert wird, ist alleine von den Entscheidungen des Unternehmens abhängig, und auch hier gibt es keine Alternativen mehr, auf die Musikschaffende ab einer gewissen Größenordnung zurückgreifen könnten. 

Inzwischen hat sogar US-Präsident Joe Biden erklärt, gegen unnötige oder überhöhte Gebühren (engl. junk fees) vorzugehen, wobei er Konzertkarten explizit nannte. Live Nation reagierte darauf mit einer Stellungnahme, in der das Unternehmen erklärte, die Forderung nach "transparenten Gebühren" zu unterstützen.

Und Ticketmaster?

Live Nation/Ticketmaster selbst setzte sich in einer Stellungnahme gegen dem Vorwurf der Monopolbildung zur Wehr: Das Unternehmen gab an, dass es seine Verantwortung gemäß den Kartellgesetzen ernst nehme und sich nicht an Verhaltensweisen beteilige, die Kartellrechtsverletzungen nach sich ziehen könnten.

Der Bezug auf die Konsensvereinbarung von Live Nation und Ticketmaster reduziert dabei ein Problem, das nicht nur ungemein größer ist, sondern auch nicht neu sind: Ältere Musikfans erinnern sich vielleicht noch an den Konflikt, den die Rockband Pearl Jam Mitte der 1990er Jahre mit Ticketmaster ausfocht. Trotz enormer medialer Aufmerksamkeit und Anhörungen im Kongress änderte sich für Veranstalter und Ticketkäufer so gut wie nichts.

Ein alter Konflikt gewinnt Brisanz

Im Gegenteil, der reine Tickethändler Ticketmaster, wie er Mitte der 1990er bestand, verwandelte sich durch die Fusion mit Live Nation und zahlreichen Zukäufen in ein milliardenschweres Unternehmen, das nicht nur den Ticketmarkt, sondern auch das gesamte Live-Entertainment-Business der USA dominiert.

Gerade die größten Stars, die größten Festivals und die größten Sportevents verkaufen ihre Tickets allesamt über Ticketmaster. Aber nicht nur das: Der Veranstalter dieser Events heißt in vielen Fällen ebenfalls Live Nation/Ticketmaster und die Hallen, in denen diese Events stattfinden gehören ebenfalls Live Nation/Ticketmaster.

Wenig Chancen auf echten Wandel

Dieses Monopol aufzubrechen, wird aber nicht leicht. Der Zerschlagung von Live Nation/Ticketmaster in kleinere Einheiten stehen starke politische und wirtschaftliche Interessen im Weg. Zudem sind die USA traditionell Eingriffen in den Markt stärker abgeneigt als europäische Staaten. Kurz: Es ist nicht davon auszugehen, dass sich bald etwas grundlegendes an der Situation ändert.

Zudem ist es schwer zu sagen, was denn genau geschehen würde, wenn Live Nation und Ticketmaster wieder als getrennte Unternehmen operieren würden. Der Konzentrationsprozess hat über viele Jahre zu der heutigen Situation geführt – und es wird vieler Jahre und einschneidender Maßnahmen bedürfen, um sie grundlegend zu verändern. 

Droht Deutschland ähnliches?

Von einer Monopolstellung von Live Nation/Ticketmaster ist der deutsche Veranstaltungsmarkt weit entfernt. Das liegt an der starken Konkurrenz des Ticketanbieters Eventim, der den gleichen Transformationsprozess durchlaufen hat wie das US-amerikanische Unternehmen. Auch Eventim hat zahlreiche Konzerthallen und Veranstalter aufgekauft und kontrolliert dadurch einen beträchtlichen Teil des deutschen Live-Geschäfts.

Aber eine solche Marktmacht unterscheidet sich doch grundlegend von der Quasi-Monopolstellung von Live Nation/Ticketmaster in den USA. Hierzulande operiert Ticketmaster als Konkurrent von Eventim. Zumal existieren andere kleinere Anbieter, die ebenfalls für einen gewissen Wettbewerb auf dem Markt sorgen – und die im Gegensatz zur amerikanischen Situation noch einen gewissen Spielraum haben. 

Allerdings sollten sich deutsche Musikschaffende, Veranstalter und Ticketkäufer nicht in Sicherheit wiegen. Die Bildung eines Monopols kann sich auch in Deutschland vollziehen, wenn die Kartellbehörden und der Gesetzgeber sie nicht verhindern. Und wenn das Monopol erst einmal existiert, ist es außerordentlich schwer, es wieder loszuwerden.

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