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"Wirklich Vollzeitmusiker zu sein, das ist der Heilige Gral"

Tourneen, Songwriting, Mixing: Bruce Soord von The Pineapple Thief über das Leben und Überleben als Profimusiker

Interview von Michael Erle
veröffentlicht am 26.03.2024

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Tourneen, Songwriting, Mixing: Bruce Soord von The Pineapple Thief über das Leben und Überleben als Profimusiker

Michael Erle und Bruce Soord (2024). © Michael Erle

Sänger und Multiinstrumentalist Bruce Soord ist Gründer, Sänger und Gitarrist der Prog-Rock-Band The Pineapple Thief - und weit mehr als das. Im Interview spricht er über den Wandel im Songwriting der Band, die Vorteile langsamen Wachstums, die Wichtigkeit von Tourneen und seinen "Nebenjob" als Produzent, der zur Zusammenarbeit mit Ian Anderson für das letzte Jethro Tull-Album "RökFlöte" führte.

Backstage PRO: Glückwunsch zum Album und zur Tour. Bist du zufrieden?

Bruce Soord: Ja, als Gruppe sind wir wirklich zufrieden. Alles geht aufwärts. Wenn man auf Tournee ist, kann das sehr empirisch sein. Es dreht sich alles um die Zahlen, und wenn die Promoter dich buchen, schauen sie auf deine Zahlen. Und die Zahlen sind wirklich gut.

Backstage PRO: Bei eurem letzten Gig in München musstet ihr vor bestuhltem Saal spielen.

Bruce Soord: Ja, das war vor zwei Jahren während der Corona-Pandemie der Regelfall.

Backstage PRO: Wie viele Zuschauer habt ihr jetzt pro Nacht im Vergleich? Doppelt so viele?

Bruce Soord: Ja, manchmal sind es doppelt so viele. In einigen Städten haben wir weit über 1.000. In Amsterdam, wo wir ausverkauft waren, waren es 1.300, in Köln 1.200. Unser Tourmanager hat schon gesagt, er wünscht sich irgendwie, er hätte in München eine größere Location gebucht. Wenn wir das Backstage genommen hätten, dann wären hier wahrscheinlich 1.000 Leute gekommen. Was großartig ist, denn als wir in München anfingen, waren es 200.

"Ich empfehle jedem, klein anzufangen"

Backstage PRO: Das ist ein super Gefühl, oder? 

Bruce Soord: Ja. Es ist echt toll für eine Band, wenn du so viel Arbeit reingesteckt hast und die Ticketverkäufe jedes Mal mehr werden, vor allem an diesem Punkt in unserer Karriere. Ich werde ja auch nicht jünger. (lacht) Ich würde auf jeden Fall empfehlen, klein anzufangen und sich dann allmählich im Laufe des Lebens zu steigern, im Gegensatz zu vielen anderen, die ich kenne. Ich kenne eine Band, die mit 17 unter Vertrag genommen wurde, riesig war, und dann genauso schnell weg vom Fenster, wie sie gekommen war.

Backstage PRO: Irgendwann lösen sich Bands auf.

Bruce Soord: Ja. Touren wird zum "Murmeltiertag", weil es immer das Gleiche ist. Wir denken schon an die nächste Tournee, das nächste Album, die nächste Tournee. Unsere Booking-Agentin sagt: "Es ist jetzt so viel einfacher. Ihr spielt vor ausverkauften Häusern. Jetzt können wir in größere Locations gehen, mit besseren Anlagen. Es wird einfach besser."

Backstage PRO: Vor drei Jahren habe ich mit eurem Drummer Gavin Harrison gesprochen, und er hat von der Arbeit am letzten Album erzählt. Wie hat sich das von den Aufnahmen zum aktuellen Album unterschieden?

Bruce Soord: Wir haben dieses Mal viel persönlich miteinander gearbeitet. Ich habe ziemlich viel Zeit mit Gavin in seinem Studio verbracht, um Songs zu schreiben, was ich noch nie getan habe. In der Geschichte von Pineapple Thief war es lange Zeit so, dass ich alles allein geschrieben habe. Alle Parts. Ich glaube, seit etwa 2014 war die Band viel stärker involviert. Wir entwickelten uns von einem Soloprojekt, das ein paar Live-Shows spielte, zu einer Band. Und dann trugen die Bandmitglieder alle etwas bei, aber alles lief noch immer remote ab.

"Du verlierst etwas, wenn du nur 'remote' aufnimmst"

Backstage PRO: Was war der Grund? 

