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Übergangslösung als Chance

Online-Musikunterricht während Corona: Ein neuer Weg zum Musizieren oder eine frustrierende Erfahrung?

Spezial/Schwerpunkt von Sarah Granzi
veröffentlicht am 08.06.2021

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Online-Musikunterricht während Corona: Ein neuer Weg zum Musizieren oder eine frustrierende Erfahrung?

© Dmytro Zinkevych / 123RF

Durch die Corona-Pandemie sind viele Musikschulen dazu gezwungen, auf Präsenzunterricht zu verzichten und auf Online-Unterricht umzustellen. Unsere Autorin Sarah Scheuer berichtet über Probleme und Chancen des Online-Unterrichts.

"Das Meeting beginnt in 2 Minuten" zeigt die Zoom-Startfläche an. Ein Klick auf "Meeting beginnen" und ich schaue erst einmal zwei Minuten lang mich selbst an, bevor meine Schülerin in einem zweiten Fenster erscheint.

Für uns MusiklehrerInnen ist das nun normal. Nicht nur der regelmäßige Schulbetrieb, sondern auch Musikschulen bieten ihren Unterricht online an. Statt in den dafür vorgesehehenen Musikräumen treffen sich die Lehrer/innen mit ihren Schülerinnen und Schülern nun virtuell, im jeweils eigenen Schlaf- oder Wohnzimmer, teils sogar noch in Pyjama- oder Jogginghose.

Einstellungsprobleme

"Könntest du die Übung noch einmal singen? Ich habe leider nur die Hälfte davon gehört" ist wohl der meist benutzte Satz, den viele Musiklehrerinnen und -lehrer zu Beginn des Online-Unterrichts zu ihren Schüler/innen sagen. Diese Situation mit "Dass das nicht klappt, dich zu hören, liegt an deiner Einstellung" zu kommentieren, kann zu einem amüsanten Missverständnis führen.

Gemeint ist hier natürlich nicht die persönliche Einstellung der Schülerin oder des Schülers zur Übung, zum Gesang oder Instrument allgemein, sondern die Audio-Grundeinstellung der Online- Plattform "Zoom".

Diese empfindet lang ausgesungene oder ausgespielte Töne als Störfaktor und schneidet sie nach wenigen Sekunden gekonnt heraus. So sehe ich als Lehrerin zwar singende oder musizierende Schüler/innen sieht, kann sie aber nicht hören. Dieses Problem ist jedoch durch ein paar einfache Klicks lösbar.

Fehlender persönlicher Kontakt

Zugegeben: Der Online-Unterricht bietet für alle Beteiligten eine gewisse Art von Abwechslung, die im Normalfall nicht vorkommen würde. So ist es möglich, dass der Unterricht auf der einen Seite im sonnigen Heidelberg bei 28 Grad mit Schülerinnen und Schülern stattfindet, die auf der anderen Seite im schneebedeckten Bayern musizieren.

In einer anderen Stunde gegen Nachmittag ist ein weiterer Schüler erst aufgestanden, da er gerade bei seinen Eltern zu Besuch ist – in Mexiko. Durch die Zeitverschiebung genießt er erst einmal bei seinem morgendlichen Kaffee eine halbe Stunde Klavierunterricht.

Verschwunden

Nicht selten kommt es vor, dass vor allem jüngere Schülerinnen und Schüler ohne Vorwarnung den Raum verlassen und die Lehrer/innen nur hilflos warten und "Hallo? Ist noch jemand da? Wo bist du?" fragen können.

Obwohl viele Lehrende diese Erfahrungen zumindest für den hoffentlich nicht mehr allzu langen Zeitraum der Pandemie mit Humor auffassen können, sind wir Musiklehrerinnen und -lehrer gleichzeitig frustriert – und das zurecht. Es geht schlussendlich um das Musizieren, das am meisten Spaß macht, wenn es gemeinsam ausgeführt werden kann. Ein Kollege kommentiert: 

"Auch wenn die Technik klappt, der Lehrer super vorbereitet ist und der Schüler motiviert, ist es nicht das gleiche. Der persönliche Kontakt fehlt, man kann schwieriger spontan etwas anderes machen oder zusammen jammen. Als Lehrer muss man stundenlang auf den Bildschirm starren und Kopfhörer aufhaben. Sollte dies für immer so sein, würde ich definitiv den Job nicht mehr machen wollen."

