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Fehlendes Personal an wichtiger Stelle

Abschied von der Selbstständigkeit: Der Live-Branche droht ein Mangel an Tontechnikern

Spezial/Schwerpunkt von Daniel Nagel
veröffentlicht am 14.01.2022

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Abschied von der Selbstständigkeit: Der Live-Branche droht ein Mangel an Tontechnikern

Düstere Aussichten? Viele Live-Techniker haben die Branche verlassen. © Marc Schulte via pexels.com

Im Herbst 2020 sprachen wir mit zwei selbstständigen Live-Tontechnikern, die akut von der Coronakrise betroffen waren. Mehr als ein Jahr später zeigen sich die Folgen der Pandemie für ihre Lebenswege und verdeutlichen die Herausforderungen, die der Live-Branche bevorstehen.

Die Corona-Pandemie traf Malle Beßler und Dennis Metz im März 2020 mit voller Wucht: Über Nacht verloren die selbstständigen Live-Tontechniker einen Großteil ihrer Aufträge und damit auch ihres Einkommens. Wir haben damals ausführlich darüber berichtet.

Berufliche Neuorientierung

Mehr als ein Jahr später wollten wir wissen, wie es beiden seitdem ergangen ist – und stellten fest, dass beide Wege beschritten haben, die typisch für eine immer noch von der Krise geprägte Branche sind.

Malle Beßler hat seine Selbstständigkeit aufgegeben und eine Vollzeitstelle als technischer Redakteur angenommen. Als Tontechniker bei Konzerten will er nur noch "nebenbei" agieren, beispielsweise für Projekte, die ihm besonders am Herzen liegen. 

Dennis Metz ist nicht ganz so weit gegangen. Er arbeitet als Tontechniker bei einem Radiosender in Berlin und ist zudem weiterhin als selbstständiger Live-Tontechniker tätig. "Ich mache auch nach wie vor gerne Konzerte", aber nur von seinen Aufträgen als Live-Techniker könnte er aktuell nicht leben. 

2021 konnte er im gesamten Jahr ungefähr so viele Aufträge annehmen, wie vor Corona in einem Monat. Daher sorgt jetzt der Job im Radiosender für den Broterwerb. "Zum Glück ist die neue Stelle flexibel genug, so dass ich mich weiterhin um meine Künstler kümmern kann."

Kein Weg zurück?

Zahlreiche Kollegen haben ähnliche Schritte vollzogen wie Malle Beßler und Dennis Metz. Beide sind sich einig, dass sich nur ein Teil dieser Techniker durch höhere Tagessätze zurückgewinnen lassen wird.

Fehlende Sicherheit inmitten der immer noch andauernden Pandemie, höherer Verdienst im neuen Job, weniger Stress, keine bzw. weniger Abend- und Wochenendtätigkeiten sowie berechenbare Arbeitszeiten seien die Hauptvorteile der neuen Tätigkeiten. 

Profiteure des Fachkräftemangels

Solche beruflichen Wechsel wurden von der Tatsache erleichtert, dass viele Unternehmen und Organisationen seit Beginn der Coronakrise Video- und Tontechniker für professionelle Streaming-Übertragungen suchen. Viele Techniker fanden neue Aufgaben in diesen Bereichen.

Der Fachkräftemangel hat zur Folge, dass die häufig vielseitig qualifizierten Techniker aus der Livebranche inzwischen beispielsweise auch als Elektriker arbeiten - anstatt am Wochenende für den richtigen Sound bei einem Festival zu sorgen. Andere haben sich weit von der Branche entfernt und arbeiten u.a. als Lehrer oder als Bäcker, wie Dennis Metz berichtet.

Ein Alptraum für Veranstalter

Für die Veranstalter sei die Situation ein “Alptraum”, so Beßler. Die verbliebenen Techniker seien “heiß begehrt” und könnten aufgrund der hohen Nachfrage deutlich höhere Tagessätze aufrufen - falls die Konzerte 2022 denn wie geplant stattfinden können.

Beßler erlebte das hautnah mit. Da er die Information über seinen Berufswechsel nicht an die große Glocke hing, erhielt er zwischenzeitlich zahlreiche Anfragen potentieller Kunden, von denen er zuvor noch nie etwas gehört hatte. 

Schwieriger als neuen Auftraggebern abzusagen war es, seinen bisherigen Kunden zu vermitteln, dass er künftig nicht mehr für ihre Konzerte und Tourneen zur Verfügung steht.  

Höhere Kosten, höhere Preise

Wir haben bereits darüber berichtet, dass die Steigerungen für Licht-, Ton- und Bühnentechnik beträchtlich sind. "Die Technikfirmen haben ihre Preise drastisch erhöht, und zwar um 20 bis 30%", erklärt Axel Ballreich, Vorsitzender der LiveKomm und einer von drei Inhabern des Concertbüros Franken. Die direkte Folge werden höhere Ticketpreise sein.

Viele derjenigen, die einen Berufswechsel vollzogen haben, wollen ihren Namen aber nicht im Rahmen eines Artikels genannt lesen. Offensichtlich halten sie sich ein Hintertürchen offen, sollte die Live-Branche wieder berechenbar Jobs anbieten können.

Die Leidenschaft für Musik besteht bei vielen Technikern eben nach wie vor. Außerdem sind mit der Arbeit auf einem Konzert oder Festival natürlich ganz andere Emotionen und Erfahrungen verbunden als bei der für ein virtuelles Unternehmensevent.

Die Lücke schließen

Dennoch steht die Live-Branche vor der Herausforderung ausreichend Techniker für die massenhaft geplanten Live-Events des Jahres 2022 zu finden. Betroffen sind weniger Clubs und Hallen, deren festangestellte Techniker durch Kurzarbeit nach wie vor zur Verfügung stehen, sondern eben die freien Techniker, die bisher Tourneen und Festivals ermöglichten. 

Die Hoffnung darauf, dass in Musikclubs oder Veranstaltungshallen festangestellte Tontechniker diese Lücke zu schließen vermögen, ist unrealistisch. Aufgrund der zahlreichen Verschiebungen ist das Programm der Clubs in vielen Fällen bis zum Anschlag gefüllt. Claus Berninger, Inhaber des Colos-Saals in Aschaffenburg hält es nicht für realistisch, dass die in seinem Club beschäftigten Tontechniker als Selbstständige zusätzliche Aufträge in großer Zahl zu übernehmen können. 

Eine Hoffnung, dass die Live-Branche mit dem Mangel an Technikern irgendwie klarkommt, besteht in der Professionalisierung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. So erklärt Claus Berninger, in den letzten Jahren hätten sehr viele Veranstaltungstechniker und Technikerinnen ihre Ausbildung abgeschlossen und stünden der Branche zur Verfügung. Ob sich diese Hoffnung bestätigt, wird sich zeigen.

Dennis Metz ist jedenfalls gespannt, wie sich die Situation im Jahr 2022 entwickeln wird. "Meinem Gefühl zufolge sind viele Kollegen nicht mehr in der Branche und wenn alle Künstler gleichzeitig wieder loslegen wollen, wird es eine Herausforderung, alles zu stemmen".

Welche Erfahrungen habt ihr persönlich gemacht? Habt ihr euch in der Coronakrise beruflich neu orientiert? Habt ihr eure Selbstständigkeit aufgegeben oder kennt ihr Fälle von Freunden und Kollegen? Sagt es uns in den Kommentaren!

Personen

Dennis Metz

Tontechniker FOH und Monitor aus Berlin

Malle Beßler

Tontechniker aus Mannheim

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