Bruce Soord: Ich glaube, viele Bands machen das, weil es einfach ist. Man kann seine Parts in seinem eigenen Studio schreiben, sie abschicken und dann in aller Ruhe loslegen. Nach einer Woche hast du deinen Basspart erstellt. Aber du verlierst etwas, wenn du remote aufnimmst. Du verlierst die Anspannung, die du hast, wenn man aus seiner Komfortzone heraus muss. Du bist ein kleines bisschen verunsichert. 

Backstage PRO: Aus dieser Verunsicherung kann aber etwas Gutes entstehen?

Bruce Soord: Genau. So fühlte es sich an, als ich mit Gavin zusammen war. Er hat was geschrieben, und dann musste ich mir was einfallen lassen, und zwar sofort. Das fühlt sich komplett anders an: mir muss das Beste einfallen, was ich machen kann. Dieses Gefühl hat man nicht, wenn man gemütlich in seinem Studio ist und alle Zeit der Welt hat. Ich erinnere mich, wie ich nach der Session dachte: mein Gott, das waren einige der musikalisch intensivsten Wochen, an die ich mich erinnern kann. Es kamen einige wirklich gute Sachen heraus.

Backstage PRO: Habt ihr jemals Live-Apps für Echtzeit-Zusammenarbeit ausprobiert?

Bruce Soord: Das haben wir in der Pandemie, aber sie haben einfach nicht ganz funktioniert. Wir konnten sie einfach nicht zum Laufen bringen. Wir haben eine ganze Menge Videokonferenzen gemacht, in denen wir alle miteinander über die Songs gesprochen haben. Aber als es darum ging, tatsächlich zusammen zu spielen, haben wir das nicht ganz hinbekommen. Nichts geht über das echte Ding.

Backstage PRO: Würdest du sagen, dass die Pandemie dem letzten Album geschadet hat?

Bruce Soord: Das kann man so sagen. Ich glaube, wir hätten es so oder so gemacht, aber ich glaube, als wir das neue Album zusammenstellten, wurde uns klar, dass wir etwas anderes ausprobieren wollten. Ich sage immer, dass es das 14. Studioalbum ist, aber eigentlich war "It Leads to This" das vierte Album mit Gavin.

Backstage PRO: Mit seinem Einstieg hat sich viel verändert?

Bruce Soord: Seit Gavin dazu gekommen ist, ist die Band schon sehr, sehr anders. Jetzt, wo die Band zu einer richtigen Band geworden ist und wir angefangen haben, richtig große Touren zu machen, fühlt es immer noch sehr frisch an. Ich denke, wir werden das für die nächste Platte übernehmen. Persönlich zu schreiben bringt diese gewisse Magie mit sich. Du weißt, wenn es passiert ist, aber du kannst eigentlich nicht sagen, warum es passiert ist. Es passiert einfach.

"Crews und Veranstalter wurden am schlimmsten von der Pandemie getroffen"

Backstage PRO: Kurz nach der Pandemie war die Situation für Tour-Bands schwierig. Die Locations waren ausgebucht von den Touren, die verschoben wurden, und dann ist da noch das normale Tourgeschäft oben drauf.

Bruce Soord: Ja, das stimmt, das war definitiv so. Es gab definitiv einen Rückstau an Bands. Das haben wir auf unserer USA-Tour gesehen. Es fing bei einfachen Sachen an wie dem Tourbus. Es gab keine, und die wenigen, die man kriegen konnte, waren dreimal so teuer. Angebot und Nachfrage. Wir hatten dann einen schrecklichen Tourbus, der mitten in der Wüste eine Panne hatte. Wir mussten einen Termin absagen. Aber die aktuelle Tour fühlt sich ganz normal an, so wie vorher. Für mich ist es immer noch eine sehr lebendige Erinnerung. Die Crew hatte es noch einmal schwerer. Wir hatten Glück, weil wir unsere Studios hatten, so dass wir weiterarbeiten konnten. Aber die Crew, die Beleuchter und die Tontechniker wurden am schlimmsten von der Pandemie getroffen. Die Veranstalter auch.

Backstage PRO: Welche Erkenntnisse hast du aus der Pandemie gewonnen?