Online-Lösung kommt gut an

Neu akquirierte Schülerinnen und Schüler sehe ich häufig monatelang nur online, bis ich ihnen dann inzidenzbedingt im Einzel- oder Hybridunterricht zum ersten Mal in realer Form gegenüberstehen darf – und dann nur mit Maske oder hinter einer Plexiglasscheibe.

Dieser Gedanke ist zunächst ungewohnt, jedoch stellt es sich heraus, dass die meisten Schülerinnen und Schüler das Online-Angebot gerne annehmen und sowohl die Umstände als auch die sich ständig wechselnde Regelungen wie selbstverständlich berücksichtigen. Denn meistens wird spontan entschieden, ob nun die Musikschule für Einzel- oder Hybridunterricht öffnen darf oder wieder schließen muss – Flexibilität ist also ein Muss. 

Neue Möglichkeiten

Musikschulen versuchen, sich so gut wie möglich an die Umstände anzupassen, etwa, indem sie Multicams installieren, die sowohl den gesamten Raum als auch verschiedene Perspektiven auf die Lehrenden und deren Instrumente einfangen.

Die Kreativität einiger Lehrender scheint regelrecht aufzublühen: Aufgrund der neuen Gegebenheiten werden neue Methoden erfunden, um die Schüler/innen spielerisch und interaktiv an ihr Instrument heranzuführen. So erzählt mir ein Schlagzeuglehrer: 

"Ich nutze die Kamerafunktion ganz gezielt. Ich zeige beispielsweise meinen Schüler/innen eine Übung und gehe bewusst einige Minuten aus der Leitung raus, damit diese in Ruhe die Übung versuchen können, ohne dass ich zuschaue. Das hilft vielen, die Übung besser zu verinnerlichen."

Dieser Kollege hat zahlreiche Spiele entwickelt, mit denen er seine Schülerinnen und Schüler auch in der eingeschränkten Situation fordert:

"Ich lasse die SchülerInnen erst einmal den gesamten Raum anschauen, dann schalte ich meine Kamera aus und räume etwas um oder stelle etwas weg. Wenn ich die Kamera dann wieder anschalte, müssen sie erraten, was ich verändert habe. Online-Unterricht wird immer flüssiger; jeden Tag entsteht eine neue Situation, auch ich lerne ständig etwas Neues, das ist super spannend!"

Bindung zu den Eltern

Der Kontakt zu den Eltern scheint im Online-Unterricht ebenfalls besser zu werden. Statt, dass die Eltern ihre Kinder in die Musikschule bringen und nach Ende der Stunde lediglich wieder abholen, bekommen sie nun einen Einblick, wie sich eine Musikstunde abspielt und sind mehr beteiligt.

Oftmals schauen Eltern während des Unterrichts kurz am Bildschirm vorbei und grüßen herzlich. Manchmal warten sie im Hintergrund und hören sich die Musikstunde interessiert an oder nehmen sogar aktiv daran teil. Somit wird sowohl das Verhältnis zwischen Lehrenden und Eltern als auch das zwischen den Eltern und ihren Kindern gestärkt.

Musik verbindet

Dass dem Online-Musikunterricht sowohl Lehrende als auch Schülerinnen und Schüler kritisch gegenüberstehen, lässt sich nicht bestreiten. Die Gründe, die gegen Online-Unterricht sprechen, sind verständlich und plausibel.

Doch in meiner Erfahrung kann vor dem Hintergrund, dass der Online-Unterricht keine Dauer- sondern lediglich eine Übergangslösung darstellt, sowohl dem Unterricht als auch der Kreativität der Lehrenden in dieser schwierigen Situation ein gewisses Vertrauen geschenkt werden.

Mit einer gewissen Offenheit gegenüber den neuen Methoden gegenüber und mit der richtigen Einstellung – damit ist sowohl die persönliche als auch die programmatische Einstellung gemeint – ist Online-Musikunterricht auf jeden Fall möglich: Schlussendlich geht es hier um den eigenen Spaß; sei es nun alleine, zusammen, online oder live vor Ort. Musik verbindet – und dem steht auch keine Pandemie im Weg.

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