Der große Betrug
Streaming-Farmen: Wer ist eigentlich Schuld an manipulierten Streaming-Zahlen?
© FirmBee / Pixabay
Das Wachstum von Streaming-Plattformen hat den Musikkonsum für Fans nicht nur erschwinglicher gemacht, sondern auch grundlegend vereinfacht. Doch mit der steigenden Popularität sind auch neue Probleme für die Musikwirtschaft aufgetacht – unter anderem das leidige Thema Fake-Streams.
Gerade in der Deutschrap-Szene ist das Thema Fake-Streams ein regelrechter Dauerbrenner: Sowohl Massiv als auch Fler hatten in verschiedenen Livestreams zugegeben, ihre Streamingzahlen manipulieren zu lassen.
Ein kleiner Schritt ...
Doch nicht nur bekannte Acts nutzen diese Manipulation. Auch Musikerinnen und Musiker, die schnell in den Streaming-Charts auftauchen wollen, können mit nur wenigen Klicks Betrüger/innen engagieren, die ihre Play-Zahlen künstlich in die Höhe treiben.
Das Verfahren dabei ist einfach: Die engagierten Personen programmieren sogenannte Bots, die die Songs der Musikerinnen und Musiker automatisch und wiederholt streamen – während Massiv zugibt, für diese Manipulation bezahlt zu haben, behauptet Fler, ein unbekannter Hacker habe ihm die Streaming-Manpulation angeboten.
... mit großen Folgen
Der Rolling Stone spekuliert, dass Künstler/innen durch die Prävalenz von Fake-Streams und die Verbreitung von Streaming-Farmen pro Jahr gut 300 Millionen Dollar verlieren. Den Grund dafür nennt der Tontechniker Brian Harrington:
Durch das derzeitige Pro-Rata-Abrechnungssystem der Streamingplattformen werden sämtliche Acts aus einem gemeinsamen Topf bezahlt, der sich wiederum aus den Abo-Gebühren speist – wenn nun Künstler/innen ihre Streaming-Zahlen künstlich aufbauschen, dann fehlt dieses Geld anteilig bei anderen Acts.
Streaming-Plattformen verlieren durch die Praxis kein Geld. Die Bots, die die Musik streamen, müssen ihren Dienst weiterhin über kostenpflichtige Abonnements oder über ein kostenloses Konto nutzen, das Werbeeinnahmen generiert. Nicht nur aus diesem Grund fordern viele Musikschaffende eine Umstellung auf das sogenannte UCPS-Abrechnungssystem.
Wie erkennt man gefälschte Streams?
Brian Harrington erläutert auch einige Indizien dafür, dass eine Musikerin oder ein Musiker Streams faken lässt: Etwa wenn ein Song angeblich am häufigsten in einer kleinen Stadt oder einem Dorf gestreamt wird, oder ein Missverhältnis besteht zwischen den Followern eines Artists und den Wiedergabezahlen.
Harrington erklärt weiter, dass man Künstler/innen, deren Songs diese Eigenschaften aufweisen, keine Aufmerksamkeit schenken sollte – egal ob positiv oder negativ. Dies schaffe ein Ungleichgewicht in der Branche, da gerade kleine Künstler/innen, die durch Fake-Streams an die Spitze wollen, jenen Acts Aufmerksamkeit, Streams und Geld stehlen, die eine echte Karriere und eine echte Fangemeinde aufbauen wollen.
Wo liegt die Schuld?
Doch sollten es in erster Linie die Musikfans, denen es obliegt, auf die Manipulationen von Künstlerinnen und Künstlern zu achten? Wenn es nach Fler geht, sind vor allem Streaming-Plattformen wie Spotify hier in der Verantwortung:
"Wie kann es sein, dass ihr einen Dienst anbietet, der nicht bombensicher ist vor Manipulation? Und wie kommt ihr dann auf die Idee, auf die Dreistigkeit, das Label zu kontaktieren, bzw. den Vertrieb und die da drauf hinzuweisen? Wie kommt ihr darauf, dem Künstler etwas zu unterstellen, wo man von vorneherein davon ausgehen muss, dass es von überall kommen kann, weil eure Plattform nicht sicher ist?"
Erstaunlich ist, dass dies für ihn scheinbar als Begründung reicht, selbst ein Manipulationsangebot anzunehmen, nur weil es für ihn kostenlos war – und im Hip-Hop scheinbar sowieso alle manipulieren.
Best practice?
Rapper Massiv zeigte sich hier immerhin reumütig: Er habe sich, nachdem er Klicks gekauft hat, "dreckig und verlogen gefühlt", und außerdem zwei Abmahnungen von seinem Label Universal erhalten. Danach habe er dann beschlossen, so etwas nie wieder zu tun. Wie Fler gibt jedoch auch Massiv an, dass er sich zum Klick-Kauf habe verleiten lassen, weil dies der Modus operandi im deutschen Rapgeschäft sei:
"Zu dieser Zeit hatte ich das Gefühl, dass es jeder macht und ich der Einzige bin, der es nicht macht. Da stand ich manchmal vor dem Spiegel und hab mir gedacht, was für ein Manager ich wohl sei. Bin ich dumm?"
Es sei für einen guten Manager erforderlich, sich an die Spielregeln anzupassen, wenn diese sich ändern, gibt Massiv weiter an – und demonstriert so, dass, auch wenn gerade Streamingplattformen zweifelsohne ihre Sicherheitsvorkehrungen verbessern können, die Verantwortung hier bei jedem einzelnen beginnt.
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