Bruce Soord: Das stärkste Gefühl momentan ist, wie wertvoll das alles ist. Das Touren, die Tatsache, dass wir es ohne Einschränkungen machen können. Auf der anderen Seite reden alle darüber, wie sich Live-Shows verändern. Wir sind eine traditionelle Band, ohne große Videoleinwand. Bei uns geht es nur um die Musik und die Band. Aber viele Leute suchen ein Live-Erlebnis, so wie U2 oder die große Kugel da in Las Vegas, eine Residency, Surround-Sound, noch mehr Erlebnis. Wir genießen es immer noch old school.

"Wir merken, dass wir gut vom Touren leben können"

Backstage PRO: Hat sich das Geschäft für euch seit der Pandemie verändert? Das Verhältnis von Einnahmen aus Tourneen einerseits, Streaming, Albumverkäufen, Lizenz-Deals und Merch andererseits?

Bruce Soord: Das ist schwer zu sagen. Touren sind mit Fixkosten verbunden, und die sind für uns gleich geblieben. Vorher, als wir nicht so erfolgreich waren, haben wir die kaum gedeckt, kaum Geld verdient. Es war schwierig. Aber jetzt, wo wir erfolgreicher geworden sind, merkt man, dass man vom Touren gut leben kann: Das hat sich also geändert.

Backstage PRO: Was ist mit dem übrigen Geschäftsmodell?

Bruce Soord: Wenn man das ganze Geschäftsmodell betrachtet, stellt sich die Frage: Wie kann ich als professioneller Musiker überleben? Es ist nicht einfach. Ich als Songwriter habe das Glück, dass ich einen größeren Anteil an den Lizenzeinnahmen bekomme. Ich könnte 100% einstecken, aber ich tue das absichtlich nicht. Die Band ist der Grund, dass ich überhaupt hier sein kann. Jeder trägt dazu bei, also teilen wir die Einnahmen. Aber ja, man kann mit Tantiemen Geld verdienen, sogar mit Streaming.

Backstage PRO: Was denkst du über die Streaming-Ökonomie?

Bruce Soord: Die Leute kritisieren das Streaming, und es ist ein schreckliches Geschäftsmodell für die Musiker, aber es ist nicht nichts. Es ist ein Teil des Einkommens. Also gibt es Lizenzgebühren, digitales Streaming ist immer noch wichtig, aber die Touren sind ein viel größerer Teil. Aber wenn Bands wirklich Geld verdienen wollen, dafür gibt es VIP-Erlebnisse. Ich mag das nicht besonders, die Tatsache, dass derjenige mehr kriegt, der mehr bezahlt hat. Das ist nicht sehr Rock'n'Roll. Ich mag auch die Idee von bestuhlten Shows nicht, die es vor allem in den USA sehr häufig gibt.

Backstage PRO: Warum nicht?

Bruce Soord: Ich mag es einfach nicht, dass Leute, die es sich nicht leisten können, vorne zu sitzen, gezwungen sind, hinten zu stehen. Ich mag das einfach nicht. So etwas werde ich nie tun. Aber man kann damit natürlich mehr verdienen. Wir dagegen sind einfach dankbar, dass wir von der Musik leben können.

"Man darf die physischen Verkäufe nicht vernachlässigen"

Backstage PRO: Ihr erzielt den größten Teil eures Einkommens durch Tourneen?

Bruce Soord: Ja, so ist es. Aber man darf die physischen Verkäufe nicht vernachlässigen. Sie steigen immer noch, langsam und schleichend. Ich wünsche mir manchmal, dass es uns schon vor dem Streaming gegeben hätte. Wir wären reich, weil die Leute gezwungen wären, physische Produkte zu kaufen. Vinyl geht gut und aufwendige Boxsets verkaufen sich sehr gut. Das muss etwas mit dem Greifbaren zu tun haben. Jemand, der eine Band liebt, möchte ein Andenken an die Tour oder das Album. Wir hatten dafür einen Online-Shop, der bis zum Brexit wirklich gut lief. Das hat ihn kaputt gemacht. Jetzt müssen wir einen in der EU haben.

Backstage PRO: Viele Branchen, die von der Pandemie hart getroffen wurden, haben jetzt Probleme, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Ist das auch so in der Musikbranche?

Bruce Soord: Nicht wirklich. Wir haben immer die gleiche Crew, die gleiche italienische Crew, es ist wie eine Fan-Crew-Familie. Aber ich habe gehört, dass sehr viele Leute die Branche verlassen haben. Ich frage mich, ob das Schlimmste überstanden ist und ob sich die Branche wieder erholt, aber du hast recht, es gab eine ganze Reihe von Veranstaltungsorten, die dicht gemacht haben. Mittlerweile wirst du vor allem in Locations wie dieser (dem Technikum in München, Anm. der Red.) nach der Show gerne mal rausgeschmissen, weil es im Anschluss eine Disco gibt. Das nennt sich "Disco Load Out". Dann heißt es: Holt euer Zeug und dann raus, denn wir wollen die Turntables hier aufstellen. Die Locations müssen echt darauf achten, dass sie wirklich alles maximieren müssen, was Einnahmen bringt.

Backstage PRO: Ich habe auf deiner Website gesehen, dass du immer noch mit einem Partner gemeinsam Mix und Mastering erledigst. Machst du das, weil du immer noch wirtschaftlich dazu gezwungen bist, oder weil du es einfach nicht aufgeben willst?

Bruce Soord: Ich will es nicht aufgeben, aber es nimmt ab. Lange Zeit war ich auf einen regulären Job angewiesen. Wirklich Vollzeitmusiker zu sein, das ist der Heilige Gral. 2015 habe ich das geschafft. Ich bin also erst seit 9 Jahren ein Profi. Am Anfang war es sehr hart, und das Mixen war ein wichtiges Einkommen, jetzt ist die Band der Haupt-Broterwerb.

Backstage PRO: Aber ganz aufgeben willst du es nicht?

Bruce Soord: Es macht mir wirklich Spaß, andere Bands zu mischen. Ich genieße es einfach sehr, besonders mit der Surround-Sound-Sache, Dolby Atmos, für die ich ziemlich bekannt bin. Nicht viele Leute haben das Studio dafür. Deshalb habe ich die Jethro-Tull-Platte "RökFlöte" gemacht, für die Ian Anderson ins Studio kam. Ich erhalte Anfragen von vielen Acts, die ich wirklich gut finde, die ich genießen kann. Es ist für mich als Musiker immer sehr interessant, in den Mix und in die Sessions anderer Bands zu gehen und zu sehen, was sie machen und wie sie es machen.

"Tourneen machen Spaß, sind aber sehr anstrengend"

Backstage PRO: Kannst du dir sogar vorstellen, auf Tourneen zu verzichten und nur noch zu mischen und zu mastern?

Bruce Soord: Vielleicht. Tourneen machen eine Menge Spaß, aber sie sind auch sehr anstrengend. Man verbringt viele Tage damit, in Veranstaltungsorten mitten im Industriegebiet herumzuhängen und auf die anderthalb, zwei Stunden zu warten, in denen man spielt. Dann fährt man in die nächste Stadt und wiederholt das. Nach einer Weile wird es ziemlich ermüdend, dann denkst du dir: "Mir reicht’s". Darum könnte ich mir vorstellen, eines Tages wieder zum Mixen und Mastern zurückzugehen. Ich mag auch die Tatsache, dass ich nicht alles auf eine Karte setzen muss. Ich habe die Mixing-Arbeit und auch die Performance-Arbeit. Es gibt Profi-Musiker, die nur von der Band leben, in der sie spielen. Dann ist der Druck riesig: du musst touren, weil du sonst kein Geld bekommst. Du musst das nächste Album schreiben. Den Druck habe ich nicht.

Backstage PRO: Was kommt als nächstes für euch?

Bruce Soord: Wir beenden die Tour. Wir stehen kurz davor, eine Nordamerika-Tour anzukündigen. Erst ein Festival in Chile auf dem Weg in die USA, das klingt doch alles sehr Rock'n'Roll. Dann geht es schon an die Aufnahmen für die nächste Platte. Die Stimmung in der Band ist riesig. Als wir diese Tour gebucht haben, haben wir immer gefragt, ob Leute kommen. Wir sind seit Jahren nicht mehr auf Tournee gewesen, daher haben wir es nicht als gottgegeben angenommen, dass die Leute immer noch kommen wollen.

Backstage PRO: Und dann die große Erleichterung…

Bruce Soord: Als dann die Zahlen da waren, haben wir gedacht: "Gott sei Dank, die Leute kommen immer noch." Gestern Abend in Straßburg waren wir fast ausverkauft. Da gibt es zwei Räume, der kleine fasst nur etwa 200 Leute. Als wir das erste Mal auf Tournee waren, haben wir dort gespielt. Dieses Mal spielten wir im großen Saal, und es war fast ausverkauft und einfach unglaublich. Das führt einem vor Augen, wenn man den alten Raum sieht. Im Moment wollen wir also einfach nur zurückgehen und wieder anfangen, Musik zu schreiben.

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